Die einstige Prager Vorstadt Liben war schon im 19. Jahrhundert Sitz mehrerer wichtiger Industrieunternehmen. In der Vorstellung vieler Prager ist Liben aus diesem Grund immer noch vor allem als Industriestadtviertel verankert. In Liben gibt es jedoch auch mehrere historische Denkmäler, und der Stadtteil hat inzwischen auch zahlreiche Künstler angezogen.
Schloss Liben (Foto: Autorin)
Das heutige Stadtviertel Liben gehört zu den ältesten Gemeinden im achten
Prager Verwaltungsbezirk. Die erste Erwähnung fand der Ort Namens Liben im
Jahre 1363. Damals gehörte er der bedeutenden Prager Patrizierfamilie
Rothlev. Johlin Rothlev war Münzmeister in Kuttenberg und ihm gehörte das
gotische Haus, das später der Universität geschenkt wurde und bis heute
Karolinum genannt wird. Zwischen den heutigen Stadtteilen Liben und
Vysocany stand eine Festung Namens Podvini, die sich inmitten der
Weinberge befand, wie die tschechische Bezeichnung "Podvini" zu
Deutsch etwa "Unter dem Wein" besagt.
Anstelle einer anderen gotischen Festung in Liben wurde später ein Schloss erbaut, das am Anfang des 17. Jahrhunderts dem Heerführer Albrecht von Waldstein gehörte. Das Schloss wechselte einige Mal den Besitzer und wurde 1662 an die Prager Altstadt verkauft. Die Altstädter verwandelten es in den Sommersitz der Prager Oberbürgermeister. Während des 18. und 19. Jahrhunderts wurden in der Umgebung des Schlosses einige Anwesen gegründet, deren Teile und vor allem aber deren Namen bis heute erhalten geblieben sind - wie Balabenka, Palmovka, Pelc-Tyrolka oder Rokoska. Wie ist jedoch der Name "Liben" entstanden? Historiker Josef Tomes, der im Archiv des Masaryk-Instituts tätig ist, ist ein Libener Patriot. Über die Bezeichnung seines Heimatortes sagt er:
Schloss Liben (Foto: Autorin)
"Es wird traditionell behauptet, dass der Name als Bezeichnung eines
schönen Ortes entstanden ist, denn das alte tschechische Adjektiv ´liby´
bedeutet so viel wie schön, angenehm. Die Theorie hat einen rationalen
Kern, denn dank der einst romantischen Landschaft gehörte Liben noch in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den schönsten Orten in der
Prager Umgebung. Diese Theorie stimmt jedoch nur zum Teil. Vom Adjektiv
´liby´ wurde der alttschechische Name ´Ljuben´ beziehungsweise ´Liben´
abgeleitet. Die possessive Form davon lautete Ljuben(j) oder Liben(j) - es
hieß mal vielleicht Libenj Gut, Sitz oder Festung. Im Namen des Prager
Stadtteils überlebt also der Name des einstigen Besitzers einer hiesigen
Festung. Die historischen Quellen schweigen jedoch über ihn."
Auch wenn Liben zum ersten Mal im 14. Jahrhundert erwähnt wird, findet man in den historischen Quellen schon Hinweise auf diese Lokalität, jedoch noch ohne dass ihr Name genannt wird. So schrieb beispielsweise der berühmte Chronist Cosmas von Prag darüber, dass das Heer des Premyslidenfürsten Bretislav I. bei der Rückkehr aus Polen im Jahre 1039 am Bach Rokytnice - dem heutigen "Rokytka" - Lager errichtet hatte. Die Premysliden brachten damals die Gebeine des heiligen Vojtech / Adalbert aus Gnesen nach Prag.
Das erwähnte Schloss in Liben wurde im 18. Jahrhundert im Rokokostil umgebaut. Das Schloss ist unter anderem dadurch bekannt geworden, dass darin am Vorabend des Dreißigjährigen Kriegs 1608 der so genannte "Frieden von Liben" unterzeichnet wurde. Es ist heute weniger bekannt, dass es in Liben einst eine große jüdische Gemeinde gegeben hat. Der Historiker dazu:
"Seit dem 16. Jahrhundert begannen sich Juden in Liben niederzulassen, und entlang der Moldau entstand damals eine jüdische Siedlung, die auf den alten Landkarten und Stadtplänen als ´Judendorf´ oder ´Judenstadt´ bezeichnet wurde. Die jüdische Bevölkerung lebte in Liben noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das jüdische Stadtviertel, das sich so nahe an der Moldau erstreckte, wurde oft von Überschwemmungen betroffen. Heute ist von der Judenstadt fast nichts mehr erhalten geblieben. Ich erinnere mich aus meiner Kindheit noch an einige pittoreske Häuser der Judenstadt."
