Knirschende Klappsitze und Platzanweiserin: Zauber der verschwundenen Prager Kinos

Foto: Martina Schneibergová

Im Oktober 1896 fand in Prag die erste Filmvorführung statt. Die Entwicklung des Kinos in der tschechischen Hauptstadt vom Ende des 19. Jahrhunderts bis fast in die Gegenwart beschreibt nun eine Ausstellung. Anhand historischer Stadtpläne vermittelt sie die Vorstellung davon, wie viele Kinos es früher in Prag gegeben hat. Beschrieben werden beispielsweise die einst modernen Premiere-Kinos mit ihren prunkvollen Sälen sowie weniger bekannte Lichttheater am Stadtrand.

Foto: Martina Schneibergová
Im halbdunklen Saal flimmerte die Leinwand, die Klappsitze aus Holz knirschten. Eine Platzanweiserin mit Taschenlampe kontrollierte die Eintrittskarte und führte die zu spät Kommenden an die richtige Sitzreihe. Dieses Bild vom Kinobesuch haben die Tschechen mittleren Alters und die älteren noch gut im Gedächtnis. Viele der einzigartigen Prager Kinosäle wurden jedoch schon vor Jahren geschlossen. Ihre Rolle haben fast einheitlich aussehende Multiplexkinos übernommen, diese großen Vielfachkinos sind häufig am Stadtrand in den großen Einkaufszentren entstanden.

Wer sich aber nach dem Zauber der alten Kinosäle sehnt, kommt in der neuen Ausstellung im Prager Stadtmuseum auf seine Kosten. 1896 wurde in Prag die neueste technische Erfindung, der sogenannte „Kinematograph“, vorgeführt – zuvor war das bereits in Brno / Brünn und Mariánské Lázně / Marienbad geschehen. Jan Rousek ist Kurator der Kinoausstellung:

Jan Rousek  (Foto: Martina Schneibergová)
„In Prag wurde der überhaupt erste Film im Haus Zum Schwarzen Pferd in der Straße Na příkopech gezeigt. Das Haus steht heute nicht mehr. Kurz danach trafen in Prag die von den Brüdern Lumière entsandten Filmpioniere ein. Damit begann hierzulande die Frühetappe der Kinematographie. Ehemalige Fotografen und Zirkuskünstler führten die ersten Filme vor. In Prag galten jedoch strenge Brandschutzregeln. Die Hauptstadt wehrte sich darum gegen die neue Erfindung – den Kinematographen. Zu Beginn wurden die Filme eher in den Stadtteilen Žižkov oder Smíchov gezeigt. 1907 wurde das erste Kino in Prag eröffnet – das Kino Ponrepo. Es befand sich damals in der Straße Karlova.“

Zu einem Boom Prager Kinos kam es in den 1930er Jahren, da wurde der Stummfilm durch den Tonfilm abgelöst. Viele der Lichtspieltheater standen am Wenzelsplatz, darunter einige Premiere-Kinos. 1945 wurde die gesamte Kinematographie verstaatlicht. Ab 1957 wurden die Kinos von der Stadt verwaltet. Zu diesem Zweck wurde der „Filmbetrieb der Hauptstadt Prag“ gegründet. Aber auch noch nach der politischen Wende befanden sich einige Kinos in der Trägerschaft der Stadt. Auf der anderen Seite wurden nach 1989 im Rahmen der Restitutionen mehrere Gebäude, in denen sich Kinos befanden, den Nachkommen der ursprünglichen Besitzer zurückgegeben. Auch deswegen sank die Zahl der Kinos. In den letzten Jahren bemühen sich passionierte Filmliebhaber aber, die klassischen Kinosäle wiederzubeleben.

Goldene Ära in den 1930er Jahren

Tomáš Dvořák  (Foto: Martina Schneibergová)
Im ersten Ausstellungssaal wird die Geschichte der Prager Kinos beschrieben. Aus der Zeit kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs stammen mehrere Filmplakate und Ansichtskarten. Auf einem Stadtplan von Prag sind jene Orte markiert, an denen sich damals Kinos befanden. Zu besichtigen sind zudem einige historische Filmvorführgeräte. Er halte die 1920er und 1930er Jahre für die goldene Ära der Prager Lichttheater, sagt Kurator Tomáš Dvořák.

