Ein tragisches Schicksal: das letzte Masaryk-Denkmal und sein Bildhauer

Kopie des Masaryk-Denkmals in Jihlava (Foto: Markéta Kachlíková)

Die Denkmäler, Büsten und Statuen des ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk: Sie wurden und werden sie als Symbole der ersten Tschechoslowakischen Republik und Demokratie errichtet und verehrt. Dies galt in der Zwischenkriegszeit, später in einer kurzen Zeitspanne vom Mai 1945 bis Februar 1948 und dann wieder erst nach der Wende von 1989. Während der nationalsozialistischen Besatzung und dann in der Zeit des Kommunismus wurden sie wegen dieser Symbolik verboten, beseitigt und zerstört. Das Masaryk-Denkmal in Jihlava / Iglau wurde von Jaroslav Šlezinger geschaffen. Den Bildhauer und sein Werk erwartete allerdings ein tragisches Schicksal.

Marie Bohuňovská vor der Kopie des Masaryk-Denkmals von Jaroslav Šlezinger in Jihlava  (Foto: Markéta Kachlíková)
Wie in vielen Städten der Tschechoslowakei stand auch in Jihlava / Iglau seit 1934 ein Masaryk-Denkmal, geschaffen von Jan Štursa. Die Bronzeplastik ist Ende der 1930er Jahre verschwunden. Wie in vielen anderen Städten, wurde auch hier nach Kriegsende ein neues Masaryk-Denkmal errichtet. Allerdings kam es dazu erst in der Zeit, als ähnliche Standbilder an anderen Orten bereits entfernt wurden. Das wahrscheinlich letzte Masaryk-Denkmal wurde am 12. September 1948 enthüllt, sieben Monate nach der kommunistischen Machtübernahme im Februar des Jahres.

12. September 1948: das letzte Masaryk-Denkmal

„Die Denkmalenthüllung wurde von einem großen Menschenauflauf begleitet. Die Leute spürten damals schon den Einfluss der Kommunisten im Lande und verstanden die Enthüllung als Demonstration für Freiheit und Demokratie.“

Jaroslav Šlezinger  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Dies erzählt Marie Bohuňovská. Sie lebt heute in Iglau und hat ein Buch über den Bildhauer Jaroslav Šlezinger verfasst. Gerade dieser hatte das neue Denkmal geschaffen. Bohuňovská zufolge war es das Renommee des Künstlers, dank dem das Masaryk-Bildnis im September 1948 noch enthüllt werden konnte.

„Angesichts der Persönlichkeit des Bildhauers konnten es sich die Kommunisten nicht leisten, die Fertigstellung der Statue zu verbieten. Die Iglauer haben darauf gewartet.“

Die Presse begrüßte damals das „fröhliche Ereignis“:

Tomáš Garrigue Masaryk | Foto: Josef Jindřich Šechtl,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0
„Die Bürger von Iglau ehrten das Andenken des ersten Präsidenten der Republik T. G. Masaryk durch die Enthüllung seines Denkmals. Bereits in den frühen Morgenstunden versammelte sich ein vielköpfiger Umzug aller Vereine, Organisationen, Schulen und des Bürgertums vor dem Haus der tschechoslowakischen Legionen. Von dort aus begab er sich durch die Straßen der Stadt in die Jan-Masaryk-Allee, wo die Hauptfeier stattfand. Begleitet wurde die Parade von Militärmusik und sie wurde herzlich begrüßt von den Bürgern. 3000 Menschen versammelten sich am Platz vor dem Denkmal, an dem eine Ehrenwache gehalten wurde.“

Der Bildhauer Jaroslav Šlezinger kam Ende 1942 nach Iglau. Er stammte aus der Kleinstadt Jemnice / Jamnitz an der böhmisch-mährischen Grenze. Nach seinem Studium an der Akademie der bildenden Künste in Prag wirkte er als Professor in Brno / Brünn. Dort wurde er 1939 bei einer Razzia im Studentenwohnheim gemeinsam mit seinen Studenten verhaftet und ins KZ Sachsenhausen-Oranienburg geschickt. 1942 wurde er dank einer Fürsprache von Staatspräsident Hácha freigelassen. In Iglau nahm er zunächst Aufträge an, später nahm er eine verlassene Spielzeugfabrik erneut in Betrieb.

