Stiftung "Vize 97" eröffnet renovierte St. Anna-Kirche

Die St. Anna-Kirche (Foto: Martina Schneibergova)

"Prager Kreuzung" werden die vor kurzem eröffneten historischen Räumlichkeiten der einstigen St. Lorenz-Kirche genannt. Die für die meisten Prager bislang unbekannte Sehenswürdigkeit wurde von der Stiftung Vize 97 renoviert, die von Ex-Präsident Václav Havel und seiner Frau Dagmar gegründet wurde. Im folgenden Spaziergang durch Prag laden Sie Martina Schneibergova und Lothar Martin in das Objekt ein, das bislang in keinem Stadtführer beschrieben wurde.

Die St. Anna-Kirche  (Foto: Martina Schneibergova)
Das fast in Vergessenheit geratene Gebäude ist unter den Pragern eher als die St. Anna-Kirche bekannt. Sie befindet sich auf dem gleichnamigen Platz in der Altstadt unweit des Theaters am Geländer. Die vom ehemaligen tschechischen Präsidenten Havel und seiner Frau gegründete Stiftung Vize 97 hat die renovierten Räumlichkeiten vor kurzem eröffnet. An Václav Havels Geburtstag im Oktober wird dort jedes Jahr der von dieser Stiftung vergebene gleichnamige Preis verliehen. Das Ursprüngliche, was man heute in der Kirche sehen kann, stammt aus der Zeit Karls IV. Dem Architekturhistoriker Zdenek Lukes zufolge gehört das wertvolle mittelalterliche Gebäude im internationalen Vergleich zu den am stärksten gefährdeten historischen Bauwerken:

Die St. Anna-Kirche  (Foto: Martina Schneibergova)  (Foto: Martina Schneibergova)
"Nach dem Chronisten Václav Hájek von Libocany wurde hier im Jahre 927 die St. Lorenz-Kirche gegründet. Beweise dafür stammen jedoch erst aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Im Jahre 1232 haben sich an diesem Ort angeblich die Tempelherren niedergelassen. Sie bauten die ursprüngliche Rotunde in die Form eines Gottes-Grabs um. Als der Tempelherrenorden 1312 aufgelöst wurde, fiel ihr Eigentum dem Johanniterorden zu. Kurz danach wurde jedoch der Hof der Tempelherren den Dominikanerinnen von St. Anna vom Laurenziberg verkauft. In diesem Augenblick taucht hier der Name St. Anna zum ersten Mal auf. Der Kauf wurde von König Johannes von Luxemburg und später auch von Kaiser Karl IV. bestätigt. Das Nonnenkloster übersiedelte hierher und sollte später eine wichtige Rolle spielen."

Das Fresko in der St. Anna-Kirche  (Foto: Martina Schneibergova)
Um das Jahr 1325 wurde die heutige Kirche erbaut. Es handelte sich um einen gotischen Bau mit einem Schiff und einem großen Chor. Dies hing damit zusammen, dass die Nonnen in sehr strenger Klausur lebten und während der Gottesdienste oben standen. Ein Rätsel bleibt, wieso diese Kirche die Plünderungen der Hussiten überlebte. Auch wenn viele Kirchen in der Umgebung von ihnen niedergebrannt wurden, fiel diese Kirche keinem Brand zu Opfer. Zdenek Lukes dazu:

"Diese Kirche wurde als einzige Kirche nicht in Brand gesetzt. Dank dessen sind die wertvollen gotischen Dachstühle erhalten geblieben. Es wird über die Gründe spekuliert, warum die Kirche verschont wurde. Neben verschiedenen Legenden kann auch die folgende Tatsache eine Rolle gespielt haben: In diesem Kloster wurden Nonnen aus allen Prager Stiften konzentriert. Die Kirche wurde also wahrscheinlich aus praktischen Gründen nicht verbrannt. Die Nonnen waren jedoch gezwungen, utraquistisch zur Kommunion zu gehen. Im Jahre 1553 starb der Chronist Václav Hájek von Libocany in diesem Kloster und wurde in der hiesigen Kirche bestattet."

Im Jahre 1727 wurde das Interieur der Kirche im Barockstil renoviert - höchstwahrscheinlich nach Plänen des namhaften Barockarchitekten Frantisek Maxmilian Kanka. 1782 begann dann für die Kirche eine schwierige Zeitspanne. Zdenek Lukes dazu:

Eva Jiricna und Zdenek Lukes  (Foto: Martina Schneibergova)
"Unter Josef II. wurde das Kloster aufgelöst und die Gebäude wurden für 19.000 Gulden verkauft. Das Objekt ging in die Hände des Hofdruckers Jan Ferdinand von Schönfeld über, der hier 1816 eine Druckerei errichtete. Die Kirche wurde schwer beschädigt. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde das gotische Gewölbe niedergerissen. Mit archäologischen Ausgrabungen begann man hier verhältnismäßig spät - erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts."

1962 begann hier Restaurator Professor Toron zu arbeiten, der die Fragmente der ursprünglichen gotischen Wandgemälde freilegte. In den achtziger Jahren und Anfang der Neunziger wurden vor allem auf dem Dach und dem Dachstuhl Renovierungsarbeiten durchgeführt. Diese Arbeiten entsprachen Lukes zufolge nicht den von Experten gestellten Forderungen und haben das Gebäude eher beschädigt als ihm genutzt.

