„Wir müssen die Toten ruhen lassen“ – Denkmal für den ältesten bekannten jüdischen Friedhof

Foto: Martina Schneibergová

Wenn in Prag die Rede ist von einem jüdischen Friedhof, fällt jedem zuerste der Alte jüdische Friedhof ein, der sich im ehemals jüdischen Viertel Josefov / Josefstadt befindet. Der älteste bekannte jüdischer Friedhof lag jedoch woanders – an einem Ort zwischen den Straßen Spálená und Jungmannova. Seit Mittwoch erinnert ein Denkmal daran, dass dort unter der Erde die sterblichen Überreste einiger Generationen von Prager Juden liegen.

Jan Munk  (1. von links) und Karol Sidon  (2. von links). Foto: Martina Schneibergová
Heute ist es keine ruhige Ecke mehr. Aus dem Kaufhaus Quadrio strömen Leute in alle Richtungen. Von der Straße Spálená sind die Straßenbahnen zu hören. An der Ecke der Straßen Vladislavova und Purkyňova versammelten sich am Mittwochnachmittag mehrere Menschen, darunter Vertreter der tschechischen jüdischen Gemeinden, Rabbiner aus dem Ausland und Kommunalpolitiker. Sie trafen an einem Ort zusammen, wo sich bereits im 13. Jahrhundert ein jüdischer Friedhof befand. Dieser wurde 1478 geschlossen. Der Vorsitzende der Prager jüdischen Gemeinde, Jan Munk, erläutert:

“Man hat geglaubt, dass die sterblichen Überreste aus den Gräbern damals auf den heutigen alten jüdischen Friedhof übertragen wurden. Als vor 20 Jahren die Baubewilligung ausgestellt wurde, um Bürogebäude in dieser Straße errichten zu können, mussten archäologische Forschungen durchgeführt werden. Dabei wurden Skelettfragmente gefunden. Dieser Fund entfesselte eine Reihe von Ereignissen. Im Jahre 2000 wurde der Ort schließlich vom Kulturministerium zum Kulturdenkmal erklärt.“

Denkmal zur Erinnerung an den jüdischen Friedhof  (Foto: Martina Schneibergová)
Nach 16 Jahren wurde nun an diesem Ort ein Denkmal installiert. Dazu Jan Munk:

„Das Denkmal wird uns an unsere Vorfahren erinnern, die auf einem Friedhof ruhen, der unversehrt geblieben ist. Ihre Seelen sollen für uns bitten.“

Danach folgte die feierliche Einweihung des Denkmals. Das Monument hat Jan Munk zusammen mit Landesrabbiner Karol Sidon und mit ausländischen Gästen enthüllt.

Nach dem Gebet mit Rabbiner Michael Duschinsky haben sich die Versammelten das Denkmal, das Architekt Richard Sidej entworfen hat, näher angeschaut. Zu Sinn und Zweck des Denkmals sprachen wir mit Landesrabbiner Karol Sidon:

Den Friedhof hat König Vladislav schließen lassen  (Foto: Public Domain)
„Für mich bedeutet die Enthüllung des Denkmals das Ende einer langen Zeit, während der das Monument auf einem Hof stand. Wir haben uns sehr bemüht, die ganze Sache zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Jetzt ist es endlich gelungen.“

Weiß man über den Friedhof etwas mehr als nur, wann er geschlossen wurde?

„Den Friedhof hat König Vladislav schließen lassen. Er wollte hier eine Straße errichten, die zur Prager Burg führen sollte. Wir wissen viel über das Ende des Friedhofs, aber kaum etwas über die Anfänge. Wichtig ist, dass in den alten Urkunden Prag als Stadt ‚mezi grady‘ – ‚zwischen den Burgen‘ bezeichnet wurde, das heißt zwischen dem Vyšehrad und dem Hradschin. Der Friedhof lag genau in der Mitte. Darum glaube ich, dass sich auch die jüdische Gemeinde nicht weit entfernt davon befand. Zudem gibt es ein Gebet zum Jom Kippur, in dem die Rede davon ist, dass die Toten auf diesem Friedhof während eines Pogroms entheiligt wurden. Das passierte am Ende des 14. Jahrhunderts, also noch vor den Hussiten-Kriegen. Nachdem der neue jüdische Friedhof errichtet wurde – heute ist es der alte Friedhof – wurden die Toten von diesem Friedhof dorthin übertragen. Wir haben darum gedacht, dass sich hier unter der Erde nichts mehr befindet. Aber während der Bauarbeiten zeigte es sich, dass es hier sterbliche Überreste gibt und dass hier die Toten ruhen. Wir müssen sie hier nun auch ruhen lassen.“

Ist es nach dem jüdischen Gesetz nicht mehr möglich, die sterblichen Überreste anderswo zu bestatten?

„Das jüdische Gesetz sagt, dass eine Exhumation nur in dem Fall möglich ist, wenn wirklich droht, dass sie durch etwas zerstört werden könnten. Die Leute haben dank dieser langen Geschichte um den Friedhof erkannt, dass es doch eine Sache des Anstands ist, die Friedhöfe in Ruhe zu lassen.“