Täve Schur in Prag: Bin meinem Freund Jan nochmals in Ehre begegnet

Täve Schur (links). Foto: Wim van Rossem, Nationaal Archief Fotocollectie Anefo, CC BY-SA 3.0 NL

Den tschechischen Ausnahmeradfahrer Jan Veselý und die deutsche Radsport-Legende Gustav-Adolf „Täve“ Schur verbindet eine lange Freundschaft. Vor einigen Tagen war Täve in Prag, um das Grab seines bereits verstorbenen Freundes zu besuchen. Radio Prag hat danach mit dem 86-Jährigen gesprochen.

Täve Schur  (Foto: Bundesarchiv,  Bild 183-30479-0002 / Illner / CC-BY-SA 3.0)
Es ist ein schöner, relativ sonniger Herbsttag, den Täve Schur für seine Fahrt nach Prag gewählt hat – Samstag, der 4. November. Und der Mann, der in die Moldaustadt gekommen ist, um seinen einstigen Radsportgegner, Freund und Weggefährten Jan Veselý an dessen letzter Ruhestätte zu besuchen, erfreut sich guter Gesundheit:

„Mir geht es sehr gut. Nur die Knie tun ein bissel weh, doch das ist logisch. Ich war einer, der die großen Gänge gefahren ist, und das führt natürlich dazu, dass die Kniegelenke überbeansprucht werden. Mit zunehmendem Alter hat man dann Probleme. Aber damit kann ich leben.“

Und Täve fügt hinzu:

„Die andere Seite ist: Ich stehe wirklich noch mitten im Leben. Ich bin ehrenamtlich tätig und Ehrenpräsident des Sports von Sachsen-Anhalt. Dort bin ich Mitglied des Ausschusses für Ehrungen und Auszeichnungen. Ich bin im Gemeinderat von Biederitz und mache viele Dinge. Vor allem aber habe ich viel zu tun, wenn ich nach Gesprächen, die mit mir im Rundfunk und Fernsehen geführt werden, haufenweise Briefe von Autogrammsammlern kriege.“

Straßen-Weltmeisterschaften 1959  (Foto: Nationaal Archief Fotocollectie Anefo,  CC BY-SA 3.0 NL)
Die unzähligen Autogrammwünsche kommen nicht von ungefähr, denn in seiner aktiven Zeit begeisterte Täve Schur die Massen. Der Rennfahrer aus Biederitz bei Magdeburg wurde zweimal Weltmeister im Straßen-Einzelrennen, gewann mit der Mannschaft je einmal Silber und Bronze bei den Olympischen Spielen und ist ebenso zweifacher Gewinner der Internationalen Friedensfahrt. Nach den finsteren Jahren des Zweiten Weltkrieges und der harten Zeit danach, zog damals gerade das Etappenrennen zwischen Polen, der Tschechoslowakei und der ehemaligen DDR die Menschen in ihren Bann. Dies war vor rund 70 Jahren durchaus nachvollziehbar, erläutert Täve:

„Die Bedürfnisse in sportlicher Hinsicht wurden bei den Menschen zunächst einmal durch den Radsport geweckt. Allein das Wissen, dass hier eine Tour gefahren wird über die Grenzen hinweg, hat schon Interesse hervorgerufen. Hinzu kam die ausführliche Berichterstattung in Rundfunk und Fernsehen, ganz besonders Heinz Florian Oertel hat sich dabei verdient gemacht. Die Begeisterung aber kannte keine Grenzen: Das konnte man beobachten bei den Polen, den Tschechen und in der damaligen DDR an der Begleitung auf einer Strecke. Von den Zuschauern an den Straßenrändern wurde man unermüdlich angefeuert. Für die Menschen war die Friedensfahrt ein echtes Bedürfnis.“

Täve Schur: „Nach dem Krieg wurden die Bedürfnisse der Menschen in sportlicher Hinsicht vor allem durch den Radsport geweckt. Und die Friedensfahrt erfüllte dieses Bedürfnis.“

Nach sportlichen Gesichtspunkten galt die Friedensfahrt als härtestes Amateur-Etappenrennen der Welt. Doppelsieger Schur kann dies nur bestätigen:

„Die Friedensfahrt war Wettkampf. Bei ihr wurden ständig Vorstöße gefahren, bei denen man aufpassen musste. Du musstest wissen, wer sind die Stärksten im Feld und wie aktiv agieren sie auf jeder Etappe. Du musstest einschätzen, wann sie wirkliche Vorstöße fahren und wann sie nur bluffen. Man wusste aber sofort, wenn es ernst wurde.“

Jan Veselý  (Foto: Bundesarchiv,  Bild 183-30530-0001 / CC-BY-SA 3.0)
Einer von Täves größten Gegnern war Jan Veselý. Der Tscheche war aber gleichzeitig auch einer der fairsten, wenn nicht sein fairster Rivale überhaupt, schildert Täve:

„Das fing an bei einer Etappe, von der ich jetzt nicht weiß, wo sie endete. Bei der Ankunft war ich der Erste im Stadion, aber ich war so dämlich und untrainiert, dass ich die Kurve auf der Aschenbahn nicht gut genommen habe. Dadurch ist Jan an mir vorbeigefahren und hat mich auch danach schlecht aussehen lassen. Das hat mich betroffen gemacht. Nach dem Zieleinlauf aber kam Jan zu mir, hat mir die Hand gegeben und sich fast noch entschuldigt. Ich sagte mir: ´Donnerwetter, das ist ein Mensch´. Andere machen das nicht.“