Verwehte Spuren

‚Verwehte Spuren‘  (Foto: Markéta Kachlíková)
Auf dem Friedhof von Iglau finden sich bis heute mehrere Grabsteine von Jaroslav Šlezinger. Dabei handelt es sich um Auftragsarbeiten für die dortigen Familien. Vor allem aber ein monumentales Denkmal für die Opfer des Widerstandes, das er nach dem Zweiten Weltkrieg für die Stadt schuf: die „Verwehten Spuren“.

„Die erste Version der ‚Verwehten Spuren‘ entstand im KZ. Er modellierte die Figurengruppe aus Brot, einem gängigen Material der Häftlinge. Anlass dazu war ein Brief. Seine Verlobte Maňulka und seine Mutter kümmerten sich im Atelier um seine Sachen. Maňulka beschrieb, dass im verstaubten Atelier ihre Spuren auf dem Boden blieben.“

„Der Staub setzt sich auf alles nieder, und du kommst nicht zurück“, schrieb damals Maňulka an Šlezinger ins KZ.

Iglauer Gymnasium  (Foto: Markéta Kachlíková)
„Er schuf eine Figurengruppe, in der sich zwei Gestalten – seine Mutter und seine Verlobte – aneinander drücken. So wie die Wolken am Himmel, die für ihn im Lager die Freiheit bedeuteten.“

Nach den ‚Verwehten Spuren‘ aus dem Jahr 1946 nahm Šlezinger die Arbeit an der Masaryk-Skulptur auf. Im September 1948 folgte die Enthüllung des Denkmals vor dem Iglauer Gymnasium. In der Presse wurde damals eine feierliche Rede zitiert:

„Wir denken an das Leben von T. G. Masaryk, an sein Werk und alle Werte, die er uns und der ganzen Welt als Erbe hinterlassen hat. Die Verdienste von T. G. Masaryk waren so groß, dass sie von unserem gesamten Volk geschätzt werden.“

Statue des heiligen Wenzel in der Mariä-Himmelfahrts-Kirche in Jihlava  (Foto: Markéta Kachlíková)
Bald sollte aber mit der Huldigung an Masaryk Schluss sein. Und der Bildhauer hatte nur noch ein Jahr freien Lebens vor sich. In dieser Dämmerzeit setzte er sein Schaffen fort:

„Um in dieser undemokratischen Zeit das Volk zu stärken, schuf der tief gläubige Künstler eine Statue des heiligen Wenzel. Er brachte sie dann in die Mariä-Himmelfahrts-Kirche, wo sie versteckt werden sollte. Die Minoriten haben sie aber nicht verdeckt, sondern hoch neben dem Kircheneingang platziert. Dort konnte sie bis heute bleiben.“

Im September 1949 wurde der Bildhauer verhaftet. 1950 folgte ein Schauprozess gegen 23 Personen aus Iglau und Umgebung.

„Die Angeklagten druckten Flugblätter und verlangten freie Wahlen unter Aufsicht der Vereinten Nationen. Das war der Vorwurf.“



Todeslager nahe Jáchymov  (Foto: Jiří Paclík,  Public Domain)
Einer kleineren Gruppe warf man außerdem vor, sie habe den Mord am Bezirkssekretär der kommunistischen Partei geplant. Schließlich wurden in dem Prozess drei Todesstrafen verhängt. Šlezinger wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt. Er kam in das sogenannte Todeslager nahe Jáchymov / Joachimsthal im Erzgebirge. Dort arbeitete er wie auch andere Häftlinge in den Uran-Gruben.

