Verfassung, Euro, Ratsvorsitz: Die tschechische Regierungsbildung und die EU

Vor mehr als zweieinhalb Monaten haben die Tschechinnen und Tschechen ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Danach gab es jede Menge Verhandlungen, aber nur wenige Ergebnisse. Denn die bislang oppositionelle Demokratische Bürgerpartei (ODS) hatte bei den Wahlen zwar die meisten Stimmen bekommen, für ihr Projekt einer Mitte-Rechts-Regierung mit Christdemokraten und Grünen fehlt ihr im Abgeordnetenhaus aber genau ein Mandat. Nun strebt die ODS eine Minderheitsregierung an - mit Unterstützung der bisher regierenden Sozialdemokraten (CSSD). Die Verhandlungen werden nicht ganz einfach sein. Innenpolitisch prallen hier nämlich zwei Konzepte aufeinander, die in einigen Bereichen nahezu unversöhnlich wirken. Und auch in europapolitischer Hinsicht gibt es einige Gräben zu überwinden. Die tschechische Regierungsbildung und die EU: Ein "Schauplatz" von Gerald Schubert.

Mirek Topolanek  (links) und Vaclav Klaus  (Photo: CTK)
Für den scheidenden Premierminister Jiri Paroubek ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Noch gibt es zwar keine neue Regierung, der Sozialdemokrat und sein Kabinett sind nach wie vor im Amt. Aber Paroubek hat bereits so etwas wie einen Amtskollegen im eigenen Land: Mirek Topolanek, der Chef der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), wurde von Staatspräsident Vaclav Klaus ebenfalls zum Premierminister ernannt - eine Eigenart der tschechischen Verfassung, die nicht viel mehr bedeutet, als dass Topolanek offiziell mit der Regierungsbildung beauftragt wurde.

Viel länger als ein Jahr währte Paroubeks Amtszeit nicht. Als er im Mai 2005 nach einem privaten Finanzskandal seines Vorgängers Regierungschef wurde, da lag nur noch das letzte Viertel der Legislaturperiode vor ihm. Paroubek trat sein Amt unter anderem mit einer ambitionierten EU-Agenda an - und stieß ausgerechnet in diesem Punkt recht rasch an seine Grenzen:

Jiri Paroubek  (Photo: CTK)

"Das, was wir als 'Superpriorität' bezeichnet haben, nämlich die Ratifizierung des Europäischen Verfassungsvertrages, konnte nicht umgesetzt werden. In diesem Punkt waren wir davon abhängig, wie sich die Situation in der EU insgesamt entwickelt. Nach dem Scheitern der Referenden in Frankreich und den Niederlanden war es nicht mehr möglich, in diesem Sinne weiterzumachen. Hier sind wir den Wählern also in gewisser Weise etwas schuldig geblieben", sagte Paroubek am Sonntag im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen.

Hintergrund: Die tschechischen Sozialdemokraten waren in den letzten Jahren stets als vehemente Befürworter der europäischen Integration aufgetreten. Die wirtschaftsliberale ODS wiederum gilt - übrigens im Gegensatz zur Mehrheit ihrer Stammwähler - als betont EU-skeptisch und steht auch dem europäischen Verfassungsvertrag äußerst reserviert gegenüber.


Auch in Fragen der finanziellen Umverteilung werden beide Parteien schwer um Kompromisse ringen müssen. Der Wirtschaft des Landes geht es gut, die Sozialdemokraten wollen mit den höheren Steuereinnahmen auch Mehrausgaben im sozialen Bereich, also etwa für die Renten, finanzieren. Die ODS wiederum drängt auf mehr Eigenvorsorge. Und hinsichtlich der Einführung des Euro, die für das Jahr 2010 geplant ist, warnt sogar der stellvertretende Finanzminister Eduard Janota vor einem zu hohen Budgetdefizit:

"Wenn wir 2010 der Währungsunion beitreten möchten, dann sollten wir bereits Mitte des Jahres 2007 soweit vorbreitet sein, dass wir alle so genannten Maastricht-Kriterien erfüllen. Dem Konvergenzprogramm zufolge sollte das Budgetdefizit dann nicht mehr als 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Aber wenn es in der Legislative bzw. im Staatshaushalt keine radikalen Änderungen gibt, dann ist es nicht realistisch, dass dieses Kriterium bis dahin erfüllt werden kann."

