Im Tempel des Visionärs: Villa Bílek wieder geöffnet

Villa Bílek (Foto: Tomáš Souček)

Wenn man mit der Straßenbahn von der Metro-Haltestelle Malostranská Richtung Prager Burg hinauffährt, kann man das einzigartige Gebäude auf der Kreuzung kurz vor dem Belvedere nicht übersehen. Die vornehme Villa in einem alten Garten, unterscheidet sich schon durch ihre rohe Fassade mit Säulen und dem flachen Dach stark von allen anderen Häusern in der Umgebung. Die Villa, die der tschechische Bildhauer František Bílek erbauen ließ, wird von der Galerie der Hauptstadt Prag verwaltet. Nach einer gründlichen Instandsetzung wurde die Villa Bílek in diesen Tagen wieder für die Öffentlichkeit geöffnet.

Villa Bílek
Monumentale Plastiken, die vor allem nach biblischen Motiven entstanden sind – so kennt die breitere Öffentlichkeit in Tschechien den Bildhauer František Bílek. Ein Werk des führenden Vertreters des Symbolismus und des Jugendstils sehen auch die Tausende von Touristen, die den St. Veitsdom besuchen: den Holzaltar mit dem Gekreuzigten, das im neogotischen Teil der Kathedrale steht. Bílek war jedoch nicht nur Bildhauer, sagt Hana Larvová, die das neu errichtete Zentrum von František Bílek in der Prager Villa leitet:

Atelier
„Bílek war eine beachtenswerte Persönlichkeit. Es ist unglaublich, was er alles während seines Lebens schuf. Er war ein Multitalent – er war ein fähiger Bildhauer, Graphiker, Zeichner, Kunsthandwerker, Keramiker, Verfasser von mystischen Abhandlungen, ein Philosoph. Er war auch ein Visionär.“

Frantisek Bílek wurde 1872 in Chýnov bei Tábor in Südböhmen geboren. Er studierte an den Kunstakademien in Prag und in Paris. Zuerst wollte er Maler werden. Als sich herausstellte, dass er teilweise farbenblind war, wechselte er zur Bildhauerei. In seinem Geburtsort baute er ein Atelierhaus, später die Villa in Prag. Er lebte abwechselnd an den beiden Orten. Er war stark religiös, konnte sich jedoch mit der offiziellen katholischen Kirche nicht identifizieren und trat 1920 der neu gegründeten Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche bei. Seine Arbeit verstand er als einen Dienst für seine Mitmenschen. Eng befreundet war er mit dem symbolistischen Dichter Otokar Březina. Zu Bíleks Bewunderern gehörte auch Franz Kafka. Er schrieb über Bíleks Entwürfe für einige Denkmäler, sie seien zweifellos unvergleichlich. 1941 starb Bílek in Chýnov.

Atelier
Die Prager Villa ließ Bílek in den Jahren 1910-1911 nach seinen eigenen Entwürfen erbauen. Die Villa wirkt geheimnisvoll. Sie ist erhaben und schön, sagt der Kunsthistoriker Jindřich Vybíral. Vor 100 Jahren, in der Zeit ihrer Entstehung habe die Villa eher zurückhaltende oder sogar negative Reaktionen hervorgerufen, so der Kunsthistoriker:

„Vor allem unter den Architekten hieß es, die Villa sei hässlich. Bílek war kein studierter Architekt, ein Fachmann würde viele ungewöhnliche Dinge an der Villa ungewöhnlich finden: Wenn man sich die Fassade anschaut, sieht man, wie der Balkon das Fenster durchschneidet und damit den Raum um Aussicht und Licht bringt. Diese Besonderheiten enthalten ein bestimmtes Geheimnis, das der heutige Mensch mehr zu schätzen weiß als Bíleks Zeitgenossen.“

Speisesaal
Das flache Dach auf dem Haus ist dem Kunsthistoriker zufolge überhaupt eines der ersten Flachdächer, das in Böhmen gebaut wurde. Im Haus fehlt jedwede Symmetrie. Es gibt kaum rechte Winkel. Der Grundriss sollte nach Bíleks Vorstellungen an die Form erinnern, die beim Mähen mit der Sense entsteht. Der Kunsthistoriker:

„Das Motiv des Mähens und des Getreidefelds ist wichtig für die Symbolik dieses Baus. František Bílek nutzte hier die Metapher eines Getreidefeldes als ein Gleichnis für das Menschenleben. Die Feldarbeit symbolisiert das Los des Menschen. Das Motiv des Feldes ist nicht nur in der äußeren Form des Hauses enthalten, wo die Säulen die Form von Getreideähren oder von Garben haben, sondern auch der Grundriss erinnert an das sich im Wind wellende Feld.“

