15 Jahre Antikomplex: verschwundene Sudeten und Buch über deutsche Minderheit

Foto: Bundesarchiv

Parallel zum Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds wurde im Jahr 1998 auch der tschechische Verein Antikomplex gegründet. Der Verein bemüht sich seit 15 Jahren um eine kritische, tschechische Aufarbeitung der jüngeren nationalen Geschichte, in der bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg auch drei Millionen Deutschböhmen ihren festen Platz hatten. Dazu hat Antikomplex schon mehrere Projekte durchgeführt. Über die gelungensten wie auch die neuesten Projekte gibt der Leiter und Gründer des Vereins, Ondřej Matějka, Auskunft.

Ondřej Matějka  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Herr Matějka, von den unzähligen Projekten, die Ihr Verein in den 15 Jahren seines Wirkens schon auf die Beine gestellt hat: Welches würden Sie als das aus Ihrer Sicht gelungenste bezeichnen und warum?

„Mit das gelungenste Projekt ist wahrscheinlich ´Das verschwundene Sudetenland´. Dafür haben wir seit 2002 alte Bilder aus dem Sudetenland genommen und mit neuen Bildern verglichen, die von der gleichen Position aus aufgenommen wurden. Dieser Vergleich ist eine nüchterne Aussage über die Veränderung im Grenzgebiet, die der Bevölkerungssaustausch nach sich gezogen hat. Somit kann man direkt sehen, was man sonst nur ahnt: dass sich dieser Bevölkerungsaustausch, bei dem sich nach der Vertreibung von drei Millionen Deutschen mehrere Millionen Tschechen angesiedelt haben, im Leben dieser Region widerspiegelt, dass er nachwirkt. Diese Nachwirkung lässt sich mit den vergleichenden Bildern relativ schön und eindeutig visualisieren und damit auch verständlich machen. Das ist eines der Projekte, die sehr gut funktionieren und die auch erfolgreich wurden. Die Wanderausstellung ist zum Beispiel seit zehn Jahren unterwegs, und das dazugehörige Buch wurde in mehreren Auflagen herausgegeben.“

Vertreibung der Sudetendeutschen  (Foto: Bundesarchiv)
Apropos Buch. Sie haben auf der Pressekonferenz, die anlässlich des tschechischen Festaktes zum 15-jährigen Jubiläum des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds in Prag stattfand, erwähnt, dass in Kürze auch ein Buch über die deutsche Minderheit in Tschechien beziehungsweise in der ehemaligen Tschechoslowakei herauskommen soll. Was können Sie dazu sagen?

„In Zusammenarbeit mit der deutschen Minderheit, also mit der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien, geben wir ein Buch zur deutschen Minderheit heraus. Es heißt ´Bei uns verblieben´. Ziel des Buches ist es, auf der Grundlage von 14 Gesprächen die Identität der Deutschen in Tschechien zu schildern. Wir zielen vor allem darauf ab, zu zeigen, dass diese nicht so eindeutig ist. In der Regel geht man davon aus, dass man entweder Deutscher oder Tscheche ist, dass dies von Geburt an so gegeben ist. Doch am Leben dieser Menschen zeigt sich, dass Identität eine viel lebendigere Sache ist. Das steht im Widerspruch zur gängigen Wahrnehmung, wonach man relativ eindeutig bestimmen kann, ob man Deutscher oder Tscheche ist. 1945, nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde entsprechend entschieden, ob man hier in der Tschechoslowakei bleiben durfte oder nicht, das war damals ein ziemlich hartes Kriterium. Dieses Kriterium stellen wir mit diesem Buch infrage. Damit wollen wir auch das Identitätskonzept in Tschechien hinterfragen und zu eigenen Überlegungen anregen.“

Film Karlsbader Reise im Projekt Grenzstreifen  (Foto: absolut MEDIEN GmbH)
Ein weiteres Projekt, das Sie jetzt aufgegriffen und vorgestellt haben, ist das Projekt „Grenzstreifen“. Was hat es damit auf sich?

„Grenzstreifen ist ein Projekt mit dem Goethe-Institut in Prag. Es handelt von der Grenze im Film, das heißt, wie sich die Grenze in den letzten 80 Jahren in Spiel-, Dokumentar- oder Propagandafilmen widergespiegelt hat. Dazu gibt es eine Sammlung von rund 25 Filmen, die die Grenze auf unterschiedliche Art und Weise behandeln. Das kann die konkrete Grenze sein, also die Staatsgrenze, oder aber auch die mentale oder historische Grenze. Es sind tolle Filme, die unter diesem Gesichtspunkt gesammelt wurden und auf einer Webseite zugänglich gemacht werden. Die Filme selbst kann man leider nicht downloaden, das wäre schwierig, aber sie sind dort zumindest aufgelistet. Darauf aufbauend findet dann ein Schulprojekt statt, bei dem wir mit Lehrern Lehreinheiten zu diesen Filmen entwickeln. Diese Lehreinheiten werden dann den Schulen zugänglich gemacht, um auf der Grundlage dieser Filme Unterrichtsstunden gestalten zu können.“