Mittlerweile steht in Tschechien aber ohnehin zur Debatte, die Übernahme der europäischen Gemeinschaftswährung auf das Jahr 2011 zu verschieben. Der sozialdemokratische Parteichef Jiri Paroubek möchte sich in diesem Zusammenhang jedenfalls noch nicht festlegen:

Eduard Janota
"Wir benötigen noch entsprechende Analysen. Zuerst müssen wir sehen, wo es in den Budgets für die nächsten zwei Jahre Kürzungen geben soll. Wenn auch im Bereich der Sozialausgaben Streichungen vorgenommen werden müssten, dann ist es vielleicht besser, die Einführung des Euro tatsächlich zu verschieben."

Ob er in den nächsten Tagen mit Mirek Topolanek bereits direkt über den Zeitpunkt der Euro-Einführung verhandeln wird, wollte Paroubek noch nicht vorwegnehmen. Ganz werden die Unterhändler beider Seiten an dem Thema aber wohl nicht vorbeikommen, denn Budgetfragen werden in jedem Fall zu diskutieren sein:

"Wenn wir die Regierung Topolanek tolerieren sollen, dann werden wir auch über den Staatshaushalt für das nächste Jahr sprechen müssen. Der größte Teil der Vorbereitungsarbeiten wurde ja noch von meiner Regierung erledigt, und deshalb ist es ganz natürlich, dass wir hier gesprächsbereit sind. Blankoscheck wird es aber keinen geben. Denn wenn es Kürzungen für Rentner oder Staatsbedienstete geben sollte, dann würde dieser Scheck nicht länger als fünf Minuten gelten. Seit acht Jahren achten wir als Regierungspartei auf den sozialen Frieden im Land. Bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen im Parlament kann niemand von uns erwarten, dass wir plötzlich eine andere Politik machen, nur weil wir die Regierung verlassen."


Auch in der Frage, wie lange die nächste Legislaturperiode angesichts der politischen Pattsituation eigentlich dauern soll, spielt die Europapolitik derzeit eine gewichtige Rolle. Die Sozialdemokraten wollen eine allfällige ODS-Minderheitsregierung nämlich nur zwei Jahre lang tolerieren und dann vorgezogene Parlamentswahlen ansetzen. ODS-Chef Mirek Topolanek bezeichnete dieses Vorhaben wörtlich als "Wahnsinn". Grund: Im Halbjahr 2009 wird Tschechien die EU-Präsidentschaft übernehmen. Ein Regierungswechsel kurz davor wäre unverantwortlich, meint Topolanek. Deshalb möchte er entweder gleich rasche Neuwahlen oder bis zum Ende der tschechischen Ratspräsidentschaft regieren. Jiri Paroubek sieht das anders:

"Im Jahr 1993 hatte Dänemark eine sehr erfolgreiche EU-Präsidentschaft, und damals kam es sogar während dieser Präsidentschaft zu einem Regierungswechsel. Passiert ist gar nichts. Genauso wenig würde meiner Ansicht nach passieren, wenn es im Vorfeld der tschechischen Präsidentschaft ein neues Kabinett gibt. Das Land braucht jetzt eine ordnungsgemäße Regierung, keine Übergangsregierung für ein halbes Jahr. Ich weiß nicht, wer im nächsten Frühjahr schon wieder zu den Urnen kommen würde. Und was dann in zwei Jahren ist, das werden wir ja sehen."

Zunächst aber wird es wohl eher darum gehen, was in zwei Tagen oder in zwei Wochen ist. Denn sollte die Tolerierung einer ODS-Minderheitsregierung durch die Sozialdemokraten an inhaltlichen oder personellen Fragen scheitern, dann könnte sich die Suche nach einer neuen tschechischen Regierung noch eine ganze Weile hinziehen.