Diese Häuser wurden während des Kommunismus abgerissen. Die Synagoge von Liben, die bis heute steht und vor allem als Ausstellungssaal genutzt wird, stammt erst aus dem 19. Jahrhundert.
Synagoge in Liben
Der Prager Stadtteil Liben ist durch seine Vielfalt spezifisch. Der
Industrieboom des 19. Jahrhunderts hat seine Spuren hinterlassen. Außerdem
findet man hier Elemente des typischen Dorflebens. Allmählich ist aber der
Einfluss der Großstadt in Liben deutlich geworden. Dies sieht man bis
heute an den Hauptstraßen, die das Viertel durchkreuzen. Durch die
Kombinierung dieser Elemente entstand in Liben eine besondere Atmosphäre,
meint Historiker Josef Tomes. Bräuche, die im Stadtzentrum von Prag nicht
mehr eingehalten wurden, waren in Liben Jahre lang lebendig - wie z. B.
der Libener Fasching. Liben hatte und hat immer noch auch eine wichtige
kulturelle Dimension, sagt Josef Tomes:
"Liben hat viele namhafte Persönlichkeiten aus dem Kulturmilieu angezogen. Sie spürten da eine Art Raupoesie, die insbesondere die Mitglieder der Künstlergruppe ´42´ angesprochen hatte, zu der beispielsweise die Maler Kamil Lhotak oder Frantisek Gross gehörten. Ein Klassiker dieses ´Genres von Liben´ war der Schriftsteller Bohumil Hrabal. Er hat das Phänomen von Liben in seinen Werken viel lapidarer zum Ausdruck gebracht hat, als ich es jetzt selbst machen würde."
Palast ´Svet´ in Liben (Foto: Autorin)
Noch lange bevor sich Bohumil Hrabal literarisch zu Liben bekannt hatte,
hatte sich ein beachtenswertes Ereignis in Liben abgespielt, das auch zur
Kulturgeschichte gehört. Im Jahre 1812 tauchte in Liben der erste
Weihnachtsbaum in der Prager Geschichte auf. Auf einem hohen Felsen, den
man "Na strazi" genannt hat, stand damals das Lustschloss
Silboch. Sein Name war von der deutschen Bezeichnung
"Schildwache" abgeleitet. Mit dem Ort ist die folgende Legende
verbunden: Während des Siebenjährigen Kriegs haben die Preußen dort
angeblich einen ihrer Soldaten vergessen. Dieser ließ sich in Liben nieder
und hat dort geheiratet. Seitdem wird das ganze Gebiet im Tschechischen
"Na ztracene varte" beziehungsweise "Na strazi"
genannt - zu Deutsch etwa: "Auf der verlorenen Warte". Die
Bezeichnung ist auch in den Straßennamen erhalten geblieben. Historiker
Josef Tomes dazu:
Palast ´Svet´ in Liben (Foto: Autorin)
"Das Lustschloss Silboch gehörte am Anfang des 19. Jahrhunderts dem
Intendanten des Prager Ständetheaters, Liebich. Er hat oft Aristokraten
und Künstler auf das Schloss eingeladen. Unter ihnen war auch Carl Maria
von Weber, der hier angeblich auch seine berühmte Aufforderung zum Tanz
komponiert haben soll. Auf dem Schloss Silboch wurden verschiedene
Feierlichkeiten veranstaltet, wie z. B. Faschingsumzüge. Als sich die
Weihnachtsgäste 1812 im Schlosssalon versammelt haben, waren sie erstaunt
darüber, dass dort ein leuchtender Weihnachtsbaum stand. Dieses kleine
Kulturereignis hat sich in die Geschichte Prags eingetragen. Bis heute
wird daran erinnert, dass der erste Weihnachtsbaum in Prag auf dem Silboch
in Liben gestanden hat."