Wahlen

Auch wenn die Wahlergebnisse schon feststehen und man nun auf die Bildung und Zusammensetzung der neuen Regierung gespannt sein darf, wollen wir Ihnen im Folgenden noch einmal einige der Themen präsentieren, die den diesjährigen Wahlkampf bestimmten. Durch den Schauplatz führt Sie nun Olaf Barth.

Das Schlagwort der sog. "nationalen Interessen" hat sich hierzulande besonders in der letzten Zeit zu einem äußerst beliebten Wahlthema entwickelt. Aber worum geht es bei der "Verteidigung der nationalen Interessen", die besonders von den Wahlplakaten der Bürgerdemokraten (ODS) proklamiert wird?

Um staatliche Souveränität, die jedoch mit der fortschreitenden europäischen Integration an Bedeutung verlieren wird, ökonomische Konkurrenzfähigkeit, aber auch um das Recht, z. B. den populären Olmützer Stinkkäse vor den EU-Bürokraten zu verteidigen. Wie eine vom Wochenmagazin Tyden vor kurzem durchgeführte Umfrage unter tschechischen Politikern belegt, ist es höchst schwierig, die nationalen Interessen zu definieren. Und verteidigen müsse man sie offensichtlich vor allem vor den Nachbarn. Der Politologe Bohumil Dolezal von der Karlsuniversität in Prag hält das Wahlthema der nationalen Interessen, obwohl diese nur wenig konkret definiert werden, für erfolgreich:

"Ich bin der Meinung, dass leider diese Motive, die größte und wichtigste Rolle in der Wahlkampagne spielen, und zwar in dem Sinne, wenn man nationale Interessen sagt, ist es an sich noch nichts Schlimmes, aber bei uns versteht man darunter eine aggressive, offensive Selbstbehauptung gegen Deutschland, Österreich und in gewissem Sinne auch gegenüber Ungarn, was besonders absurd ist."

Wie sieht der Medienexperte von der Europäischen Akademie Berlin, Jaroslav Sonka, das Spiel mit den sogenannten nationalen Interessen?

"Das kann man kurz beantworten - jeder der dieses im Wahlkampf in den Mund nimmt, meint natürlich seine eigenen Interessen, parteipolitische Interessen, nicht nationale Interessen. Wenn man über nationale Interessen ernsthaft sprechen würde, müsste man sich umsehen, was das alles sein kann - z. B. nachhaltige Entwicklung, ökologische Standards, viele andere Angelegenheiten, die einfach den normalen Bürger betreffen. Und davon ist natürlich nie die Rede, wenn es darum geht, diese Schlagwörter zu bedienen."

Wie kommt es, dass laut Umfragen trotzdem ein hoher Wähleranteil darauf positiv reagiert ?

"Es ist ja so, dass die Wähler bis 1989 natürlich in der ganzen Gesellschaft unter einem erheblichen Druck standen und ihre ganze persönliche Entwicklung anders verlaufen ist, und sie sind natürlich jetzt auch abhängig davon, dass ihnen bestimmte Vorgaben von der politischen Seite gemacht werden und gerade in dem Zusammenhang ist es auffällig, dass Leute in den politischen Parteien, die diese Angebote machen, es in einer Manier tun, die ein bisschen agitatorisch an die alten Zeiten erinnert."


Von den Wahlberechtigten in der Tschechischen Republik stellt die Gruppe der 18 bis 29-jährigen rund ein Viertel des Wählerpotenzials dar. Unter ihnen Tausende, die zum ersten Mal an die Wahlurne treten durften.

Wenn man sich in Tschechien unter den Jungwählern umhört, so ist deren Einstellung durchaus unterschiedlich. Einerseits Reaktionen wie "Ich geh eh nicht zu den Wahlen" oder "Politik interessiert mich nicht", andererseits junge Menschen mit fundierten Meinungen. Zu diesen gehört auch Adela Randáková, Schülerin der 7 B am Österreichischen Gymnasium in Prag, die sich kritisch zu den Nichtwählern äußerte:

Ihr Mitschüler Jan Kratochvíl ist ebenfalls der Auffassung, dass man sich die Möglichkeit, seine Wählerstimme abzugeben, nicht entgehen lassen sollte.:

Sie haben Angst, dass Tschechien als relativ kleines Land eben nicht fair und gleichberechtigt in der EU behandelt werde, ergänzte Adela. Jan wiederum sieht es als ein Problem, dass die Tschechische Republik noch gar nicht reif für den EU-Beitritt sei.


Womit wir auch schon beim nächsten Thema wären:

Bis zum heutigen Tag wurden 25 Kapitel der EU-Beitrittsverhandlungen abgeschlossen, womit Tschechien an der Spitze der Kadidatenländer rangiert. Allgemein kann man sagen, dass es unter der Regierung der Sozialdemokraten, und hier vor allem in den letzten zwei Jahren, zu einem bedeutenden Fortschritt in den Beitrittsverhandlungen gekommen ist. Die Beziehungen mit der EU wurden in den letzten vier Jahren von den Benes-Dekreten und dem Atomkraftwerk Temelin überschattet.

