Tschechische EU-Präsidentschaft 2009: Drängt die Zeit?

Fast ein halbes Jahr liegen die Wahlen zum Abgeordnetenhaus nun zurück, und noch immer konnte in Tschechien keine Regierung mit einer ausreichenden parlamentarischen Mehrheit gebildet werden. In außen- und wirtschaftspolitischer Hinsicht sind damit einstweilen keine größeren Probleme verbunden. Die starke Tschechische Krone etwa ist ein Indiz dafür, dass Tschechien trotz allem als stabiles Land mit einer funktionierenden Ökonomie gilt. Dennoch gibt es einige Bereiche jenseits des heimischen Tellerrandes, die ausreichende Vorbereitung in verlässlichen Strukturen dringend benötigen. Zum Beispiel die langsam näher rückende tschechische EU-Präsidentschaft. Gerald Schubert hat die Diskussion verfolgt.

Gerald, fassen wir zu Beginn kurz zusammen: Wann soll Tschechien denn den EU-Vorsitz übernehmen, und was kann man zur Aufgabe der Präsidentschaft ganz allgemein sagen?

Tschechien ist ab 1. Januar 2009 an der Reihe, also in etwas mehr als zwei Jahren. Dabei gilt das, was für andere Staaten auch gilt: Das jeweilige Vorsitzland kümmert sich um den Gang der europäischen Politik und versucht gleichzeitig natürlich, der Europäischen Union seinen eigenen Stempel aufzudrücken. So gut wie fest steht mittlerweile, dass es eine Einzelpräsidentschaft sein wird. Im vorerst gescheiterten Europäischen Verfassungsvertrag war ja vorgesehen, dass immer drei Länder für anderthalb Jahre die Präsidentschaft gemeinsam innehaben. Jetzt aber wird Tschechien wohl für ein halbes Jahr alleine dran sein. Übrigens nicht als erster EU-Neuling. Das ist bereits im Jahr 2008 Slowenien.

Tschechien wird also in etwa zwei Jahren im Mittelpunkt des europäischen Interesses stehen. Das ist ja eigentlich noch eine relativ lange Zeit. Trotzdem wird in Tschechien bereits über die Vorbereitung auf die Präsidentschaft diskutiert?

Bis dahin wird es in Tschechien wohl hoffentlich eine stabile Regierung geben. Aber dennoch: Jetzt ist das Land noch sehr intensiv mit sich selbst beschäftigt, und dabei gibt es wenig Raum für eine detaillierte Vorbereitung. Außerdem gibt es im Zusammenhang mit der jetzigen Regierungsbildung nach wie vor die Debatte über eine Verkürzung der nächsten Legislaturperiode. Man denkt etwa darüber nach, jetzt ein Kabinett zusammenzustellen, das nur bis zum Jahr 2008 amtieren würde - und dann würde es vorgezogene Wahlen geben. Man kann also nicht direkt von Zeitknappheit sprechen, aber auch die Aussichten bis 2009 sind einstweilen nicht besonders stabil.

Foto: Europäische Kommission
Der Regierungsbeauftragte für die Vorbereitungen auf die Präsidentschaft, Zdenek Hruby, ist dennoch optimistisch:

"Ich glaube nicht, dass die Situation so kritisch ist. Natürlich beobachten wir alle schon seit mehreren Monaten die Probleme mit der Regierungsbildung. Aber auf eine Sache konnten sich die politischen Kräfte dennoch einigen, und zwar darauf, dass der tschechische EU-Vorsitz trotz allem eine wichtige Priorität darstellt. Es wurden auch schon konkrete Schritte unternommen: Ein Regierungsdokument über die Vorbereitung der Präsidentschaft wurde angenommen, und es gibt auch bereits einen Regierungsbeauftragten, der mit der Agenda betraut ist. Das heißt, auf dem Niveau der Exekutive können die Vorbereitungen beginnen, und sie können durchaus erfolgreich sein."

Das betrifft aber eher die technische Ebene der Vorbereitung. Gleichzeitig aber sollte es wohl so etwas wie eine öffentliche Diskussion über die Inhalte geben. Kommt die nicht zu kurz, wenn vor allem innenpolitische Debatten geführt werden?

