17. November 1960: Das letzte Todesurteil vor dem Prager Frühling

Die zweite Hälfte der 1960er Jahre haben sich hierzulande als politisches Tauwetter mit dem Schlusspunkt des Prager Frühlings eingeschrieben. Wenig bekannt, dass erst zu Beginn jener Zeit viele politische Häftlinge, verurteilt in den 50er Jahren, das Gefängnis verlassen durften. Noch am 17. November 1960 wurde sogar ein Gefangener aus politischen Gründen hingerichtet. Jitka Mládková erinnert an Vladivoj Tomek.

Am späten Nachmittag des 12. Dezember 1952 überfielen in Prag vier junge Männner im Alter von 18, 19 Jahren, ausgerüstet mit alten Pistolen, eine Soldatenpatrouille. Das Ziel war, sich ihrer Maschinengewehre zu bemächtigen. Die vier waren Angehörige einer illegalen Widerstandsgrupe der Skauts, die sich auf den Kampf gegen das kommunistische Regime vorbereitete. Angefangen hatten sie schon 1948 mit Flugblättern und der Verbreitung von Nachrichten ausländischer Radiosender. An diesem 12. Dezember kam es zur Schießerei, bei der einer der Soldaten tödlich und ein anderer schwer verletzt wurden. Sieben Jahre dauerte es, bis die Polizei der zehnköpfigen Widerstandsgruppe auf die Spur kam. Alle wurden im März 1960 verhaftet und drei Monate später vor Gericht gestellt. Die kommunistische Justiz plante exemplarische Höchststrafen zu verhängen. Im Bericht des zuständigen Ermittlers des Innenministeriums zur Charakteristik des beschuldigten Vladivoj Tomek heißt es:

„Er ist sehr raffiniert und war - von seinem Hass zur volksdemokratischen Gesellschaftsordnung geleitet - äußerst aktiv. Man kann sagen, dass er der Organisator des Hochverrats war und keineswegs geringen Einfluss auf seine Kumpanen hatte.“

Der Staatsanwalt beschuldigte alle „ ... des Versuchs, mittels äußerst gefährlichen Handelns die volksdemokratische Ordnung zu zerstören“.

In Tomeks Fall wollte man kein „Wenn und Aber“ zulassen, denn ...

„... sowohl durch sein Verhalten während der Ermittlungen als auch durch seine Initiative bei der Verübung der staatsfeindlichen Straftaten zeigte er sich (...) als Feind des werktätigen Volkes, dessen Verbleiben in der Gesellschaft die volksdemokratische Gesellschaftsordnung sowie Menschenleben weiterhin bedrohen würde“. Und da hieß Todesstrafe für den damals 27-jährigen Vladivoj.“

Bei Ladislav Balík, einem anderen Angeklagten, ließ man Milderungssgründe gelten. Er war Angehöriger „der Arbeiterklasse“ und Parteimitglied. Bei ihm habe – so hieß es - „die Möglichkeit bestanden, dass er nach Absitzen einer längeren Freiheitsstrafe ein besserer Mensch werden könnte.“ Balík bekam 25 Jahre Freiheitsstrafe. Insgesamt wurden im Prozess 83,5 Jahre Freiheitsentzug verhängt. Tomeks Todesstrafe hat nach dreitägigen Beratungen auch das Höchste Gericht bestätigt. Am 17. November 1960 kurz vor 12 Uhr Mittag wurde Vladivoj Tomek hingerichtet. Über die Vollstreckung des Todesurteils haben die Medien geschwiegen.

Am 17. November 2001 wurde in Prag eine Gedenktafel für Vladivoj Tomek enthüllt. Darauf ist zu lesen:

„In diesem Haus lebte Vladivoj Tomek, das letzte aus politischen Gründen hingerichtete Opfer der kommunistischen Justiz.“