Im Todesturm

„Er war im sogenannten Todesturm tätig. Das Uran wurde dort in Kisten verladen und mit dem Zug in die Sowjetunion transportiert. Die Häftlinge arbeiteten dort unter furchtbaren Bedingungen, ganz ohne Schutz. Das Pulver aus dem Uranerz wurde in Behältern aufgefangen. Einmal ging ein solcher kaputt und musste gereinigt und repariert werden.“

Foto: Markéta Kachlíková
Der Bildhauer Jaroslav Šlezinger wurde für diese Aufgabe bestimmt.

„Ich trat in die Buden ein. Mit einem Gebet habe ich die Verschlüsse geöffnet. Alles sah schlicht und schuldlos aus. Die 20 Zentimeter dicke Feinpulverdecke begrüßte mich mit Stille. Tausende Todesstrahlen wirkten unsichtbar. Kein Schmerz, nur ein schwacher Geruch von verdorbener Luft. Sonst nichts.“

Dies schrieb Šlezinger später an seine Frau. Wenige Tage nach der Reinigung der Pulverbehälter brach bei ihm die Strahlenkrankheit aus. Dennoch erwartete den schwerkranken Bildhauer noch eine letzte Etappe seiner künstlerischen Arbeit. Im naheliegenden Ostrov wurde damals eine neue, sozialistische Stadt gebaut:

Figurengruppe für das Kulturhaus in Ostrov  (Foto: Archiv des Kulturhauses)
„Er wurde aus dem Gefängnis entlassen und arbeitete an der Ausschmückung des Kulturhauses. Seine Figurengruppe steht bis heute an der dortigen Fassade. Es ist ein Werk im Stil des sozialistischen Realismus. Da er aber ein guter Bildhauer war, hat es bis heute einen hohen Wert. Das Gesicht der dargestellten Frau ist das seiner geliebten Ehefrau Maňulka.“

Neben der Figurengruppe für das Kulturhaus schuf er kleine Reliefs des Kreuzwegs. Sie werden heute in Ostrov ausgestellt.

Blumen am Sockel

Šlezinger starb am 2. August 1955. Ein Freund aus dem Lager sorgte nach der Freilassung für seine Frau Maňulka – wie es zwischen den Häftlingen abgemacht war. Später heiratete er sie sogar. Marie Šlezingerová konnte noch die Rehabilitierung ihres Mannes erleben und starb 2010 im Alter von 102 Jahren. Das Masaryk-Denkmal in Iglau hat seinen Bildhauer nur um sechs Jahre überlebt:

Detailaufnahme Sockel mit einer Gedenktafel  (Foto: Markéta Kachlíková)
„Im Jahr 1961 wurde Masaryk weggetragen. Um Proteste zu vermeiden, wurde das geheim, bei einer nächtlichen Militärübung gemacht. Die Statue verschwand, es blieb nur der Sockel. Die Menschen haben aber auch an diesem Sockel Blumen niedergelegt, daher wurde er später ebenfalls beseitigt.“

Nach der Wende von 1989 wurden die früheren Masaryk-Denkmäler an vielen Orten des Landes wieder zurückgebracht. Bei dem Werk von Šlezinger war das nicht möglich: Die Statue wurde vernichtet. Auf Initiative von Marie Bohuňovská wurde der Verein für die Wiedererrichtung des Masaryk-Denkmals in Iglau gegründet. Dank einer öffentlichen Spendensammlung konnte eine Kopie des ursprünglichen Standbilds geschaffen werden. Das Denkmal wurde am 28. Oktober 2011 im Park vor dem Gymnasium enthüllt.

„Wir treffen uns regelmäßig am Masaryk-Denkmal, zünden dort Kerzen an und singen. Wir feiern dort die Gründung der Tschechoslowakischen Republik und gedenken Václav Havel, den wir ebenso verehren. Es ist ein neuer Treffpunkt in Iglau.“

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