Ein Jahr EU-Mitgliedschaft: Tschechien zwischen Integration und Zurückhaltung

Der damalige Premierminister Vladimír Spidla, 1. Mai 2004 (Foto: CTK)
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Am Sonntag ist die Mitgliedschaft Tschechiens in der Europäischen Union genau ein Jahr alt. Nach wie vor ergeben alle Umfragen, dass eine große Mehrheit der Tschechinnen und Tschechen die Integration des Landes in die EU eindeutig befürwortet. Zurückhaltende Stimmen gibt es aber ebenso. Und die sind nicht gerade leise. Mehr dazu von Gerald Schubert:

Feier vor der Prager Burg,  Premierminister Vladimír Spidla in der Mitte  (Foto: CTK)
Weltmeister in der Skepsis. So hat der ehemalige EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen die Tschechen einmal genannt. Europameister hätte in dem Zusammenhang zwar gereicht, aber einen realen Hintergrund hatte Verheugens Aussage natürlich schon. Dem westlichsten Land Ostmitteleuropas schien die Eingliederung in eine übernationale Struktur nicht ganz geheuer zu sein. Viele sprachen vom drohenden Verlust nationaler Souveränität, allen voran der konservative Präsident Václav Klaus, der unaufhörlich vor einem Brüsseler Superstaat warnte, in dem sich Tschechien auflösen würde wie Zucker im Kaffee. Seine Demokratische Bürgerpartei (ODS) stieß von den Oppositionsbänken aus ins selbe Horn, und die ebenfalls oppositionellen Kommunisten waren offen gegen den Beitritt zur Europäischen Union.

Am Abend des 14. Juni 2003 triumphierten dann aber doch die EU-freundlichen Parteien der sozialliberalen Regierungskoalition. Mehr als 77 Prozent der Tschechinnen und Tschechen sagten im Referendum Ja zum Schritt nach Europa. Die anschließende Feier auf dem Platz vor der Prager Burg geriet zur Sternstunde für den damaligen Premierminister Vladimír Spidla:

Der zufriedene Premierminister Vladimír Spidla am 1. Mai 2004  (Foto: CTK)
"Es ist schön, Menschen zu sehen, die Mut haben. Und ich muss sagen, dass ich auf euch stolz bin. Denn wir haben uns den Weg in die Zukunft geöffnet und müssen uns vor ihr nicht fürchten", sagte Spidla vor der jubelnden Menge, hoch über der leuchtenden Stadtkulisse Prags. Und fast sah es so aus, als ob Verheugen sich geirrt hätte.

Das darauf folgende Jahr 2004 brachte dann zwar den Beitritt zur Union, aber auch die Rückkehr der Kritiker. Die EU-skeptischen Oppositionsparteien, die die Regierung von rechts und links in die Zange nehmen, verbuchten einen Wahlsieg nach dem anderen. Vor allem die Wahlen zum Europaparlament brachten ein regelrechtes Fiasko für die Regierungsparteien und einen Triumph für jene, die an den Brüsseler und Straßburger Strukturen kaum ein gutes Haar lassen. Politikwissenschaftler Jan Bures von der Karlsuniversität Prag:

"Wir werden uns wohl mit dem Gedanken vertraut machen müssen, dass die tschechischen Europaabgeordneten, vor allem die der ODS, so etwas wie die 'zweiten britischen Konservativen' werden und langfristig gegen eine Vertiefung der Integration und gegen eine Stärkung der Europäischen Institutionen auftreten."

 Vladimír Spidla im Gespräch mit Gerald Schubert
Was ist da passiert? Schrecken die Tschechen nun doch zurück, etwa weil sie mit übernationalen Gebilden in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht hatten? Oder haben sich hier einfach Protestimmen aus der Innenpolitik auf europäischen Boden verlagert? Wahrscheinlich stimmt ein bisschen von beidem. Paradox erscheint dabei, dass gerade die überwiegend wirtschaftsliberal eingestellte Wählerschaft der ODS als sehr pro-europäisch gilt. Es ist also durchaus möglich, dass diese Partei, die derzeit in allen Umfragen vorn liegt, nicht wegen sondern trotz ihrer EU-kritischen Töne gewählt wird.

Der frühere Premierminister Spidla übrigens, der einst auf dem Burgplatz über den Ausgang des Referendums gejubelt hatte, ist jetzt EU-Kommissar. Zur derzeitigen Europa-Stimmung in seiner Heimat Tschechien sagt er gegenüber Radio Prag:

"Mich stimmt optimistisch, dass die Meinungsumfragen immer wieder sagen: Die Menschen in der Tschechischen Republik wollen mehr europäische Integration, und sie wollen auch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Also, ich glaube, die Ansichten der Menschen unterscheiden sich von denen der Repräsentanten einiger Parteien."