Der Erste Mai 2003: Zwischen Konflikt und Konsens, Karneval und Krawalle

Kommunisten feierten auf dem Prager Letna-Plateau (Foto: CTK)

Der Erste Mai 2003 war voraussichtlich der letzte "Tag der Arbeit", den die Tschechische Republik noch als Nicht-EU-Mitglied beging. Genau in einem Jahr soll ja - geht alles nach Plan - der Beitritt des Landes in die Europäische Union erfolgen. In politischer Hinsicht stand dann auch das bevorstehende EU-Referendum im Mittelpunkt der diversen Maikundgebungen. Doch war der Tag der Arbeit auch von anderen Aspekten geprägt, die vor allem mit der kommunistischen Vergangenheit des Landes und den Erinnerungen an die damals an jedem Ersten Mai stattfindenden Machtinszenierungen des Regimes zu tun hatten. Gerald Schubert berichtet:

Kommunisten feierten auf dem Prager Letna-Plateau  (Foto: CTK)
Die Kommunisten feierten den Tag der Arbeit traditionell auf dem Prager Letna-Plateau, mit Ansprachen ihrer Funktionäre, und flankiert von der entsprechenden Volksfeststimmung. Am Rande der Veranstaltung meldeten sich allerdings auch Gegner der Kommunisten zu Wort, die Eier auf die Tribüne warfen und Transparente trugen mit Aufschriften wie: "An Euren Händen klebt Blut." Zu mehr als lautstarken verbalen Auseinandersetzungen kam es dabei aber nicht. Und auch die bereits traditionellen Zusammenstöße zwischen Anarchisten und Rechtsextremen verliefen dieses Jahr glimpflich: Auf dem Prager Siegesplatz, wo eine Gruppe von Skinheads die dort demonstrierenden Anarchisten attackierte, wurde eine Person leicht verletzt.

Kommunisten feierten auf dem Prager Letna-Plateau  (Foto: CTK)
Ein bemerkenswertes Detail der Maifeiern: In einigen Gemeinden kam es zu Aufmärschen, deren Antlitz sich ganz an die alten Zeiten anlehnte, als man noch fähnchenschwingende Menschen auf rot geschmückten Wägen, und Transparente mit kommunistischen Slogans und Stalin-Portraits in den Straßen sehen konnte. Bloß, dass es sich heute dabei um Parodien handelt: Der Erste Mai bekommt hierzulande also auch so etwas wie einen gewissen Karnevalscharakter - in Erinnerung an die früheren Pflichtkundgebungen.

Die Sozialdemokraten feierten den Ersten Mai ebenfalls, die Hauptveranstaltung fand auf dem Prager Messegelände statt, unter Teilnahme von Ramiro Cibrian, dem EU-Botschafter in Tschechien. Und wie eingangs erwähnt: Die EU-Erweiterung war bei den Sozialdemokraten das Thema Nummer Eins. Petra Buzkova, Schulministerin und Parteichefin in der Hauptstadt Prag:

"Ich persönlich hoffe sehr, dass sich die Bürger der Tschechischen Republik für den Beitritt aussprechen. Dass sie sich dafür entscheiden, dass die Tschechische Republik zu Europa gehört, wohin sie letztendlich schon immer gehören hätte sollen."

Skinheads auf dem Prager Siegesplatz  (Foto: CTK)
Ganz anders sehen das die Kommunisten. Auf deren Veranstaltung auf der Prager Letna-Ebene meinte Vize-Parteichef Vaclav Exner:

"Die Europäische Union selbst sucht zur Zeit Antworten auf die Fragen, wie eigentlich ihr künftiges Schicksal sein wird, wie ihre Struktur sein wird, in welchen Bereichen die Politik eine gemeinsame und in welchen Bereichen sie eine nationale sein wird. Unter allen diesen Umständen empfiehlt die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens den Bürgern, beim Referendum über den Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union diesen Beitritt nicht zu unterstützen."

Das Argument, einen Entwicklungsprozess nicht von innen her mitgestalten zu wollen, weil eben jener Entwicklungsprozess noch nicht abgeschlossen ist, wird sich in seriös geführten EU-Debatten wohl nicht so leicht durchsetzen können. Andererseits aber verfügen die Kommunisten über eine gefestigte Stammwählerschaft, von deren interner Wahlbeteiligung andere Parteien nur träumen können. Und insofern könnte die kommunistische Wahlempfehlung doch einige Bedeutung für den Ausgang des Referendums haben.

Anarchisten
Wie dem aber auch sei: Die Meinungsforscher gehen bis jetzt davon aus, dass der nächste Erste Mai mit ziemlicher Sicherheit der Tag sein wird, an dem Tschechien der Europäischen Union beitritt. Ein so spektakuläres Ereignis hatte der diesjährige Erste Mai freilich nicht zu bieten. Doch immerhin: Einer alten Tradition folgend küssten sich in Prag unter einem blühenden Kirschbaum im Laufe von fünf Stunden 340 Paare. Unter offizieller Aufsicht, versteht sich. Damit soll der Erste Mai 2003 wenigstens mit einem Eintrag in das Guinness-Buch der Rekorde in die Geschichte eingehen.