WM verpasst: Tschechiens Fußball zahlt Tribut für Umbruchphase

Qualifikation zur Fußball-Weltmeisterschaft 2018: Tschechien - Deutschland (Foto: Tschechisches Fernsehen)

Die tschechischen Fußballer haben die Teilnahme an der WM 2018 in Russland verpasst. Für das Scheitern der Schützlinge von Nationaltrainer Karel Jarolím gibt es mehrere Gründe.

Qualifikation zur Fußball-Weltmeisterschaft 2018: Tschechien - Deutschland  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Am Dienstag sind in Zürich die Paarungen der Playoffs in der europäischen Qualifikation zur nächsten Fußball-Weltmeisterschaft ausgelost worden. Unter den acht Gruppen-Zweiten, die um die letzten vier Tickets zur WM 2018 in Russland kämpfen, ist Tschechien nicht vertreten. Denn die Schützlinge von Nationaltrainer Karel Jarolím sind in der Gruppe C hinter Deutschland und Nordirland nur Dritter geworden. Schon zwei Spieltage vor Abschluss der Gruppenspiele stand fest, dass sie damit gescheitert sind. Mit den Siegen über Aserbaidschan und San Marino konnten die Kicker nur noch verhindern, dass Tschechien seine schlechteste Qualifikation überhaupt absolviert hat.

Trainer Jarolím musste sich dann auch viel Kritik anhören. Im Tschechischen Fernsehen bezog er indes Stellung zu dem schwachen Abschneiden:

Karel Jarolím  (Foto: Petr Pavel,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Ich kann sicher nicht darüber jubeln, doch ich wusste, dass es kein leichter Weg wird. Nach der letzten Europameisterschaft, bei der Tschechien kaum überzeugte, hat eine Reihe von Spielern in der Nationalelf aufgehört. Danach war es zunächst notwendig, eine neue Mannschaft zu formen.“

Zu den Spielern, die der Nationalmannschaft nach der EM-Endrunde in Frankreich ade sagten, gehörten auch zwei Akteure mit über 100 Länderspieleinsätzen: Torwart Petr Čech und Mittelfeldspieler Jaroslav Plašil. Zudem ist Ex-Kapitän Tomáš Rosický wegen seiner Verletzungsmisere auch keine Alternative mehr. Im Nu fehlte es der neuen Mannschaft also generell an Erfahrung. Pavel Kuka, ehemaliger National- und Bundesligaspieler, kommentiert den abrupten Generationswechsel dann auch sehr kritisch:

„Mein Gefühl sagte mir, dass dieser Umbruch etwas zu spät kommt. Man hätte schon im Verlauf der vorherigen EM-Qualifikation damit beginnen sollen, den Kader nach und nach zu ergänzen und aufzufrischen. Das ist nicht geschehen, umso schwerer wurde es nun für alle in der WM-Ausscheidung.“

Karel Jarolím: „Nach der letzten Europameisterschaft, bei der Tschechien kaum überzeugte, hat eine Reihe von Spielern in der Nationalelf aufgehört. Danach war es zunächst notwendig, eine neue Mannschaft zu formen.“

Und das merkte man dann auch bei einer ganzen Reihe von Gruppenspielen. Einer der Neuen, denen Trainer Jarolím im Verlauf der Qualifikation eine Chance gab, ist der Mittelfeldspieler Jan Kopic:

„Gleich zu Beginn haben wir daheim gegen Nordirland und Aserbaidschan nur zweimal unentschieden gespielt. Wir haben so Punkte liegengelassen, die uns später gefehlt haben“, sagte der 27-jährige Pilsener.

Ähnlich sieht es auch Vladimír Šmicer, der frühere Nationalspieler und ehemalige Manager der Nationalmannschaft:

„Diese beiden Spiele wurden nicht gewonnen, folglich kam das gesamte Team schon früh unter Druck. Und von diesem Druck konnte es sich nicht mehr befreien. Um zur WM fahren zu können, hätten wir gegen diese Gegner zu Hause gewinnen müssen.“

Vladimír Šmicer  (Foto: Adam Kebrt,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Im Vergleich zu seiner Zeit als aktiver Kicker sei es heutzutage indes nicht mehr so leicht, sich als junger Spieler auf der internationalen Bühne zurechtzufinden, betont Šmicer:

„Die jungen Spieler von heute haben es momentan schwer. Im Vergleich dazu konnten sich die Spieler meiner Generationen noch geradezu verstecken hinter den alten Hasen in der Nationalmannschaft. Von den heutigen Talenten wie Jakub Jankto oder Patrik Schick aber wird sofort erwartet, dass sie Tore schießen und Spiele entscheiden. Sie sind erst Anfang 20, doch sie stehen bereits unter Druck.“

Gerade in dieser Umbruchsituation, in der sich die Nationalmannschaft derzeit befindet, fehle es an Persönlichkeiten, moniert Šmicer:

Pavel Kuka: „Mein Gefühl sagte mir, dass dieser Umbruch etwas zu spät kommt. Man hätte schon im Verlauf der vorherigen EM-Qualifikation damit beginnen sollen, den Kader nach und nach zu ergänzen und aufzufrischen.“

