Miro Kadlec: Tschechiens Fußball läuft seinen Erfolgen schon zu lange hinterher

Miroslav Kadlec (Foto: David Sedlecký, CC BY-SA 4.0)

Manche werden Miroslav Kadlec noch kennen. Acht Jahre lang spielte der tschechische Fußballer für den 1. FC Kaiserslautern. Zudem führte er das Team seines Landes bei der EM 1996 ins Finale gegen Deutschland.

Miroslav Kadlec  (Foto: David Sedlecký,  CC BY-SA 4.0)
Vor einigen Jahren haben die tschechischen Nationalspieler von damals eine wohltätige Organisation gegründet. Sie sammelt Geld für andere ehemalige verdienstvolle Fußballer, die Hilfe brauchen. Bei der jüngsten Zusammenkunft des sogenannten Czech Team 96 ergab sich die Möglichkeit zu einem Interview mit Miroslav Kadlec. Radio Prag hat mit dem 53-Jährigen über den deutschen und den tschechischen Fußball gesprochen.

Im Gespräch gibt Miroslav Kadlec gleich zu verstehen, dass er sich nach wie vor einer guten Gesundheit erfreue. Dazu beitragen würden auch Golf und Tennis. Dies seien zwei Sportarten, die er bis heute regelmäßig ausübe, weil man sie auch noch in seinem Alter mit Freude betreiben könne, so Kadlec. Beruflich tätig ist der frühere Libero immer noch für Sportinvest, der größten Spieleragentur in Tschechien. Dort sei er Regionalmanager für deutschsprachige Länder, erklärt Kadlec, und antwortet dann auch auf die Fragen zu seinem Fachgebiet, dem Fußball.

Herr Kadlec, es sind jetzt 21 Jahre her, als Sie in London das EM-Finale gegen Deutschland verloren haben und somit Vize-Europameister geworden sind. Was hat sich in diesen 21 Jahren im Fußball geändert?

EM-Finale 1996 gegen Deutschland  (Foto: YouTube)
„21 Jahre sind eine Menge Holz, und der Fußball hat sich in dieser Zeit sehr stark verändert. Das sieht man jedes Wochenende auf den Plätzen. Doch das ist ganz normal.“

Wenn wir aber ganz konkret auf die EM-Finalisten von 1996 eingehen, so würde ich sagen: Deutschland ist oben geblieben und hat sich in der Breite sogar noch verbessert. Bei Tschechien aber ist es immer weiter abwärts gegangen. Warum?

„Das ist ganz einfach: Deutschland hat über 80 Millionen Einwohner, Tschechien dagegen nur zehn Millionen. Der Fußball in Deutschland hat zudem einen ganz anderen Stellenwert als der in Tschechien. So wird in deutsche Fußball-Akademien auch viel mehr Geld gesteckt als in tschechische, das kann man nicht miteinander vergleichen. Man kann es aber auch so sehen: In den Jahren 2004 und 2006, als Tschechien sowohl an der EM als auch der WM teilnahm, war die Fußballwelt auch bei uns noch in Ordnung. Danach aber ging es jedes Jahr ein Stück bergab. Jetzt sind wir im Jahr 2017 und man sieht, dass der Unterschied mittlerweile enorm groß geworden ist. Man merkt, was innerhalb von zehn bis zwölf Jahren passiert, wie schnell es geht, wenn man den Trend verpasst. Ich hoffe, dass wir auch wieder bessere Zeiten erleben werden. Das aber wird sicher noch eine bestimmte Zeit dauern.“

Miro Kadlec: „In den Jahren 2004 und 2006, als Tschechien sowohl an der EM als auch der WM teilnahm, war die Fußballwelt auch bei uns noch in Ordnung. Danach aber ging es jedes Jahr ein Stück bergab.“

Ich kann es bestätigen: 2004 bei der EM-Endrunde in Portugal war Tschechien noch die spielerisch stärkste Mannschaft des Turniers und ist so auch ziemlich unglücklich gegen Griechenland im Halbfinale gescheitert. Das war die Zeit eines Pavel Nedvěd, eines Karel Poborský oder eines Tomáš Rosický in seinen jungen Jahren, ohne Verletzungen. Was ist danach passiert? Ist der Nachwuchs nicht mehr so stark? Oder haben es junge tschechische Spieler heute schwerer, sich international durchzusetzen?

„Es ist richtig: Aus dem Nachwuchs kommt zu wenig. Die Nachwuchs-Akademien entwickeln zu wenig gute Spieler, und ihre Qualität ist auch nicht mehr so hoch wie früher. Zudem funktioniert die Welt heute ganz anders als beispielsweise in den 1980er und 90er Jahren. Damals haben viele junge Leute im Profi-Fußball oder -Eishockey eine gute Möglichkeit gesehen, sich durchzusetzen und sich ein schönes Leben aufzubauen. Heute aber fällt das der Jugend schwerer, auch weil sie weiß: Fußball oder Eishockey tut mitunter weh. Heute stehen für Jugendliche vielmehr das Handy und das I-Pad im Vordergrund, und sie betreiben den Sport nur noch auf passive Weise via I-Box oder Playstation. Regelmäßig nach draußen an die frische Luft aber gehen nur noch die Wenigsten. Daraus resultiert auch für uns das Problem, dass wir zu wenig Nachwuchsspieler haben.“

Foto: Glen Bowman on Foter.com / CC BY-SA
Sie sagen also auch, es ist eine traurige Entwicklung, dass die Kinder heute viel lieber Weltmeister in einem Playstation-Sportspiel werden wollen als auf dem Fußballplatz…

„…Ganz genau. Denn das ist ja auch einfacher, als auf dem Platz zu rennen und zu kämpfen. Und es tut weh. Doch man muss doch auch ab und zu auch mal schwitzen, oder?“

An der Playstation-Konsole fehlt letztlich die Stimmung, und so kann man das Erlebnis Fußball auch nicht ersetzen, oder?

