Das unbekannte Prag um die Ecke

Slatiny (Foto: ŠJů, CC BY-SA 3.0)
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Glückliche Prager. Ihre Ausflugsziele haben sie vor der Nase. Paläste, Kirchen, Parks und Museen würden auch für zwei Leben reichen. Und dann gibt es auch noch „Praha neznámá“ – das unbekannte Prag. Die Initiative gleichen Namens sucht nach Orten, die abseits von Touristenrouten liegen – und trotzdem einen zweiten oder dritten Blick wert sind. Dazu zählen vom Abriss bedrohte Gebäude und historische Armenviertel.

Kateřina Racková ist Kunsthistorikerin und hat den perfekten Job für sich gefunden: Sie führt Menschen durch Prag. Die Agentur „Praha neznámá“ widmet sich, wie der Name sagt, den unbekannten Orten:

„Praha neznámá will seinen Kunden, und das sind viele Architekturfans, den Zugang zu ungewöhnlichen Plätzen ermöglichen. Unser Ziel ist es, diese Orte aus einem eher nicht so traditionellen Blickwinkel zu betrachten und überhaupt einmal über den historischen Kontext nachzudenken.“

Friedhof Olšanské hřbitovy  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Am Anfang von Praha neznámá stand ein Blog, gegründet im Jahr 2013 von Tourismusfachmachmann Petr Ryska. Kateřina Racková:

„Am Anfang hat er seinen Lesern im Internet einfach Tipps für Ausflüge gegeben und interessante Orte in Prag vorgestellt. Dann wurde das Interesse immer größer, und nach und nach sind kommentierte Spaziergänge durch ganze Viertel hinzugekommen.“

Zum Beispiel über den Friedhof Olšanské hřbitovy, ins Villenviertel Ořechovka aus der Zeit der Ersten Republik oder nach Holešovice im Norden der Stadt. Lange Zeit war der Stadtteil industriell geprägt. Heute ist es ein In-Bezirk – von Investoren heiß umkämpft.

Spaziergänge mit Praha neznámá  (Foto: Offizielle Facebook-Seite Praha neznámá)
„Wir zeigen, wie der Ort entstanden ist, welche Geschichte er durchlebt hat und selbstverständlich auch, warum diese Orte es wert sind, geschützt zu werden. Ich denke, unsere Fans, die mit uns auf Spaziergänge gehen oder unsere Web-Angebote verfolgen, sind sehr gebildete Menschen. Sie schätzen sehr, was Prag bis heute bietet. Wir machen uns klar, dass es nicht so bleiben muss: Es gibt ja bereits Beispiele dafür, dass wunderschöne, historische Gebäude abgerissen wurden, die eigentlich zu Prag gehört haben“, so Kateřina Racková.

Auch mit Hintergrundartikeln auf der Webseite wird dokumentiert, welchen Einflüssen das historische Prag ausgesetzt ist.

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
„Zwar wurde die gesamte Innenstadt von Prag 1993 in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen, und es entstanden immer neue Konzepte für den Denkmalschutz. Doch sie haben sich niemals wirklich durchgesetzt. Die Denkmalschützer führen eine Art Kampf gegen die Windmühlen. Auf der anderen Seiten stehen natürlich ganz häufig die Investoren großer Bauprojekte.“

Eher abseits vom großen Geld bewegen sich die Spaziergänger von Praha neznámá. Zum historischen Prag gehören auch Zeugnisse der Armut aus früheren Zeiten, die sich in keinem Reiseführer finden:

Slatiny  (Foto: ŠJů,  CC BY-SA 3.0)
„Wir zeigen nicht nur prunkvolle Architektur, sondern widmen uns auch Stilen wie dem Funktionalismus, und wir besuchen frühere Armenviertel. Denn wir wollen darauf hinweisen, dass wir nicht immer in solch relativem Reichtum gelebt haben wie heute. Auch diese ärmlichen Häuschen hatten ihre Poesie, die Menschen mussten dort unter ganz eigenen Umständen leben. Darum machen wir Spaziergänge in Armenviertel wie zum Beispiel Kotlaska oder Slatiny. Und nach und nach entdecken wir immer weitere Orte von Interesse.“

Interesse für die Touren gibt es inzwischen auch von Seiten der Touristen. Die Hauptkundschaft bilden allerdings weiterhin Prager, die sich von den unbekannten Seiten ihrer Stadt überraschen lassen.


Spaziergänge mit Praha neznámá gibt es auch in englischer Sprache. Termine finden sich unter www.prahaneznama.cz. Außerdem lohnt es sich, Praha neznámá auf Twitter und Facebook zu folgen. Beinahe täglich gibt es dort historische Fotos mit Stadtansichten von früher.

Autor: Annette Kraus
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