Aus dieser Geste heraus ist nicht nur gegenseitiger Respekt, sondern nach und nach eine feste Freundschaft zwischen Veselý und Schur erwachsen. Und Täve weiß bis heute, was er an seinem acht Jahre älteren Freund besonders schätzte:

„Wir sind harte Gegner gewesen, doch ansonsten war Jan ein absolut liebenswerter Mensch. Mit seiner Frau hat er mich oft besucht in Magdeburg. Die Begegnungen mit ihm, das waren nach dem Krieg schon gewaltige Erlebnisse für mich. Durch ihn bin ich wirklich ein Freund der Tschechen geworden.“

Täve Schur: „Wir sind harte Gegner gewesen, doch ansonsten war Jan Veselý ein absolut liebenswerter Mensch. Die Begegnungen mit ihm, das waren nach dem Krieg schon gewaltige Erlebnisse für mich.“

Die freundschaftlichen Bande zwischen Schur und Veselý führten unter anderem dazu, dass beide gemeinsam versuchten, die Engpässe der sozialistischen Planwirtschaft zu überwinden. Vor einem Besuch des Freundes bei ihm in Magdeburg habe er beispielweise Veselý gegenüber einen besonderen Wunsch geäußert, sagt Täve:

„Ich fragte ihn, ob er mir nicht eine Kreissägewelle mitbringen könnte. In Magdeburg hatten wir damals nur kleine Wellen vorrätig. Und dann brachte er mir eine wirklich brachiale Welle mit. Sie kam mit einem Armeetransporter und war gut eingepackt. Da kam jemand von der Sicherheit zu mir und fragte: Was hat denn der da drin? Hat er vielleicht eine Zwei-Zentimeter-Flak an Bord? (Täve lacht). Das waren so die kleinen Geschichten, die uns verbanden.“

Jan Kubr  (Foto: Bundesarchiv,  Bild 183-30372-0003 / CC-BY-SA 3.0)
So lustig wie bei der geschilderten Episode war es jedoch nicht immer. Vor allem nicht nach der Friedensfahrt 1957. Denn da durchlebte Jan Veselý das bittere Ende seiner großen Karriere. Zu dieser Tour war er nicht bei bester Gesundheit gestartet, denn er hatte Rückenprobleme. Doch er wurde, wie es seinerzeit in der ČSSR üblich war, mit einer Art politischem Auftrag dazu verdonnert, bei diesem Rennen anzutreten. Das gleiche galt für Veselýs Teamgefährten Jan Kubr, einen damals exzellenten Sprinter, der nach einer Operation auch noch nicht völlig genesen war. Ihren gesundheitlichen Defiziten zahlten beide Tribut, und so haben sie auf der Etappe von Leipzig nach Berlin das Rennen aufgegeben. Das hatte unerklärlich harte Konsequenzen. Ihre Aufgabe wurde als „Verrat an der Arbeiterklasse“ hingestellt, beide wurden für zwei Jahre gesperrt und durften nie mehr für die Nationalmannschaft fahren.

Gerade in dieser schweren Zeit stand Täve Schur seinem Freund Jan eng zur Seite. Und die Bestrafung Veselýs ist ihm bis heute fremd:

„Das war meiner Meinung nach eine Fehlentscheidung. Ich habe mich aber zu Jan Veselý weiter so verhalten, wie er sich mir gegenüber gezeigt hat.“

Vor gut einer Woche war Täve nun erneut in Prag, um die Erinnerungen an seinen alten Weggefährten ein weiteres Mal wach werden zu lassen:

Täve Schur  (Foto: YouTube)
„Meine Begleiter und ich waren heute an seiner Grabstätte. Wir hatten uns entsprechend vorbereitet. Es war mir ein Bedürfnis, meinem alten Freund dort nochmals in Ehre zu begegnen. Das habe ich schon vor ein paar Jahren getan und heute wieder.“

Bei dem Besuch der Grabstätte war auch der Sohn des Freundes, Jan Veselý junior, zugegen. Im Gespräch für das Tschechische Fernsehen untermauerte der Sohnemann nochmals, dass Täve für seinen Vater eine echte Stütze war:

„Als mein Vater angeblich die Arbeiterklasse verraten hatte und er mit Jan Kubr vom Radsport suspendiert wurde, war Täve der Einzige, der zu ihm nach Prag kam. Demgegenüber sind meinem Vater hierzulande plötzlich ziemlich viele Menschen aus dem Weg gegangen. Täve war da anders, denn immer wenn er in Prag war, hat er uns zu Hause besucht.“

Jan Veselý junior: „Als mein Vater angeblich die Arbeiterklasse verraten hatte und er mit Jan Kubr vom Radsport suspendiert wurde, war Täve der Einzige, der ihn in Prag besuchte.“

So wie Täve Schur seine Freundschaft zu Jan Veselý stets gepflegt und nie in Zweifel gestellt hat, genauso will er das Radfahren bis ins hohe Alter nicht missen. Dank dieser Leidenschaft ist das Sport-Idol vergangener Jahre auch mit 86 Jahren noch erstaunlich fit. Sein Leitspruch ist: Jegliches Sitzen, ob im Auto, im Büro oder auf der Couch zu Hause, ist verlorene Lebenszeit. Deshalb gibt der rüstige Rentner gerade den Bewegungsmuffeln noch einen gut gemeinten Rat:

„Das beste Sitzen, ist das Sitzen auf dem Fahrrad. Da tut einem zwar der Hintern weh, aber den Weg, den ich gefahren bin, habe ich aus eigener Kraft zurückgelegt. Dabei habe ich frische Luft geatmet, habe Sauerstoff inhaliert, und ich habe etwas erlebt, was ein Autofahrer so nie erleben kann.“

Autor: Lothar Martin
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