Arbeitszimmer
Bíleks Villa gelte, so Vybíral, als eine Metapher. Die Idee, nach der der Bau entworfen wurde, sei wichtiger als die Funktion des Hauses. Im tschechischen Milieu war eine solche Haltung um das Jahr 1900 eine Rarität. Aber heutzutage gehört diese Art des Nachdenkens zur modernen Architektur, meint der Kunsthistoriker. In Bíleks Villa seien viele Symbole enthalten, die von religiöser Mystik ausgehen, so Vybíral:



Ausstellung im oberen Geschoss
„František Bílek kritisierte die moderne Welt, ihren Materialismus und den Mangel an geistlichen Inhalten. Als er diesen Bau entwarf, verstand er ihn als eine moralische Botschaft. Das Entschlüsseln des Gebäudes stellt für einen Kunsthistoriker eine Herausforderung dar. Der Bau soll mit seinem flachen Dach an Salomos Tempel in Jerusalem erinnern. Kann sein, dass das flache Dach auch an die Bundeslade aus dem Buch Moses erinnern sollte. Bíleks Villa ist jedenfalls eher der Ausdruck einer Botschaft als dass sie die Funktion eines Wohnhauses verkörpern würde. Sie vermittelt eine Botschaft genauso wie eine Plastik oder ein Gemälde. Aus dem Grund ist die Villa im tschechischen Milieu einzigartig.“

Ausstellung im oberen Geschoss
Im Rahmen der Instandsetzung der Villa wurde dort auch ein Dokumentations- und Forschungszentrum eingerichtet, das den Namen von František Bílek trägt. Das Ziel des Zentrums sei es, alles, was Bíleks Werk betrifft, zu sammeln und zu bearbeiten, sagt die Leiterin des Zentrums Hana Larvová. Bei weitem gehe es dabei nicht nur um Bíleks Bildhauerwerk:

„Uns interessieren auch Bíleks architektonische Entwürfe sowie seine literarischen Arbeiten. Das Forschungszentrum kann mit den reichhaltigen Sammlungen von Bíleks Werken arbeiten. Denn die Galerie der Hauptstadt Prag besitzt fast den ganzen Nachlass des Künstlers.“

Projektionssaal
Erkennt auch ein Laie, dass es sich um ein Werk von Bílek handelt? Die Kunsthistorikerin Hana Larvová meint:

„Neben seinen zwei schönen Häusern – dem Haus mit dem Atelier in Chýnov und der Villa in Prag – ist sein Stil an den Plastiken sofort zu erkennen. Hier in der Villa kann man beispielsweise die Plastik der ´Künftigen Eroberer´ sehen, die in den Jahren 1931 bis 1937 entstand. Dafür wurde Bílek mit dem Leopold-Katz-Preis ausgezeichnet. In erster Linie war Bílek natürlich ein Bildhauer.“

In der neuen Ausstellung in der Villa kann man sich an einigen ausgewählten Werken eine Vorstellung über Bíleks Schaffen und seinen Beitrag zur Kunstentwicklung in Tschechien sowie in der Welt machen. Neben den Plastiken und großformatigen Zeichnungen werden auch Originalmöbel in der Villa gezeigt. Bílek hat alles selbst entworfen, einschließlich der Türklinken. Hana Larvová:

„Bei Bílek würde man sagen, dass alles mit allem zusammenhängt. Auch an den Möbeln tauchen künstlerische Elemente auf, die man auf seinen Plastiken findet. Im Interieur sieht man Überschriften in einer besonderen Schrift, die an die gotischen Formen erinnert. Diese Schrift nutzte Bílek auch in seinen literarischen Arbeiten.“

In zwei kleineren Räumen im Erdgeschoss, im Speiseraum und im Arbeitsraum erfährt der Besucher mehr über das Leben des Künstlers. Hier sind Fotografien von Freunden und Familienmitgliedern sowie kleinere Graphiken und Plastiken ausgestellt. Bíleks Frühwerke von Kleinformat werden in der ersten Etage gezeigt. Die Ausstellung in der Villa ergänzt eine Sammlung von Bíleks Illustrationen und Ex Libris. Neben seinen eigenen literarischen Arbeiten illustrierte Bílek mit Zeichnungen und Holzschnitten auch Bücher seiner Freunde – der Dichter Julius Zeyer, Jakub Deml sowie Otokar Březina.

Die Villa Bílek ist täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

Fotos: Tomáš Souček