Martin Bursik
Das ist zu befürchten. Jeder Ratsvorsitz hat im Prinzip drei Ebenen. Die erste besteht wie eingangs bereits erwähnt darin, den normalen Gang der Institutionen zu garantieren; da sollte es relativ wenige Überraschungen geben. Die zweite Komponente besteht in der Abstimmung mit den Vorgängern und den Nachfolgern. Vor Tschechien wird Frankreich an der Reihe sein, nach Tschechien - im zweiten Halbjahr 2009 - Schweden. Hier muss es schon genauere Feinabstimmungen geben. Die dritte Ebene ist die der eigenen Impulse, die jedes Land einbringen will. Vor allem in diesem dritten Punkt ist eine öffentliche Diskussion natürlich dringend nötig, und es wird nicht leicht sein, zu gemeinsamen Perspektiven zu kommen.

Martin Bursik, der Vorsitzende der tschechischen Grünen hat aus der gesamteuropäischen Grünen Partei Erfahrungen mit der intensiven Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Am Sonntag sagte er in einer Diskussion des Tschechischen Fernsehens:

"Die neuen Mitgliedstaaten haben im Bereich der Effektivität natürlich nach wie vor ein Handicap - in der Wirtschaft, in der Bürokratie, in der Verkehrs- und Energiepolitik. Bei der europäischen Agenda, wo es jede Woche neue Entwicklungen gibt, kommen wir oft nicht einmal mit dem Lesen nach. Und jetzt sollen wir diese Debatten auf einmal anführen! Da müssen wir zunächst einmal Leute schulen, damit die überhaupt begreifen, dass die europäische Politik ein paar Pferdelängen voraus ist. Dann erst können wir uns überlegen, welche Impulse eigentlich von uns selbst ausgehen sollen, und welche Richtung wir vorgeben möchten. Dazu kommt: Unsere Positionen, unsere Prioritäten durchzusetzen - das ist zweitrangig! In erster Linie müssen wir wissen, in welche Richtung unser gemeinsames Europa unserer Meinung nach gehen soll."

In der heimischen Debatte ist auch dies ein wichtiger Punkt. Denn Tschechien ist ein eher kleines Land - und kleine Länder haben vielleicht noch ein bisschen mehr als große die Tendenz, öffentlich über die eigenen Prioritäten innerhalb eines großen Ganzen zu diskutieren.

In Fachkreisen wird über die Vorbereitung auf die Präsidentschaft ja schon länger diskutiert. Hast du den Eindruck, dass diese Debatte jetzt langsam vermehrt in der Öffentlichkeit geführt wird?

Langsam schon. Erstens gibt vielleicht die bevorstehende Jahreswende Anlass dazu, sich bewusst zu werden, dass Tschechien nur noch zwei Jahre von der Übernahme der Präsidentschaft entfernt ist. Außerdem dürften die meisten Tschechen nun von den Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung wirklich genug haben. Deshalb werden jetzt immer mehr auch die Nebeneffekte dieser langwierigen Prozedur thematisiert.

Foto: Europäische Kommission
Der bekannte Politologe Jiri Pehe jedenfalls gibt sich diesbezüglich recht pessimistisch:

"Ich würde vor allem davor warnen, dass Tschechien ein weiteres Jahr lang im Wahlkampf steht, denn dann könnten sich die politischen Parteien auf überhaupt nichts einigen. Ich fürchte, wenn es nicht bald zur Bildung einer stabilen Regierung kommt, dann werden wir auf den EU-Vorsitz tatsächlich nicht vorbereitet sein."

Pehes Kollege, der Politologe Jaques Rupnik, bringt die Diskussion auf eine allgemeinere Ebene - weg von den institutionellen Fragen, hin zu Fragen rund um eine europäische Öffentlichkeit in der Tschechischen Republik:

"Die Europäische Union gibt es schon eine ganze Weile, und es wird sie auch noch nach der tschechischen Präsidentschaft geben. Trotzdem sollten wir die Dinge nicht immer den Technokraten und Experten überlassen. Hier geht es um politische Fragen! Die tschechische Politik muss lernen, europäisch zu denken - das heißt, auch die tschechischen Probleme im europäischen Kontext zu begreifen, und nicht nur die so genannten nationalen Interessen durchzusetzen. Zweitens: Den EU-Vorsitz zu führen, das bedeutet verhandeln, Kompromisse suchen, zu einem Konsens finden. Konsens - das ist ein Schlüsselwort in der Europäischen Union. Es geht nicht darum, immer nur die anderen zu überstimmen, sondern bei verschiedenen Problemen zu immer neuen Übereinkünften zu gelangen. Wie sollen wir hier als Unterhändler, als Vermittler auftreten, wenn wir das nicht einmal zu Hause können? Wir müssen also die politische Situation bei uns zu Hause in Ordnung bringen, damit wir in Ruhe darüber nachdenken können, was der EU-Vorsitz eigentlich bedeutet - für Tschechien und für die Europäische Union."