Tschechien auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft

Foto: Europäische Komission

Das gerade erst begonnene Jahr 2004 wird nicht nur für Tschechien, sondern für neun weitere Länder Europas eine wichtige Zäsur darstellen. Am 1. Mai werden all diese Staaten der Europäischen Union beitreten, die somit die größte Erweiterung seit ihrem Bestehen vollziehen wird. Kein Wunder also, dass gerade in den künftigen Mitgliedsländern, deren Bürgerinnen und Bürger in den meisten Fällen in Volksabstimmungen mit überwältigenden Mehrheiten für den Beitritt votierten, bereits jetzt dem Beitrittsdatum entgegengefiebert wird.

Foto: Europäische Komission
Auch die politischen Vertreter der Europäischen Union selber blickten noch bis vor einigen Monaten relativ zuversichtlich und auch mit einer gewissen Hoffnung in Richtung 1. Mai 2004. Doch von all dem ist mittlerweile nichts mehr zu spüren. Insbesondere nach dem gescheiterten letzten EU-Gipfel, wo die Verfassung für die erweiterte Union beschlossen werden sollte, war der Jahreswechsel in weiten Teilen EU-Europas mit eine Art politischer Katerstimmung verbunden. Es wird sogar offen von einer tiefen Krise der 15er Gemeinschaft gesprochen, und das abgelaufene Jahr wird somit als nicht besonders erfolgreich bewertet.

Warum eigentlich? Das fragten wir die Journalistin Katerina Safarikova von der tschechischen Wochenzeitschrift Respekt, die sich seit Jahren der EU-Berichterstattung widmet.

"Für die Union war das wirklich kein gutes Jahr. Beginnend mit der Irak-Krise, die die Union entzweit hat, oder dem Skandal rund um die europäische Statistikbehörde Eurostat, wo die Schuldigen bis heute nicht wirklich zur Rechenschaft gezogen wurden, ganz zu schweigen vom gescheiterten Brüsseler EU-Gipfel, wo die Verfassung der künftig erweiterten Union hätte beschlossen werden sollen - das alles hat bei der Bevölkerung in den Mitgliedsländern tiefes Misstrauen gegenüber dieser EU und deren Institutionen geweckt. Besonders lang nachwirken wird wahrscheinlich die Nichteinigung in der Verfassungsfrage, denn gerade die Verfassung war oft als eine Art Amalgam bezeichnet worden mit dem Ziel die divergierenden Kräfte innerhalb der Gemeinschaft unter einen Hut zu bringen. In Wahrheit zeigte sich auf dem entscheidenden Gipfeltreffen, wie hartnäckig jedes Land seine eigenen partiellen Interessen zu wahren versucht und sich um das europäische Ganze nur wenig kümmert. Von einer europäischen Solidarität war also in Brüssel keine Spur."

Blickt man auf die vergangenen Jahrzehnte zurück, sieht man, dass der europäische Einigungsprozess schon mehrmals ins Stocken geraten ist. Es gelang jedoch auch immer wieder die Integration zu beleben und dank neuer weitergehender Projekte der Entwicklung eine neue Dynamik zu verleihen. So war es etwa Mitte der 80er Jahre der Entschluss der damals noch zwölf Mitgliedsstaaten über die Einführung des europäischen Binnenmarkts, oder zehn Jahre später die Festlegung eines genauen Zeitplans für den Übergang zu einer gemeinsamen europäischen Währung, welche die Integration mit neuem Leben erfüllten. Mit der Erweiterung um zehn neue Mitgliedsstaaten steht jedoch der Gemeinschaft die größte Herausforderung ihrer fast fünfzigjährigen Geschichte bevor. Könnte dieses Jahrhundertprojekt EU-Erweiterung - trotz der vielerorts bestehenden Bedenken und Befürchtungen der Regierungen und nicht zuletzt auch mancher Unions-Bürger - sich ähnlich positiv auswirken? Katerina Safarikova meint dazu im folgenden:

"Die Erweiterung könnte den Einigungsprozess beleben, aber wahrscheinlich wird das aus mehreren Gründen nicht geschehen. Der Hauptgrund liegt wohl darin, dass sich die Union immer noch mit der Verfassungsfrage herumschlagen wird. Bei den strittigsten Fragen, dem künftigen Stimmengewicht Spaniens und Polens wird es wohl vor den auf März angesetzten spanischen Wahlen keine Entscheidung geben können. Zudem beginnen im Frühjahr die Verhandlungen über den nächsten Finanzrahmen der Gemeinschaft, bei denen dann die ganzen regionalen Subventionen für Länder wie Spanien, Portugal oder Griechenland auf dem Spiel stehen. Bei diesen großen Themen muss zwangsläufig auch ein so präzedensloses Ereignis, wie die Erweiterung, ins Hintertreffen geraten. Auf Grund der Stimmung, die nach dem gescheiterten Gipfel zur Zeit in der Gemeinschaft überwiegt, kann man nur schwer annehmen, dass die Erweiterung zu einer Auflockerung der verhärteten Fronten führen könnte, eher im Gegenteil, d.h. die Verhandlungen werden dadurch komplizierter werden."