Das Fresko in der St. Anna-Kirche  (Foto: Martina Schneibergova)
Mit der Kirche sind Namen einiger namhafter Persönlichkeiten verbunden. Neben dem bereits erwähnten Chronisten Václav Hájek von Libocany kann man den Komponisten Christoph Willibald Gluck erwähnen, der hier auftrat. Die Schriftstellerin Karolina Svetlá wohnte im hiesigen Klostergebäude. Der Schriftsteller und Verleger Václav Matej Kramerius ließ in der hiesigen Druckerei seine Zeitungen drucken. Die Druckerei wurde erst vor ca. 60 Jahren aufgelöst, und die Räumlichkeiten wurden seitdem als ein Lager genutzt. In der Kirche sind trotzdem wertvolle Kunstschätze erhalten geblieben:

Das Fresko in der St. Anna-Kirche  (Foto: Martina Schneibergova)
"Es geht erstens um Fresken, die aus drei verschiedenen Zeitetappen der Gotik stammen. Außerdem ist hier auch der Renaissancestil vertreten. Nach Meinung der Restauratoren, die momentan an den Fresken arbeiten, ist die Qualität einiger mit den Fresken in der Burg Karlstejn oder denen im Prager Kloster Emaus vergleichbar. Das ist eine Überraschung. Bislang gelang es, ca. 40 Prozent der Fresken zu restaurieren. Es kann sein, dass wir hier bei der Entdeckung weiterer Kunstschätze noch Überraschungen erleben. Das zweite wertvolle historische Element stellen die ursprünglichen gotischen Dachstühle dar. Durch dendrologische Forschungen wurde nachgewiesen, dass sie wirklich aus der Gotik stammen. Es handelt sich um die überhaupt älteste Konstruktion dieser Art, die dank der Tatsache erhalten blieb, dass die Kirche nie durch einen Brand beschädigt wurde."

Dagmar Havlova,  Vaclav Havel und Eva Jiricna  (Foto: Martina Schneibergova)
Sowohl die Denkmalschutzexperten als auch Restauratoren betonen, dass sich der Zustand der Kirche in der letzten Zeit bedeutend verbessert hat. Als sich die Stiftung Vize 97 Ende der neunziger Jahre für die Sehenswürdigkeit zu interessieren begann, sprach sie die berühmte tschechisch-britische Architektin Eva Jiricna an. Diese entwarf bestimmte Änderungen im Interieur der Kirche, wobei die verschiedenen historischen Schichten bewahrt wurden. Die einst niedergerissenen Rippen des gotischen Gewölbes wurden durch Stahlstangen angedeutet. Eva Jiricná zufolge gab es mehrere Studien darüber, wie das Gewölbe einst ausgesehen hat:

"Man kann das nicht rekonstruieren. Ich meine, dass das Schöne an diesem Raum eben darin besteht, dass so viele Schichten auftauchen, wenn man eine nach der anderen vorsichtig freilegt. Hier sieht man vier oder fünf verschiedene Schichten, die in verschiedenen schönen Farben ausgeführt sind. Es ist besser, sich hier die Geschichte eher vorzustellen, als sie gemäß unserer eigenen Interpretation umzugestalten. Das einzige, was wir hier wirklich reparierten, waren Löcher, die hier als Spuren von fünf Gerüsten blieben. Als wir hier jetzt zum ersten Mal Musik hörten, stellten wir fest, dass es in diesem Raum eine hervorragende Akustik gibt, was sich die Musikexperten vorher gar nicht vorstellen konnten."

Das Fresko in der St. Anna-Kirche  (Foto: Martina Schneibergova)
Ex-Präsident Václav Havel räumte ein, gar nicht gewusst zu haben, dass sich ein so wertvolles Objekt gleich gegenüber befindet, als er einst im "Theater am Geländer" auf dem Annaplatz wirkte. Auf die Existenz der längst nicht mehr benutzten Kirche wurde das Ehepaar Havel vom Theologieprofessor Tomás Halík aufmerksam gemacht. Der Ort ist interessant, und er regt zum Nachdenken an über die Welt, ihre Geheimnisse, und darüber, was wir nicht wissen und vielleicht auch nie erfahren werden, sagte der Ex-Präsident:

"Wir wären froh, wenn dieser Raum in Zukunft belebt wird, wenn er nicht nur eine historische Sehenswürdigkeit bleibt, die sich von Zeit zu Zeit jemand anschaut. Wir möchten, dass der Raum lebt, und haben ihn daher 'Prager Kreuzung' genannt. Wir stellen uns vor, dass hier allmählich - und dies kann noch lange dauern - eine Art ständige Institution entsteht, wo sich verschiedene Begegnungen, Konferenzen, Vorstellungen, Happenings und gesellschaftliche Ereignisse abspielen werden. Wir möchten, dass die Räumlichkeiten wirklich zu einer internationalen Kreuzung gesellschaftlicher und geistlicher Strömungen der Zeit werden."