Sprache, Identität, Selbstbewusstsein: Roma in Tschechien

Foto: YouTube Kanal von ROMEA

Bewundert, romantisiert, aber auch gehasst – die Roma in Tschechien hatten nie einen leichten Stand. Bis heute ist es oft nicht einfach für sie, in der tschechischen Gesellschaft Fuß zu fassen. Doch wer sind diese Menschen? Eine Frage, die auch für die Roma selbst nicht einfach zu beantworten ist. Doch werden die Angehörigen dieser Volksgruppe immer selbstbewusster. Wenn auch zaghaft.

Stück über den Rabauken Smolíček  (Foto: YouTube Kanal des Theaters Minor)
Das Theater Minor in Prag hat eine lange Tradition bei Aufführungen für Kinder, die von Kindern gestaltet wurden. Das ist auch an diesem Mittwoch so, eine Gruppe aus dem mittelböhmischen Kutná Hora / Kuttenberg führt hier ein Stück über den Rabauken Smoliček auf.

Doch an den Kindern, die auf der Bühne stehen, ist etwas besonders: Sie stammen alle aus einer sogenannten „Vyloučená lokalita“, einem schwierigen sozialen Umfeld. Viele von ihnen sind Roma.

Zbyněk Andrš  (Foto: Jana Šustová)
Im Anschluss an die Aufführung können sie auch selbst noch Zuschauer sein. Und zwar bei einem poetischen Programm, das ihnen ihre eigentlich eigene Sprache näherbringen soll.

Verlust der Sprache ist Verlust der Identität

Schnell aber fällt eines auf während der Veranstaltung: Die Roma-Kinder sprechen oft kein Wort Romanes. Auch wenn sie die alten Lieder kennen, die ihnen der Liedermacher Gejza Horváth vorsingt. Warum das so ist, weiß Zbyněk Andrš. Er ist zwar ein Gadzo, also ein Nicht-Rom, doch mit den Roma, ihren Liedern und Geschichten kennt sich der Romist gut aus:

Foto: Andrea Čánová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
„Tatsächlich sprechen diese Kinder kein Romanes mehr. Trotzdem haben sie die Sprache und einen gewissen Wortschatz weiterhin irgendwo im Hintergrund, vor allem durch ihre Großeltern. Auch wenn die natürlich schon längst zweisprachig sozialisiert sind. Bei den Kindern hier hat man gesehen, dass sie das eine oder andere Wort doch übersetzen konnten. Ansonsten ist es wirklich so, dass das eigentlich slowakische Romanes hier in Tschechien ausstirbt. Für eine Revitalisierung ist es aber noch nicht zu spät. Ein passives Sprachverständnis existiert indes bis zu einem gewissen Grad.“

Der Verlust der Sprache ist auch ein Verlust an Identität. Und gerade damit haben es die Roma in Tschechien schwer. Denn die tschechischen Roma an sich gibt es nicht mehr, da diese zu 90 Prozent ermordet wurden im Porajmos, dem Völkermord an den Roma im Nationalsozialismus. Heute leben hierzulande vor allem Roma aus der Slowakei. Die Probleme bleiben aber die gleichen. Zbyněk Andrš:

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
„Der Verlust der Sprache hat auch eine desintegrierende Wirkung auf die Identität der Roma. Vor allem durch den Druck vor und während des Kommunismus. Gemeint ist dabei der Druck durch Bildungsinstitute, aber auch das gesamtgesellschaftliche Klima. Wenn wir von Integration in die Mehrheitsgesellschaft sprechen, vergessen wir eine Sache: Gleichzeitig verläuft immer eine Desintegration der eigenen Kultur sowie der Werte und Traditionen.“

Besonders die Familie hält aber laut Andrš die Roma-Kultur zusammen. Die Erzählungen, Märchen und Anekdoten der Großeltern ersetzten die klassische Bildung in diesem Bereich.

Verdrängter Hass und zaghafte Besserung

Richard Samko  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Einer, der den Spagat zwischen Roma-Community und Mehrheitsgesellschaft geschafft hat, ist Richard Samko. Geboren ist er im nordostböhmischen Náchod und mittlerweile kennt ihn ganz Tschechien. Er ist nämlich Redakteur beim öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen, genauer gesagt beim Nachrichtensender ČT24. Zum Fernsehen gekommen ist er eher zufällig:

„Da bin ich eigentlich wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Ich hatte das Glück, die richtigen Leute zu kennen Ende der 1990er Jahre. Über die Bürgerinitiative Dzeno von Ivan Veselý und Jarmila Balažová konnte ich einen Grundkurs Journalistik abschließen. Weiter ging es dann auf die Hochschule für Journalistik quer durch verschiedene Medien. Geblieben bin ich schließlich beim Fernsehen.“

Die Karriereleiter beim Tschechischen Fernsehen sei er auch als Rom ohne Probleme raufgeklettert, so Samko. Abgesehen davon, dass er als gelernter Gastronom erst lernen musste, einen Computer zu bedienen. Ansonsten hätte ihm niemand Steine in den Weg gelegt. Die Kollegen hätten durch ihn sogar einen Zugang zu den Roma bekommen, der ihnen sonst verwehrt geblieben wäre, meint der Redakteur.