„Das stimmt. Doch ich muss auch sagen: In Deutschland ist Fußball weiterhin ein Phänomen. Ich brauche nur auf die vollen Stadien zu blicken, und auch die Bundesliga hat sich enorm entwickelt. Zudem steckt viel Geld im Fußball, all das gehört dazu.“

Sie sprechen es an: Phänomen Fußball-Deutschland. Wie haben Sie damals Ihre Zeit in Kaiserslautern erlebt? Was hat Ihnen der Fußball in der Pfalz gegeben?

Miro Kadlec: „Die Nachwuchs-Akademien entwickeln zu wenig gute Spieler, und ihre Qualität ist auch nicht mehr so hoch wie früher. Zudem funktioniert die Welt heute ganz anders als beispielsweise in den 1980er und 90er Jahren.“

„Für mich war es die beste Zeit in meiner Karriere, es waren acht Jahre von 1990 bis 1998. Und ich denke, dies war höchstwahrscheinlich auch die beste Zeit des 1. FCK. Man braucht nur auf einen Wimpel mit den Erfolgen des FCK zu schauen und man sieht, über die Hälfte dieser Erfolge stammt aus den 1990er Jahren. Deshalb war es auch eine Superzeit für mich. Erst recht, wenn man sich anschaut, wo der FCK heute spielt. Das stimmt mich sehr traurig.“

Sind Sie ab und zu noch bei Spielen in Kaiserslautern zugegen oder haben Sie keine Zeit mehr dafür?

„Sehr wenig, vielleicht einmal im Jahr. Natürlich ist auch die zweite Liga nicht so interessant wie die erste Bundesliga. Zu meiner Zeit war dies nahezu undenkbar. Für mich gehört Kaiserslautern einfach in die Bundesliga, vom Stadion und auch vom Umfeld her. Doch wahrscheinlich haben dort in jüngster Zeit immer wieder die falschen Leute das Sagen gehabt.“

Miro Kadlec: „In Deutschland ist Fußball weiterhin ein Phänomen. Ich brauche nur auf die vollen Stadien zu blicken, und auch die Bundesliga hat sich enorm entwickelt. Zudem steckt viel Geld im Fußball, all das gehört dazu.“

Stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, dass heutzutage auch das Geld viel stärker mitentscheidend ist für den Erfolg oder Misserfolg als früher. Allein wenn man sieht, was da arabische Ölscheichs in englische Clubs reinstecken, oder wenn man auf Vereine wie Ingolstadt oder Hoffenheim schaut. Diese werden von starken Konzernen oder Mäzenen geführt, Kaiserslautern aber ist eher so eine kleine Oase in der Provinz geblieben. Oder sehen Sie das anders?

„So ist es wahrscheinlich. Wie gesagt, es ist einfach traurig, dass Lautern heute nicht mehr das ist, was es früher einmal war. Für mich ist das unverständlich. Auch weil ich weiß, dass zu Heimspielen des FCK stets Zigtausende Fans aus einem Umkreis von zirka 100 Kilometern kamen. Damals war die Stimmung einfach super, weil wir zu Hause eine Macht waren und weil wir auch fast immer in der oberen Tabellenhälfte der ersten Bundesliga zu finden waren. Heute aber darf ich gar nicht auf die Tabelle schauen, denn Lautern steht ganz unter in der zweiten Liga.“

Miroslav Kadlec  (Foto: YouTube)
Kommen wir noch einmal zum tschechischen Fußball. Sie haben in unserem Gespräch gesagt, dass es hierzulande nicht so richtig läuft mit dem Nachwuchs und den Akademien, in denen er ausgebildet wird. Was könnte denn diesbezüglich der tschechische Fußball gemessen an seinen Möglichkeiten vom deutschen lernen?

„Von den Deutschen kann man natürlich viel lernen. Doch wir müssen uns an anderen Ländern orientieren, die von der Größenordnung mit uns in etwa identisch sind, wie zum Beispiel die Schweiz. Es gibt immer wieder etwas zu verbessern, doch es ist leider schwierig geworden, vieles davon auch zu verwirklichen. Es fehlt uns an Fachleuten, vor allem an Jugendtrainern. Doch gerade das ist das Wichtigste. Denn es geht darum, dass die Kinder-, Jugend- und Nachwuchsspieler richtig betreut werden. Da müssen wir anfangen! Teure Stars zu kaufen, halte ich dagegen für falsch. Doch es wird ganz schwierig, an die erfolgreichen Jahre anzuknüpfen. Sie liegen leider schon etwas zu weit zurück.“

Autor: Lothar Martin
schlüsselwort:
abspielen