„Der Apfelbaum“ – erstes Kinderbuch zu Vertreibung und Versöhnung

Renate Kolb: „Der Apfelbaum“

Selbst ein Kind der Vertreibung, möchte sie heute gerade Kindern ihre Erfahrungen vermitteln. Renate Kolb wurde im Kriegsjahr 1942 im thüringischen Erfurt geboren. Kurz darauf zog die Familie nach Fleißen im Egerland, der Ort heißt heute Plesná. Renate Kolbs Vater starb im Krieg in Russland, 1946 wurde der Rest der Familie aus Fleißen vertrieben und siedelte sich in Bayern an. Aus ihren Erinnerungen hat Renate Kolb das Kinderbuch „Der Apfelbaum“ geschrieben, ein Text in Gedichtform, illustriert von Brigitte Gold. Es ist angeblich das erste und bisher einzige Kinderbuch über Vertreibung und Versöhnung. Till Janzer sprach mit der Autorin.

Renate Kolb: „Der Apfelbaum“
Frau Kolb, Sie haben ein Kinderbuch über die Vetreibung geschrieben. Warum sollten sich denn Kinder mit dem Thema auseinandersetzen?

„Wir leben ja in einer multukulturellen Gesellschaft. Die Kinder kommen aus allen Erdteilen hierher nach Deutschland. Und wenn ich bei den Kindern lese, frage ich sie zuerst: Wo kommt Ihr her? Die Kinder sprechen dann drüber, und danach beginne ich meine Geschichte zu erzählen und vorzulesen.“

Wie lässt sich denn das Thema Vertreibung denn Kindern vermitteln?

„Kinder sehen immer wieder fern. Sie sehen die Lager, in denen die Kinder gezeigt werden, weinende Kinder, die die Reporter ja besonders hervorheben. Und auf dieser Basis erkläre ich den Kindern dann auch mein Buch.“

Renate Kolb
Sie haben selbst die Vertreibung erlebt. Wie viele von Ihren Erlebnissen sind drin in dem Buch?

„Es ist eigentlich genau meine Gesichte. Ich war damals vier Jahre. Und da ich drei Namen habe, ich heiße Renate Elisabeth Hildegard, habe ich die Elisabeth genommen.“

Wie ist Ihre Mutter mit dem Thema umgegangen? Ihr Vater ist ja in Russland im Krieg geblieben. Konnten Sie Ihre Mutter einfach dazu fragen. Hat sie Ihnen etwas dazu erzählt und was hat sie Ihnen gesagt?

„Meine Mutter konnte sich mit dem Thema sehr, sehr schwer beschäftigen. Es hat sie immer wieder sehr beeindruckt, wenn wir darüber gesprochen haben. Aber mich hat es einfach nicht losgelassen. Ich bin eine Generation weiter, meine Kinder interessiert es auch. Und ich beschreibe in meinem Buch, was geschehen ist, dass ich wieder zurückgefahren bin. Ich wollte wissen: Was ist aus meinem Elternhaus geworden? Und das sagt das Buch ja aus.“

Vertreibung
Kinder sollten sich eher um die Versöhnung kümmern. Wie geht das beides zusammen, ein Buch über Vertreibung und die Versöhnung, wie haben Sie das gelöst?

„Die Versöhnung kommt zum Schluss. Und die Kinder erleben durch dieses Buch ein Stück der Vertreibung. Ich erkläre ihnen alles, ich bringe Bildmaterial mit, auch Dinge zum Anfassen, die damals waren, zum Beispiel eine Puppe im Steckkissen, wer kennt das heute noch. Oder einen Muff mit dem Stücken Seife, das ja damals eine ganz große Rolle gespielt hat, weil man es mir nämlich wegnehmen wollte und es auf einen Riesenberg von Ringen und Uhren gelegt hat. Ich habe mich aber umgedreht und mir mein Stück Seife wiedergeholt. So habe ich die Dame, die hinter diesem Riesenberg von wunderbaren Dingen saß, darauf aufmerksam gemacht, dass man nicht stehlen darf.“

Plesná heute  (Foto: www.wikimedia.org)
Um noch einmal auf dieses Thema Versöhnung zu kommen: Sie haben da das Bild eines Baumes gewählt. Vielleicht können Sie erläutern, in welcher Weise er die Versöhnung symbolisieren soll?

„Ja, ich habe einen Apfel gegessen bei der Vertreibung, als ich in einem Viehwagen saß. Und ich habe dann den Rest des Apfels zurückgeworfen, also aus dem Zug raus, die Tür war noch geöffnet. Als ich dann nach vielen Jahren zurückkam, stand wirklich ein Apfelbaum da. Unter diesem Apfelbaum begegnen sich dann Tschechen und Deutsche. Sie wissen nicht, wem der Baum gehört und wem die Äpfel gehören, denn der Baum steht auf der Grenze. Damit erkläre ich den Kindern: Es gehört niemandem, es steht genau auf der Grenze. Und die Tschechen und die Deutschen versöhnen sich unter dem Apfelbaum. Diese Versöhnung gebe ich auch an die Kinder weiter, indem nämlich zum Schluss meines Buches dann steht: ´Ohne Grenzen wäre immer Frieden auf Erden.´ Dann mache ich einen Friedenskreis mit den Kindern, wir fassen uns alle an und singen dann auch noch mal das Lied vom Apfelbaum.“


„Der Apfelbaum“ von Renate Kolb ist im Herget-Verlag erschienen, und zwar als Lesebuch und als Hörbuch.

Autor: Till Janzer
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