Günter Grass - Einer von uns. Gespräch mit dem Vorsitzenden des tschechischen PEN-Clubs, Jirí Dedecek

Günter Grass (Foto: CTK)

Seit der Schriftsteller Günter Grass am vergangenen Wochenende in einem Zeitungsinterview öffentlich bekannt hat, als 17jähriger Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, schlägt die Empörung vielerorts hohe Wellen. Doch im Gegensatz etwa zu den teils sehr vernichtenden Reaktionen aus Polen, äußerten tschechische Publizisten und Schriftstellerkollegen bislang eher Verständnis für Grass'. Allen voran Jiri Dedecek, der Vorsitzende des tschechischen PEN-clubs, dessen Ehrenmitglied Grass übrigens ist. Silja Schultheis hat sich mit Jiri Dedecek unterhalten.

Günter Grass  (Foto: CTK)
Herr Dedecek, im Unterschied zu vielen Politikern und Schriftstellern in Deutschland und anderswo, die Grass verurteilen und von ihm enttäuscht sind, legen Sie große Nachsicht für den Literaturnobelpreisträger an den Tag. Warum?

"Wissen Sie, die Geschichte des 20. Jahrhunderts war blutig und kriegerisch und reich an Fällen von Kollaboration. Kollaboriert haben auch Menschen, die bereits volljährig waren und sich über ihre Taten bewusst sein konnten. Die Tschechoslowakei hat sich übrigens in das Geschichtsbuch des 20. Jahrhunderts in sehr fetten Buchstaben eingeschrieben, durch ihre Kollaboration im Krieg und danach während des Kommunismus. Vor diesem Hintergrund kann ich nicht anders als nachsichtig auf Grass' Verhalten als 17jähriger reagieren."

Sie äußern Verständnis für das, was Grass als 17jähriger gemacht hat. Haben Sie auch Verständnis dafür, dass er nach dem Krieg in Deutschland den Status einer moralischen Autorität beanspruchte und sehr streng war in der Verurteilung anderer Menschen, obwohl er - wie wir jetzt erfahren haben - selber etwas auf dem Gewissen hatte?

"Ich kenne natürlich die Geschichte von Grassens moralischer Autorität in Deutschland nicht so gut. Ich kenne sein Werk, das für mich moralische Autorität besaß und weiterhin besitzt. Ob in der Nachkriegszeit jemanden gekränkt hat, das muss er sich selbst fragen. Aber dass er in seinem Urteil hart war, kann man ihm, meine ich, nicht vorwerfen."

In der Zeitung Mlada fronta dnes habe Sie kürzlich einen Kommentar veröffentlicht, der die Überschrift trägt: Günter Grass - einer von uns. Wie meinten Sie das?

Jiri Dedecek
"Genau so, wie ich schon zu Beginn dieses Gesprächs gesagt habe: Jeder von uns ist in gewisser Weise anfällig für das Böse und es hängt lediglich von den Umständen ab, ob er ihm widersteht. Ich habe immer im Scherz gesagt, dass ich nur deshalb nicht Agent des kommunistischen Geheimdienstes StB geworden bin, weil es mir niemand angeboten hat. Natürlich ist das übertrieben, aber ich wollte damit sagen, dass wir alle - wie Grass - irgendeine kleine moralische Sünde auf dem Gewissen haben. In meinen Augen ist das, was Grass jetzt offenbart hat, wirklich eine kleine Sünde - wenn es so war, wie er in dem FAZ-Artikel beschreibt. Das ist keine fatale Schuld, die ihn für das ganze Leben diskreditieren würde."

Ihr Bild von Günter Grass hat sich durch dessen Bekenntis kein bisschen geändert?

"Doch, es hat sich geändert. Grass ist für mich jetzt als Persönlichkeit interessanter als vorher. Vorher war seine moralische Autorität zu unanfechtbar. Durch seine jetziges Bekenntnis ist er für mich menschlicher geworden."

Bislang haben Sie als Vorsitzender des tschechischen PEN-Clubs lediglich Ihre persönliche Meinung zur Diskussion um Grass geäußert und darauf verwiesen, dass sich der PEN-Club am 12. September trifft und dann voraussichtlich eine gemeinsame Stellungnahme verabschieden wird. Wie könnte eine solche Stellungnahme Ihrer Meinung nach aussehen, wie ist die Stimmung unter Ihren Schriftstellerkollegen?

"Bislang habe ich etwa mit 3-4 Kollegen gesprochen. Jiri Stransky, der frühere Vorsitzende des tschechischen PEN-Clubs, hat etwa eine ähnlich nachsichtige Haltung wie ich. Und selbst Ivan Klima, der als Kind im Konzentrationslager war und unter uns die radikalste Meinung zu dem Fall bezogen hat, sagte: Geht darauf nicht ein, das ist eine Dummheit."