„Damals wurden die schönsten und prunkvollsten Kinos erbaut. Wir sind stolz, dass wir eine Serie von Ansichtskarten mit dem Prager Kino Flora zeigen können. Es befand sich im Stadtteil Vinohrady, in der Straße Orlická. Eröffnet wurde es 1928. Die Bilder zeugen davon, dass das Kino nicht nur ein Saal war, in dem Filme gezeigt wurden, sondern auch ein Unterhaltungszentrum. Heutzutage hat die Allgemeine Krankenkasse in dem ehemaligen Kino ihren Sitz. Auf einem Stadtplan von 1930 haben wir die rund 110 damaligen Kinos markiert. Wir haben die Ausstellung jedoch nicht als einen Katalog aller Kinos konzipiert, die es je in Prag gegeben hat. Uns geht es vielmehr darum, die Atmosphäre der großen klassischen Kinos zu vermitteln und einen Blick in die inzwischen verschwundene Filmwelt zu werfen.“

Kino 64 U hradeb – Symbol der politischen Entspannung

Foto: Martina Schneibergová
In den 1960er Jahren entstand das „Kino 64 U hradeb“. Es war laut Dvořák ein Symbol dafür, dass sich damals die politische Lage etwas entspannte. Das Kino in der Straße Mostecká auf der Kleinseite wurde mit dem tschechischen Filmmusical „Starci na chmelu“ (Die Hopfenpflücker) feierlich eröffnet.

„Das Filmangebot zu dieser Zeit wurde interessanter. Es entstanden aber keine weiteren neuen Kinos. Auf einem Stadtplan von 1970 sind die bekanntesten Kinos im Stadtzentrum markiert. Und auf Fotografien sind Kinos zu sehen, die es früher im Stadtteil Žižkov gab: Das Tábor, das Jiskra und das Pokrok. Jiskra wurde in den 1980er Jahren abgerissen. Die anderen zwei Kinos gibt es auch nicht mehr. Weitere Fotos dokumentieren die Umgestaltung einiger Kinos in den 1970er Jahren. Dazu gehörten die Kinos Lucerna und Flora.“

Alte Kinos wiederbelebt

Der Großteil der alten Kinos, die es noch Anfang der 1990er Jahre in Prag gab, existiert nicht mehr. Neu errichtet wurden in den vergangenen 20 Jahren nur noch große Multiplexkinos. Trotzdem bemühen sich Filmliebhaber, einige der früheren Kinos wieder zu eröffnen. Kurator Jan Rousek:

„Vor kurzem wurde im Kino Lucerna ein zweiter, kleinerer Saal eingerichtet. Wieder eröffnet wurde das Kino U Pilotů im Stadtteil Vršovice. Nächstes Jahr soll nach mehreren Jahren das Kino U hradeb wieder in Betrieb genommen werden. Die Zahl der Zuschauer in den Multiplexkinos ist leicht zurückgegangen. Es gibt einen Trend, eher die klassischen Kinos zu besuchen. Das Problem besteht darin, dass sich das Programm dort vom Programm in den Multiplexkinos nicht sonderlich unterscheidet. Die Dramaturgie in den klassischen Kinos sollte sich stärker auf künstlerische Filme konzentrieren. James Bond wird beispielsweise sowohl in den Multiplexkinos, als auch im alten Kino Aero gespielt. Dies ist eine Folge der Digitalisierung. Denn der Filmvertrieb ist in der Lage, eine große Zahl von Kopien zu liefern. Früher war es anders: Es gab nur einige Filmkopien, die zuerst in den sogenannten ‚Premiere-Kinos‘ gezeigt wurden. Erst später konnten sie anderswo vorgeführt werden.“

Die Ausstellung „Prager Kinos“ läuft im Stadtmuseum, und das bis 5. Februar kommenden Jahres. Geöffnet ist das Museum täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr.

Einen der Museumssäle haben die Kuratoren in ein Kino verwandelt, dort können die Besucher die ältesten vorhandenen Filmaufnahmen sehen – sie zeigen Prag vor dem Jahr 1900. Zudem werden Dokumentarfilme über das Prag der 1930er Jahre und einige experimentelle Streifen vorgeführt. Im Rahmen des Begleitprogramms organisieren die Kuratoren auch Spaziergänge auf den Spuren der Kinos auf dem Wenzelsplatz, in der Altstadt sowie in den Stadtteilen Žižkov und Vinohrady.