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Auch das Publikum sei gut auf ihn zu sprechen, nie hat er allein wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit schlechte Stimmen gehört. Was aber seine Arbeit angeht, sieht es anders aus. Vor allem in letzter Zeit bemerkte Richard Samko radikalere Töne in seine Richtung:

„Wahr ist, dass ich mir schon ab und zu bewusst böse Worte abgeholt habe. Ich habe mich nämlich von Anfang an journalistisch mit dem Extremismus auseinandergesetzt. In den 17 Jahren, in denen ich beim Fernsehen bin, habe ich einige Neonazi-Demos mitgemacht und habe da auch verbal einiges abbekommen. Ein tätlicher Angriff war aber nie dabei. Erst vergangenes Jahr, zum Staatsfeiertag am 17. November, habe ich das erste Mal wirklich Angst gehabt. Bei einer Demonstration der Anhänger vonc/festivaly/romacademy Präsident Zeman in der Prager Albertov-Straße wurde der Stab des Tschechischen Fernsehens angegriffen, also auch ich. Dabei wurden mir viele unschöne Dinge zugerufen.“

Foto: Sonia Sevilla,  CC0 1.0
Mit der Migrationskrise könnte man annehmen, dass sich der Hass in der Gesellschaft verschoben hat – von den Roma auf die Araber oder die Muslime insgesamt. Richard Samko lässt das so jedoch nicht gelten. Das sei eine zeitweilige Erscheinung, meint der Journalist. Bald wird es sicher wieder die Roma treffen mit Argumenten, dass diese unberechtigt Sozialleistungen abschöpften, faul seien oder ähnliches. Schwarz malen möchte er die Lage aber nicht. Positive Signale kommen auch aus der Roma-Community selbst. Man versucht anzukommen in der tschechischen Gesellschaft, wenn auch zaghaft und mit Vorbehalten:

„Es ist ein positiver Trend zu erkennen. Ich kenne mittlerweile viele Roma, die an den Universitäten studieren oder sich in den Sekundarstufen auf das Studium vorbereiten. Da hat sich viel getan in den letzten 17 Jahren. Es gibt aber auch eine negative Seite, vor allem in den kleineren Städten in Tschechien. Dort haben die meisten Roma resigniert und wandern ins Ausland ab. Sie begreifen nicht, dass die Gadzos, also die Nicht-Roma, auch Partner sein können. Manche wollen das auch bewusst nicht. Wenn ich die Lage insgesamt bewerten müsste, wiegen sich positive und negative Entwicklungen zu jeweils 50 Prozent auf. Ich will aber optimistisch sein und wünsche mir, dass die positiven Seiten bald mit 80 Prozent überwiegen.“

Foto: Jana Šustová
Was seine Identität als Rom angeht, ist für Samko die Sache klar:

„Identität ist etwas, das mir angeboren ist. Ich bin froh, glücklich und stolz darauf, ein Rom zu sein. Und vor allem darauf, zwei Dialekte unserer Sprache zu sprechen. Was dazu gehört sind natürlich meine Freunde und Familie. Das ist genauso selbstverständlich für den Rest der Roma. Niemand muss seine Identität als Rom aber an die große Glocke hängen. Wir wissen, wer wir sind, und das wichtigste dabei sind unsere engen Beziehungen zueinander.“

Die Sprache feiern

Foto: YouTube Kanal von ROMEA
Wer in Prag an Roma denkt, denkt auch an das Musik-Festival Khamoro. Jeden Sommer lockt es zahlreiche Menschen aus dem In- und Ausland in die tschechische Hauptstadt und bringt sie näher an die Kultur der Roma. Doch diesen November ist noch eine Veranstaltung hinzugekommen, die vor allem die Sprache der Roma feiert: die RomAcademy. Das Europäische Zentrum für Roma-Musik, das Prager Theater Minor und das Goethe-Institut Prag haben es organisiert. Monika Loderová vom Goethe-Institut erklärt, worum es bei RomAcademy eigentlich geht.

Monika Loderová | Foto: Archiv des Goethe-Instituts
Frau Loderová, Sie vom Goethe-Institut haben die Tage des Romanes hier in Prag mitorganisiert. Worum geht es dabei?

„Wie schon der Titel andeutet: Das Wichtigste war uns die Roma-Sprache und Kultur. Diese Bereiche sind ja auch ein zentrales Anliegen des Goethe-Instituts. Deswegen haben wir zusammen mit dem Europäischen Zentrum für Roma-Musik und Karolína Ryvalová ein Programm gestaltet, dass Kultur und Sprache kombiniert.“

Wie sind Sie dazu gekommen, dieses Projekt zu unterstützen?

„Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir uns mit der Kultur der Roma beschäftigen. Wir haben in den vergangenen Jahren auch ein großes Tanztheater-Projekt gestaltet. In diesem Jahr beteiligt sich das Goethe-Institut an einem Projekt der Bundeskulturstiftung. Es soll ein digitales Archiv der Roma-Kultur Mittel- und Osteuropas werden. Diese Veranstaltung ist ein Teil des Begleitprogramms.“

An wen richtet sich das Festival? Eher an die Mehrheitsbevölkerung, oder auch an die Roma selbst?

„Sicher an beide. Und an beide Zielgruppen hat es auch eine andere Botschaft. Für die Roma ist es wichtig, ihre eigene Tradition kennenzulernen und auch zu präsentieren. Für die Mehrheitsgesellschaft hingegen ist es wichtig, zu sehen, dass die Roma-Kultur auch Bestandteil der eigenen Kultur ist.“

Können Sie auch selbst ein bisschen Romanes?

„Zum Beispiel ‚Akh‘ ist das Auge oder ‚Phtal‘ ist der Bruder. Aber das habe ich auch erst während dieser Veranstaltung gelernt.“