Er rettete hunderte Kinder vor den Nazis: Zum Tod von Sir Nicholas Winton

Sir Nicholas Winton (Foto: ČTK)

Nicholas Winton verhalf kurz vor dem Zweiten Weltkrieg hunderten zumeist jüdischen Kindern aus Prag zur Flucht nach Großbritannien. Jahrzehntelang schwieg der Börsenmakler über die Kindertransporte aus dem Protektorat. Erst in hohem Alter erfuhr der Brite dafür Anerkennung – weltweit und insbesondere in Tschechien. Nun ist Sir Nicholas Winton im Alter von 106 Jahren gestorben.

Sir Nicholas Winton  (Foto: ČTK)
Er tat es nicht, weil er musste, sondern weil er es wollte. So beschrieb Sir Nicholas Winton selbst einmal die Aktion im Jahr 1939. Eigentlich wollte der Londoner Börsenmakler damals in den Skiurlaub in die Schweiz. Dann aber kam ein Anruf. Sein Freund Martin Blake vom britischen Flüchtlingsausschuss in der Tschechoslowakei bat ihn um Hilfe. Der 29-Jährige Winton, der selbst jüdische Wurzeln hatte, fuhr nach Prag. Drei Wochen lang koordinierte er im Hotel Evropa am Wenzelsplatz verschiedene Hilfsorganisationen, stellte Listen zusammen. Am Ende waren es acht Züge mit 667 zumeist jüdischen Kindern. Sie verließen von Mai bis August 1939 den Prager Hauptbahnhof. Am ersten September war Schluss. Für ihn sei das der traurigste Tag seines Lebens, sagte Winton später.

Einer der sog. Winton-Züge
„250 Kinder waren im Zug, er stand abfahrtsbereit in Prag. Dann brach der Krieg aus. Sie waren leichte Beute für Hitler und wurden alle ermordet.“

Zurück in Großbritannien versucht Winton weiter zu helfen. Nach Dienstschluss an der Börse sucht er Pflegefamilien für die Kinder. Später engagiert er sich als Freiwilliger beim Roten Kreuz. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitet er für die Flüchtlingshilfe in Genf, ehe er sich 1950 mit seiner Frau Grete in Maidenhead niederlässt. Sie bekommen drei Kinder, Winton findet sein Auskommen wieder im Finanzwesen. Sein Anteil am „Czech Kindertransport“, wie die Aktion in Großbritannien heißt, geriet in Vergessenheit. Erst 1988 fand seine Frau auf dem Dachboden Originaldokumente und Namen der Kinder. In der BBC-Sendung „That’s life“ 1988 traf Winton nach fast 50 Jahren mit einigen der Geretteten zusammen. Eines von „Wintons Kindern“ war auch Zuzana Marešová. Sie blieb nicht in Großbritannien, sondern kehrte in die Tschechoslowakei zurück.

Zuzana Marešová  (Foto: Archiv des Projektes Paměť národa)
„Erst in den 1990ern habe ich davon erfahren, als Winton zum ersten Mal die Tschechische Republik besucht hat. Eine ehemalige Mitschülerin hat ihn mir vorgestellt, einen älteren, schönen Mann. Sie sagte, das ist Nicholas Winton, der Mann, der dich gerettet hat. Das war natürlich nur das erste Treffen. Er war mehr als ein Freund, er war einfach der Mann in unseren Herzen. Man kann es gar nicht in Worte fassen.“

In den letzten Jahrzehnten seines Lebens wurde Winton vielfach ausgezeichnet. Die Queen ernannte Winton zum Sir, und auch in Tschechien wurde er ein häufiger Gast. Er erhielt die höchsten Staatsauszeichnungen, wurde für den Nobelpreis vorgeschlagen. Die Geschichte wurde mehrmals verfilmt.60 Jahre nach der Rettungsaktion fuhr ein Zug von Prag nach London auf der Route der Kindertransporte. Auf Gleis eins am Prager Hauptbahnhof steht heute eine Statue, Winton mit zwei Kindern und einem großen Koffer. Michael Žantovský ist der tschechische Botschafter in Großbritannien. Er kannte Winton seit 20 Jahren.

Michael Žantovský | Foto: Archiv des tschechischen Außenministeriums
„Für mich ist er einer der herausragenden Menschen, die ich in meinem Leben getroffen habe. Nicht nur wegen seiner historischen Leistung, der Rettung von 667 tschechoslowakischen Kindern vor den Nazis. Sondern auch weil er einer der positivsten, optimistischsten und liebenswürdigsten Menschen war, die ich kannte. Er war nicht nur ein Menschenfreund, sondern er liebte auch das Leben. Er hatte einfach Freude daran, traf sich gerne mit Menschen und trank gern ein Glas Wein dazu.“

Die vielen Ehrungen waren Winton am Ende fast unangenehm. Als englischer Schindler wollte er nicht bezeichnet werden. Seine letzte Reise nach Tschechien absolvierte Winton im vergangenen Herbst. Im Alter von 105 Jahren nahm er in Prag die höchste tschechische Staatsauszeichnung, den Orden des weißen Löwen entgegen.