Alles nur Fassade? Die Geschichte des Prager Einkaufszentrums Palladium

Palladium (Foto: Kristýna Maková, Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)

Der jüngste Baustil in Prag ist gar keiner. Die Rede ist vom Fassadismus. Mit Rücksicht auf den Denkmalschutz werden historische Häuserfronten belassen, wie sie sind, oder prunkvoll restauriert. Das Innenleben der Gebäude wird jedoch nach Belieben umgestaltet und hat mit dem Original nur noch wenig oder gar nichts zu tun. Beispiele für den Fassadismus finden sich in Prag seit der Samtenen Revolution zuhauf, das augenfälligste ist wohl das Einkaufszentrum Palladium. Mehr zum Fassadenkompromiss zwischen Denkmalschützern und Investoren im Spaziergang durch Prag.

Palladium  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Das Palladium fällt auf. Am Platz der Republik befindet sich der Bau, einen Steinwurf vom Gemeindehaus, schräg gegenüber das Warenhaus Kotva. Der Gegensatz zu dem Kaufhaus aus sozialistischer Zeit könnte nicht größer sein. Zuckerbäckerrosa mit weißen Dachzinnen wirkt das Palladium wie der Stein gewordene Einkaufstraum einer Barbiepuppe. Eingekauft wird hier seit 2007 – doch das hinter einer Fassade, die schon wesentlich älter ist. Die Kunsthistorikerin Kateřina Racková hat sich mit der Geschichte des Gebäudes beschäftigt:

„Was die Fassade betrifft: Sie ist erhalten in der Form, genauso wie sie im 19. Jahrhundert erbaut wurde. Doch was das Innere anbelangt, sieht es etwas anders aus. Wenn Sie das Palladium betreten, sehen Sie, dass nur sehr wenig erhalten geblieben ist.“

„Der Name ‚Palladium‘ hat überhaupt keinen historischen Bezug.“

2007 wurde das Gebäude seinem neuen Zweck als Einkaufstempel zugeführt – und erhielt dafür den historisch anmutenden Namen Palladium:

„Das hat überhaupt keinen historischen Bezug. Vielmehr ist es ein Marketing-Gag – der Name wurde auf Grundlage einer Umfrage ausgewählt. Palladium erschien den Befragten eben wie ein schwungvoller Name. Auf der einen Seite erinnert er an das liturgische Denkmal, auf der anderen Seite an einen italienischen Palazzo. Es ist eine Verbindung dieses noblen Palazzo mit der christlichen Mythologie, wirkt geheimnisvoll, verweist auf ein früheres Kapuzinerkloster an diesem Ort, und die Tatsache, dass wir hier noch eine Kapelle aus dieser Zeit haben.“

Kapelle des Kapuziner-Klosters  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Das ist wohl ein Unikum: Das Einkaufszentrum umfasst ein Kirchengebäude; umschließt es fast, denn rechts neben dem auf Hochglanz polierten Palladium gelegen tritt es in den Hintergrund. Die Kirche ist ein Überbleibsel aus der langen Vorgeschichte des Standorts. Tatsächlich gab es schon vor Jahrhunderten eine Krämersiedlung an dieser Stelle. 1350 wurde ein Krankenhaus errichtet, sagt Kateřina Racková:

„Es war das Jakub-Spital. Ein Stadtbürger hat es finanziert und errichtet. Später wurde eine Marienkirche angebaut. Das ist aber nicht die Kirche, die wir heute beim Palladium finden, sondern die Kapelle des später entstandenen Kapuziner-Klosters, die dem heiligen Joseph geweiht ist.“

Josephskaserne
Die Fassade des Palladiums gleich neben der Kirche stammt dagegen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts – ursprünglich waren es Stallungen.