„Ich vermisse echte Führungsspieler im Team. Es ist zu sehen, wie der Trainer versucht, die Mannschaft auszurichten, doch es fehlt ihm an Unterstützung. Im Team muss sich erst noch eine Achse von Spielern herausbilden, die Verantwortung übernimmt.“

Trainer Jarolím hat einiges probiert, um diese zu finden und die neue Mannschaft zu formen. Nach Meinung der Funktionäre des Fußballverbandes habe er allerdings dabei viel zu viel rotieren lassen. Während der Qualifikation kamen insgesamt 35 Spieler zum Einsatz, doch nur wenige von ihnen haben alle zehn Spiele bestritten. Viel zu wenige, meint der amtierende Manager der Nationalmannschaft, Jaromír Šetrle:

„Wir haben deutlich gesehen, dass von der Stammformation, die zum Ende der Europameisterschaft und zu Beginn der WM-Qualifikation gespielt hat, nur drei Akteure übriggeblieben sind. Und von den Dreien ist mit Ladislav Krejčí noch einer verletzt. Krejčí hat deswegen bei seinem italienischen Verein in Bologna auch mehrfach ausgesetzt. Also bleiben zwei Spieler, der Rest des Teams wurde neu gebildet.“

Vladimír Darida  (Foto: Vachovec1,  CC BY-SA 3.0)
Die beiden Säulen im Team, von denen Šetrle sprach, sind die Bundesligaprofis Pavel Kadeřábek und Vladimír Darida. Doch leider waren auch ihre Leistungen öfters schwankend, so dass sie der Mannschaft keinen Halt gaben. Vom Mittelfeldmann der Hertha war so auch Vladimír Šmicer etwas enttäuscht:

„Von Darida habe ich ganz einfach mehr erwartet. Ich habe glaubte, dass er ein echter Führungsspieler sein könnte und das Spiel der Mannschaft mehr dirigieren würde. Besonders in den Begegnungen, die wir hätten gewinnen müssen.“

Zu all den Problemen, die sich während der Qualifikation gezeigt haben, zog Manager Šetrle daher abschließend das Fazit:

„Die Neuformierung der Mannschaft war sehr hektisch, auch wenn seit deren Beginn schon ein Jahr vergangen ist. Doch die Lücke, die die ehemaligen Nationalspieler mit ihrem Abgang hinterlassen haben, war auch sehr groß.“

Vladimír Šmicer: „Ich vermisse echte Führungsspieler in der Mannschaft. Im Team muss sich erst noch eine Achse von Spielern herausbilden, die Verantwortung übernimmt.“

Beim Betrachten sämtlicher Pflichtspielergebnisse von tschechischen Teams in den zurückliegenden Jahren sticht indes eines hervor: Den erfolgreichen Auftritten auf dem Weg zu einer EM folgte zumeist ein Scheitern in der WM-Qualifikation. Seit Gründung der Republik 1993, sind tschechische Mannschaften in beiden Wettbewerben jeweils sechs Mal angetreten. Für eine Europameisterschaft hat man sich immer qualifiziert, für die Weltmeisterschaft jedoch nur ein einziges Mal – 2006 in Deutschland. Das Missgeschick, nach einer erfolgreichen Kontinentalmeisterschaft zwei Jahre später schon früh gestrauchelt zu sein, ist selbst den Vize-Europameistern von 1996 passiert. Pavel Kuka, der im Londoner EM-Finale gegen Deutschland mitwirkte, kann sich das bis heute kaum erklären:

EM-Finale 1996  (Foto: YouTube)
„In unserem Team standen damals solch hervorragende Spieler wie Pavel Nedvěd, Karel Poborský, Vladimír Šmicer oder Patrik Berger. Das war eine tolle Mannschaft, die sich eigentlich für die WM hätte qualifizieren müssen und dort sicher auch eine würdige Rolle gespielt hätte. Doch wir haben es nicht geschafft, umso größer war unsere Enttäuschung.“

Der Ärger über das frühe Aus der aktuellen Nationalmannschaft hält sich auch deshalb in Grenzen. Und die Hoffnung steigt, dass der verpatzten WM-Qualifikation nun wieder ein erfolgreiches Abschneiden für die kommende EM im Jahr 2020 folgt. Und die Mannschaft, die man dafür ins Rennen schickt, sollte sich mittlerweile herauskristallisiert haben. Sie sei jünger, aber nun auch etwas reifer, glaubt Šetrle. Das Wichtigste aber ist: Ihr Steuermann bleibt weiter an Bord. Denn trotz aller Kritikpunkte, die man Karel Jarolím in der Einschätzung seiner Arbeit vorgeworfen hat, halten die Verantwortlichen des Verbandes an ihm fest. Denn sie glauben, dass er das Team sehr vielversprechend auf einen neuen Weg gebracht hat. Nun hat der Trainer die Chance bekommen, sein Werk auch zu vollenden. Der Vertrag mit Jarolím wurde bis zur EM-Endrunde im Jahr 2020 verlängert.

Autor: Lothar Martin
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