Ein bisschen wie Familie - Kinderheim Kasperske Hory

Foto: Kinderheimen

In tschechischen Kinderheimen leben Kinder, die aus den verschiedensten Gründen nicht in ihrer eigenen Familie oder in einer Ersatzfamilie aufwachsen können. Die meisten der 150 Kinderheime, die es heute im Land gibt, sind so eingerichtet, dass sie Milieu einer Familie möglichst nahe kommen. Eine Art Vorkämpfer der höchst kinderfreundlichen Heime mit Familiencharakter war das Kinderheim in der Böhmerwälder Stadt Kasperske Hory. Mit der Erziehung von Kindern in kleinen, familienähnlichen Gruppen hat man dort noch in den Zeiten begonnen, als es offiziell vom Regime untersagt war. Vor kurzem beging das Kinderheim in Kasperske Hory sein 50. Jubiläum.

Den altehrwürdigen Marktplatz von Kasperske Hory / Bergreichenstein dominiert neben der gotischen Kirche und dem Renaissancegebäude des Rathauses ein zweistöckiges Haus in der südlichen Ecke. Im Gebäude der ehemaligen deutschen Bürgerschule wurde vor etwa fünfzig Jahren ein Kinderheim untergebracht. Zu den größten Änderungen kam es unter Heimdirektor Jan Kucera, der Anfang der sechziger Jahre eher zur Strafe hierher versetzt wurde. 1967 entstand dort ein Kinderheim vom Familientyp, das erste Kinderheim dieser Art in der Tschechoslowakei überhaupt, sagt die heutige Direktorin Marie Kucerova:

"Bis zu der Zeit sah es in den Kinderheimen so aus, dass die Kinder nach ihrem Alter und Geschlecht getrennt in Gruppen mit bis zu 20 Kindern erzogen wurden. Aufgrund soziometrischer Untersuchungen, Umfragen und Gespräche mit Kindern wurden hier damals neue kleine Gruppen gebildet, in denen Mädchen sowie Jungen von verschiedenem Alter zusammen waren. Dies war das Grundprinzip. Zu der Zeit war es sehr gewagt, denn anstelle ´Soudruzko vychovatelko´ - also Genossin Erzieherin - haben die Kinder ihre Erzieherinnen und Erzieher mit ´Tante´ beziehungsweise ´Onkel´ angesprochen. Dies verlangte damals viel Mut von der Führung des Heims, aber so werden die Erzieher von den Kindern bis heute genannt."

Vor 50 Jahren lebten im Kinderheim in Kasperske Hory etwa 120 Kinder, was zu viel war, sagt Marie Kucerova. Heute wohnen hier vier Familiengruppen in vier großen Wohnungen. In einer Familiengruppe sind sechs bis acht Kinder im Alter von drei bis 18 Jahren, sodass im Heim insgesamt höchstens 32 Kinder auf einmal untergebracht sind. In jeder der Familiengruppen wechseln sich zwei Erzieherinnen oder Erzieher ab.

In den Jahren 1993-94 hat man in Kasperske Hory ein Experiment gemacht, ob eine minderjährige Mutter mit ihrem Kind in einem Kinderheim aufwachsen kann. Bis zu diesem Zeitpunkt war das in einem Kinderheim nicht möglich, sagt Dr. Kucerova:

"Wir haben schwangere Mädchen aufgenommen und sie in eine der Familiengruppen miteinbezogen. Sie haben das Kind zur Welt gebracht und es erzogen, und es war meiner Meinung nach für alle prima."

Wenn die Kinder erwachsen sind, kommen sie Marie Kucerova zufolge sehr oft wieder zu Besuch. Entweder wollen sie zeigen, dass sie eine schöne Familie haben oder sie kommen, wenn sie Probleme haben. Dann sagen sie: Tante, hilf mir, erzählt die Direktorin:

"Die erste Mutter, die wir damals aufgenommen haben, kommt oft zu uns, obwohl sie inzwischen verheiratet ist und in Deutschland lebt. Es geht ihr gut, aber sie kommt immer wieder mit ihrer Familie zu Besuch und sagt, ich komme viel lieber zu dir als zu meiner eigenen Mutter."