Wie stellen sich aber die einzelnen im Parlament vertretenen Parteien zu der EU-Erweiterung? Wir baten den Politologen Rudolf Kucera dies zu analysieren:

"Bei den regierenden Sozialdemokraten kann man sehen, dass sie in ihrer Einstellung zur EU von der deutschen Sozialdemokratie geleitet werden. Die Sozialdemokraten haben eine positive Einstellung und sie haben auch die Annahme der EU-Legislative beschleunigt und die Verspätung aus den Zeiten der ODS-Regierung, wurde zum Teil aufgeholt. Die Koalition - also die Freiheitsunion und die Christdemokraten - sind Assoziationsparteien der Europäischen Liberalen und man sieht, dass sie sich ebenfalls an deren Programme anpassen wollen. Was die Bürgerdemoraten betrifft, so glaube ich, dass viele Mitglieder dieser Partei für einen EU-Beitritt Tschechiens sind, die Spitzenpolitiker allerdings, und hier vor allem ODS-Chef Vaclav Klaus oder der Schattenaußenminister Zahradil sind Menschen, die es mit dem EU-Beitritt nicht wirklich eilig haben. Die ODS vertritt u.a. die Interessen von Unternehmen, deren Aktivitäten sich teilweise außerhalb des Rechtsrahmens der EU bewegen und die deshalb durch den EU-Beitritt gefährdet sind. Die ODS ist also keine Partei, die sich ernsthaft um den EU-Beitritt bemühen würde, eher im Gegenteil. Die Kommunisten wollen genauso wenig in die EU, wie sie schon nicht in die NATO wollten. Anderslautende Aussagen der jüngsten Zeit, sind reine Wahltaktik."

In den vergangenen fünf Monaten ist die Zahl der EU-Gegner in Tschechien um 16 Prozent angestiegen. Für die Mitgliedschaft würden derzeit 41 Prozent, dagegen 36 Prozent stimmen.


Bei den am Samstag zu Ende gegangenen Abgeordnetenhauswahlen durften erstmals auch die sog. Auslandstschechen in den Botschaften ihrer jeweiligen Aufenthaltsländer ihre Stimmen abgegeben. Die Zahl der Registrierten war allerdings relativ niedrig: 2960 Tschechen sind nicht viel, wenn man berücksichtigt, dass bei der letzten Untersuchung im Jahre 1990 die Zahl der Auslandstschechen ca. 2,1 Millionen betrug. Radio Prag befragte den Pressesprecher der tschechischen Botschaft in Wien, Tomas Podivinsky, nach der aktuellen Situation an der Wiener Botschaft:

Viele der potenziellen Wähler würden nach Tschechien fahren, um direkt vor Ort zu wählen. Von Österreich aus sicher kein Problem, in den USA oder Kanada aber waren oft Klagen zu hören waren, dass keine Briefwahl möglich sei, da die Fahrt zur Botschaft häufig Tausende Kilometer bedeute. Laut Pressesprecher Podivinsky hat die niedrige Beteiligung noch andere Ursachen:


Die Geburtenrate in der Tschechischen Republik gehört zu den niedrigsten Europas und sinkt weiter, dem hiesigen Arbeitsmarkt werden im Jahre 2030 laut Studien ca. 420 000 Arbeitskräfte fehlen, Familien mit zwei oder mehr Kindern leben immer häufiger an oder unter der Armutsgrenze. Eindeutige Trends! Wie steht es also um die Familienpolitik in Tschechien? Nun, den o.g. Entwicklungen versuchte vor allem der sozialdemokratische Minister für Arbeit und Soziales, Vladimir Spidla, entgegen zu wirken.

Doch Michaela Freiova vom sog. Bürgerinstitut sagt:

"Über die Familienpolitik der sozialdemokratischen Regierung kann ich nicht viel Gutes sagen. Bis zum letzten Moment verspricht die Regierung den Familien finanzielle Unterstützungen, sie hat aber nicht viel durchgesetzt."

Vor allem die Steuerbelastung der Familien sei laut Freiova zu hoch.

Die sozialdemokratische Regierung schlug u.a. vor, dass Einkommenslimit für Empfänger von Erziehungsgeld künftig aufzuheben, eine Erhöhung des Kindergeldes stand ebenfalls zur Debatte. Doch man kam mit den Vorschlägen im Parlament nicht durch. Frau Freiova meint, das Hauptproblem sei die Wohnungskrise, diese hätte schon unter der ODS-Regierung um Vaclav Klaus gelöst werden müssen.

Die vom derzeitigen Kabinett kürzlich beschlossenen staatlichen Hypothekenzuschüsse für junge Familien hält sie eher für Wahltaktik:

"Die Entwürfe sind für die finanziell leicht überdurchschnittlich gestellten Familien. Aber für beginnende Familien ist das wirklich nicht genug."

Laut Freiova sei es des weiteren notwendig, den Kommunen größere Kompetenzen in der Familienpolitik einzuräumen. Und damit sind wir am Ende unseres heutigen Schauplatzes angelangt. Wollen wir doch mal sehen, wie erfolgreich die neue Regierung bei der Lösung der zuvor genannten Probleme sein wird.

Autor: Olaf Barth
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