„Mit einer Reform hat Joseph II. zuvor die Zerstörung der Klöster angeordnet. Er ermöglichte damit quasi die Errichtung dieser Stallungen. Sie wurden von 1843 bis 1844 gebaut, und später wurde daraus dann ein Kasernengebäude errichtet, das dem heutigen Palladium entspricht.“

Josephskaserne war der ursprüngliche Name, während des Sozialismus wurde sie nach dem Hussitenkönig Jiří z Poděbrad benannt. Lange Zeit rottete sie vor sich hin – bis sich nach der Samtenen Revolution die Investoren dafür interessierten und das Gebäude vom Innenministerium erwarben.

„Denkmalschützer führen einen Kampf gegen die Windmühlen.“

„Der Boom, Gebäude in etwas zu verwandeln, was sie nicht sind, kommt aus den 1990er Jahren. Zwar wurde die gesamte Innenstadt von Prag 1993 in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen, und es entstanden immer neue Konzepte für den Denkmalschutz. Doch sie haben sich niemals wirklich durchgesetzt. Die Denkmalschützer führen eine Art Kampf gegen die Windmühlen. Auf der anderen Seiten stehen natürlich die Investoren.“

Einkaufszentrum Palladium  (Foto: Aktron,  CC BY-SA 3.0)
Wie bei so vielen Häusern in der Prager Altstadt stand am Ende ein Kompromiss. Die Investoren des Einkaufszentrums mussten sich verpflichten, die Fassade zu erhalten – mehr aber auch nicht. Kateřina Racková:

„Wenn man sich im Inneren umsieht, stellt man fest, dass ein ganz neuer Kubus errichtet wurde – aus Eisenbeton und Stahl.“

Das Gebäude ist völlig entkernt. Rolltreppen durchschneiden das Palladium quer über mehrere Etagen hinweg. Auf fünf Stockwerken sind fast 180 Geschäfte versammelt. Erhalten geblieben und rekonstruiert wurde der Dachstuhl. Weichen musste dagegen der Innenhof, der ursprünglich von einer besonderen Konstruktion aus hölzernen Deckenbalken überdacht war.

„Als hier im Vorfeld archäologische Grabungen stattgefunden haben, wurden auch die Überreste von mehreren romanischen Häusern aus dem 12. und 13. Jahrhundert gefunden. Leider mussten sie allerdings den Tiefgaragen weichen. Da sieht man, dass dieses Denkmal nicht sonderlich hoch geschätzt wird.“

Einkaufszentrum Palladium  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
„Die feinfühlige Verbindung historischer Elemente mit moderner Architektur schafft eine einzigartige Atmosphäre“– mit diesen Worten wirbt das Einkaufszentrum auf seiner Webseite. Für Kunsthistoriker wie Kateřina Racková ist es ein fauler Kompromiss. Das Denkmalschutzgesetz, das diesen Fassadismus erlaubt, stammt aus dem Jahr 1987. Bis heute werde das Unesco-Weltkulturerbe, also die gesamte Prager Innenstadt, nur halbherzig vor kommerziellen Interessen geschützt:

„Die meisten Denkmalschützer wollen die wertvollen Häuser erhalten, um die Kulisse von Prag zu schützen, das Ganze zu erhalten und auch um zu verhindern, dass ein Haus verschwindet und durch neue, moderne Architektur ersetzt wird, die nicht an diesen Ort gehört. Genau daraus ist dieser Fassadismus entstanden – aus dem Streben, etwas zu schützen.“

Einkaufszentrum Palladium  (Foto: Štěpánka Budková)
Im November hat die tschechische Regierung nach jahrelangen Streitereien ein neues Denkmalschutzgesetz verabschiedet. Falls das Parlament zustimmt, könnte es 2018 in Kraft treten. Umstritten ist es bereits jetzt, es würde viel zu viel Spielraum lassen für Neubauten in der historischen Altstadt, sagen die Kritiker. Ob die Neuregelung dem Fassadismus einen Riegel vorschiebt, bleibt fraglich.