Aber zurück zur Tschechischen Republik. Gerade nach dem Brüsseler Gipfel stand den tschechischen Regierungsvertretern die Enttäuschung über den misslungenen Versuch den europäischen Versfassungsvertrag zu beschließen ins Gesicht geschrieben. Sowohl Premierminister Vladimír Spidla, als auch Außenminister Cyril Svoboda bemühten sich in ihren Stellungnahmen umgehend die Lage zu beschwichtigen und meinten, für Tschechien und die Europäische Union würden die Ergebnisse von Brüssel keine Tragödie darstellen. Soweit die Meinung des Regierungslagers. Wie berurteilen aber unabhängige Beobachter die Folgen für die Tschechische Republik? Überwiegen dabei die positiven oder die negativen Aspekte? Hören Sie dazu die Meinung von Katerina Safarikova:

"Ich denke sowohl, als auch. In Europa gilt bei solchen Fragen ganz allgemein, dass es nie eindeutige Antworten gibt. Natürlich wäre es für Tschechien besser gewesen, wenn es in Brüssel eine Einigung gegeben hätte, um so auch das Ansehen des europäischen Einigungsprozesses in den Augen der Bürger zu wahren. Auf der anderen Seite hätten aber alle beteiligten Länder - einer Einigung wegen - stark von ihren ursprünglichen Positionen abweichen müssen und dafür fehlten jegliche Voraussetzungen. Alle können sich jetzt als Sieger dieser ersten Brüsseler Runde betrachten und vielleicht erhöht das die Chancen für eine spätere Einigung. Das Scheitern des Brüsseler Gipfels ist also eine gute, wie auch gleichzeitig eine schlechte Nachricht."

Als ein möglicher Ausweg aus der jetzigen EU-internen Krise wurde in den letzten Wochen verstärkt die Idee einer Art Neugründung der Europäischen Union ins Spiel gebracht. In diesem Zusammenhang wurde das Mitte der 90. Jahre erstmals präsentierte deutsch-französische Projekt eines Kerneuropa wieder aufgetischt, d.h. die Perspektive, dass einige der Mitgliedstaaten sich in bestimmten Politikbereichen stärker integrieren würden als andere. Wäre ein solches Kerneuropa des Rätsels Lösung? Welche Position sollte Tschechien gegenüber solchen Überlegungen einnehmen: eine apriori positive - mit dem Verweis auf die Möglichkeit die Regeln einer solchen neu entstandenen Gemeinschaft von Beginn an mitbestimmen zu können, oder eine eher zögernd-abwartende? Das war unsere abschließende Frage an unsere Kollegin Katerina Safarikova von der Wochenzeitschrift Respekt:

"Ich denke, dass sich Tschechien schon an der Entstehung dieses europäischen Kerns beteiligen, aber gleichzeitig dabei auch bestimmte unverrückbare Grenzen definieren sollte. Die Gründe für eine Teilnahme an einer engeren Integration sind relativ einfach und zwar sollte Tschechien meiner Ansicht nach von Beginn an dort vertreten sein, wo wirklich europäische Politik gemacht wird, bzw. die ganzen wichtigen Entscheidungen fallen. Zudem ist es gerade für ein neu beigetretenes Land wichtig gleich zu Beginn nicht im Abseits zu stehen und schnell die lebenswichtigen Abläufe innerhalb der Gemeinschaft zu erlernen. Wenn es um die Grenzen für eine solche Zusammenarbeit geht, dann wäre das zum einen eine Art Garantie, dass zwei große Länder nicht alle übrigen überstimmen könnten und zum zweiten die Frage einer möglichen europäischen Verteidigungsallianz, die nicht als Gegenpol zur NATO gegründet und positioniert werden sollte. Wären diese beiden Bedingungen garantiert, dann sähe ich keinen Grund dafür, warum Tschechien nicht Teil eines solchen Kerns sein sollte."