Buch „Jiná“: Koukalová beleuchtet Schattenseiten des Leistungssports

Gabriela Koukalová (Foto: ČTK)

Sie ist eine Top-Biathletin und die Sportlerin des Jahres in Tschechin: Gabriela Koukalová. Nun aber lässt die 28-Jährige wissen, dass sie für ihre Erfolge sehr gelitten habe, körperlich und mental. In ihrer jüngst erschienenen Autobiografie schildert sie schonungslos ihr Sportlerleben.

Gabriela Koukalová  (Foto: ČTK)
Vor 14 Monaten lieferte sich Gabriela Koukalová noch große Duelle mit ihrer deutschen Rivalin Laura Dahlmeier bei der WM in Hochfilzen. Die Winterspiele in Pyeongchang verpasste sie dann aber aufgrund einer Wadenverletzung. In ihrem vor einer Woche erschienenen Buch „Jiná“ (deutsch: Anders) verrät Koukalová aber, dass es für sie noch ernstere Gründe gibt, nun vom Hochleistungssport etwas Abstand zu gewinnen. Das Buch warf zahlreiche Fragen auf, erregte aber auch Missmut. Mitte der Woche bezog sie im öffentlichen Funk und Fernsehen schließlich Stellung.

Gabriela Koukalovás eigener Aussage nach sei sie eigentlich ein Sportstar wider Willen:

„Als Kind fühlte ich es so, dass mich meine Eltern zum Sport drängen. Ich mochte den Sport nicht und wollte oft nicht zum Training gehen. Doch ich hatte keine andere Wahl.“

Denn als damaliger Trainer beziehungsweise ehemalige Skilangläuferin sind Gabrielas Vater und Mutter sehr sportbegeistert. Dennoch sei sie ihren Eltern heute dankbar, sie auf den sportlichen Erfolgsweg gebracht zu haben. Dieser Weg begann aber erst richtig in der Pubertät. Da habe sie gemerkt, dass ihr ohne den Sport etwas fehle, sagt Koukalová. Mit ihrem letztlich konsequenten Einstieg beim Biathlon hätten jedoch neue Probleme begonnen:

Gabriela Koukalová  (Foto: ČT)
„Aus mir wurde allmählich eine Frau, die aber nicht mehr die Vorgaben an die Figur und das Gewicht erfüllte. Deshalb fühlte ich mich von meinem Trainer gedemütigt, als er mir dies vorhielt.“

Gabriela Koukalová versuchte daher, diesem Ideal durch Diäten und vermehrten Essentzug zu entsprechen. Daraus entwickelte sich allerdings eine Anorexie, die sich – ihren Worten nach – später zur Bulimie wandelte. Sie habe aber lange Zeit mit niemandem darüber gesprochen, sondern stets versucht, die krankhaften Essstörungen zu verschleiern:

„Wenn wir mit dem Biathlonteam in ein neues Hotel kamen, habe ich nicht zuerst danach geschaut, ob es Wi-Fi hat, sondern wo die Toiletten sind. Denn die habe ich häufig gleich nach dem Essen aufgesucht.“

Und das nur, um sich zu übergeben. Mit noch anderen Methoden versuchte sie, das Gewicht zu halten. Dazu gehörte auch, dass sie feuchte Wattepads schluckte, nur um ihren Magen ruhigzustellen. Ihrer Teamgefährtin und Zimmerpartnerin Jitka Landová habe sie ihre Probleme später anvertraut, ohne sie aber anzupacken. Dies schaffte sie erst mit ihrem Ehemann Petr Koukal. Als er ein Röntgenbild mit einem von Gabriela verschluckten Löffel zu Gesicht bekam, besorgte er seiner Frau einen Facharzt für diese Krankheit. Seitdem setzte bei der Weltmeisterin und olympischen Medaillengewinnerin ein Sinneswandel ein.

Gabriela Koukalová  (Foto: ČTK)
Nun wollte sie nicht nur darüber sprechen, sondern schrieb mit Co-Autor Martin Moravec sogar ein Buch darüber. In ihrer Autobiografie „Jiná“ spricht sie neben ihren Erfolgen auch über die Schattenseiten des Leistungssports. Sie beklagt sich darüber, dass im harten Wettbewerb kaum Platz für Sensibilität und Empathie sei. Das bemängelte sie auch bei einigen ihrer Trainer, darüber hinaus rechnete Koukalová mit einer ihrer Teamkolleginnen ab. Sie habe geahnt, dass Anorexie und Bulimie für viele Frauen, und im Sport besonders bei Ausdauerathletinnen, ein Thema sei. Doch sie sei überrascht, wie viele Mails sie von Betroffenen seit der Herausgabe ihres Buches schon bekommen habe. Deshalb wolle sie nun ein Spendenkonto für Bulimie-Kranke einrichten, dass sie mit einem Teilerlös ihres Buches eröffnen werde.

Ansonsten wolle sie sich jetzt vollkommen auskurieren und Kraft schöpfen für neue Aufgaben, sagte Koukalová im Rundfunk. Auf die Frage, ob sie dem Biathlonsport damit gänzlich adieu sage, antwortete sie:

„Aus den Erfahrungen anderer Sportler, die ihre Karriere mittlerweile beendet haben, ziehe ich die Lehre, dass ich meinen Abschied noch nicht bekannt gebe. Denn ich bin noch jung, und vielleicht bekomme ich nach zwei Jahren wieder Lust, zum Biathlon zurückzukehren. Gegenwärtig aber zweifle ich daran, dass dieser Moment auch eintreten könnte.“

Autor: Lothar Martin
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