Nachlese zum tschechischen EU-Referendum

Mit dem erfolgreichen Referendum über den Beitritt des Landes zur Europäischen Union hat Tschechien im Jahr 14 nach der politischen Wende des Jahres 1989 seine Rückehr nach Europa besiegelt. Mehr über die Volksabstimmung und die Ursachen für die hohe Zustimmung der Wähler erfahren Sie von Gerald Schubert und Robert Schuster in einer weiteren Folge unserer Sendereihe Schauplatz.

Vor etwas mehr als einer Woche entschieden sich die tschechischen Wähler mit einer überwältigenden Mehrheit von mehr als 75 Prozent mit den übrigen mitteleuropäischen Partnern, also der Slowakei, Polen und Ungarn gleichzuziehen und der Europäischen Union beizutreten. Da von den insgesamt zehn Beitrittskandidaten bereits sieben für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union stimmten, ist die Gemeinschaft tatsächlich auf gutem Wege, die größte Erweiterung in ihrer fast fünfzigjährigen Geschichte zu vollziehen.

Trotz des eindeutigen Ergebnisses, bei dem sich eigentlich alle weiteren Interpretationen erübrigen, stellt sich aber dennoch die Frage, ob dieses Resultat von vornherein absehbar war. Schließlich galten die Tschechen im Vergleich zu den mittel- und osteuropäischen Nachbarn lange als die größten Europa-Skeptiker, die vielleicht auch gerade deshalb unter den letzten an die Urnen gebeten wurden. Gab es da im Endeffekt selbst für Experten doch die eine oder andere Überraschung? Darüber sprach Radio Prag mit dem Politikwissenschaftler und Europaforscher Jakub Dürr von der Universität in Olomouc/Olmütz:

"Im Vergleich zu den ersten Erhebungen und Schätzugen zum EU-Beitritt Tschechiens, die bereits vor fünf Jahren durchgeführt wurden, ist es tatsächlich zu einigen sehr wesentlichen Veränderungen gekommen. Man darf nicht vergessen, dass die Zustimmung in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken ist und etwa im letzten Jahr sogar unter die 50-Prozent-Marke fiel. In dieser Hinsicht war die hohe Zustimmung doch sehr überraschend. Bei den Detailergebnissen sorgte vor allem das Votum der Senioren und Rentner für eine Überraschung, denn bei dieser Gruppe wurde im Vorfeld die größte Ablehnung erwartet. In diesem Ausmaß wurde das von niemandem erwartet, sowohl im Vorfeld der Volksabstimmung, als auch bei den Prognosen im Verlauf des Referendums."

Uneins sind sich aber die Experten darüber, was denn letzten Endes den Ausschlag für die mehrheitliche Zustimmung der Tschechen zum EU-Beitritt gab. Die Regierungsparteien versuchten das naturgemäß als Ergebnis ihrer umgerechnet knapp 7 Millionen Euro teueren Werbekampagne darszustellen, die gerade in den letzten Wochen vor der Abstimmung von vielen Seiten kritisiert wurde. Der Olmützer Politikwissenschaftler Dürr sieht jedoch die Ursache woanders. Für den Erfolg seien vor allem längerfristige Grundstimmungen innerhalb der tschechischen Gesellschaft verantwortlich gewesen, wie er im folgenden erklärt:

"Was die Kampagne angeht, so konnte diese meiner Meinung nach nicht wirklich das Ergebnis beeinflussen, weil es in der Gesellschaft langfristig eine positive Grundhaltung zum Beitritt gab. Die Kampagne hätte die Wähler höchstens animieren können zur Abstimmung zu gehen und somit für eine höhere Beteiligung sorgen. In dieser Hinsicht war sie nicht sonderlich erfolgreich, weil die Beteiligung ein wenig höher als 50 Prozent lag. Die zweite Ebene der Kampagne lag im Bereich der Information der Bürger über die Europäische Union. Auch hier ließen sich bestimmt große Lücken finden, aber es wäre ein Fehler, anhand der oft wenig aussagekräftigen Großplakate oder Fernsehspots zu meinen, dass die Kampagne oberflächlich war und völlig daneben lag. Da stand ein gewisses Konzept dahinter, das sich bemühte die Grundlagen für die Information aller gesellschaftlichen Gruppen zu schaffen."

Politische Siege und Erfolge haben bekanntlich viele Väter. So ist es nicht überraschend, dass auch nach dem Referendum über den Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union unter den Politikern und Parteien sofort Streit darüber ausbrach, wem denn der größte Verdienst an der positiven Entscheidung der Wähler gebührt. Sieht man sich die Detailergebnisse gemäß den parteipolitischen Präferenzen der Wähler an, gelangt man zum Ergebnis, dass mit Ausnahme der Kommunisten die Anhänger aller im Parlament vertreteten Parteien zu mehr als 80 Prozent mit "Ja" stimmten. Dennoch dürften auch hier die Empfehlungen der Parteien vor der Abstimmung nicht ausschlaggebend gewesen sein. Den Grund zu dieser Annahme gibt u.a. auch das Verhalten der kommunistischen Anhänger, die trotz einer anders lautenden Empfehlung der Parteiführung mit 35 Prozent für den Beitritt stimmten. Das schwache Gewicht der Parteileitungen bei der Entscheidungsfindung der Wähler bestätigt auch der Politologe Dürr:

"Sowohl die Wirkung der eigentlichen Kampagne, als auch die Rolle der politischen Parteien waren eigentlich minimal. Man muss das Ergebnis des Referendums im gesamten Kontext der vergangenen 13 Jahre sehen, denn die offizielle tschechische Politik und alle bisherigen Regierungen traten klar für einen Beitritt des Landes zur Europäischen Union ein. Paradoxerweise trifft das auch auf die Kommunisten zu, deren Programm ebenfalls ein klares Bekenntnis zu Europa enthält, wenn auch die gegenwärtige Struktur der EU abgelehnt wird. Ich denke, dass man dieses JA der Tschechen auch als eine bedingte Zustimmung werten sollte. Die Regierungsparteien, die nach dem Bekanntwerden des Ergebnisses so gejubelt haben und darin sogar eine Unterstützung für die Regierungspolitik heraulesen wollten, laufen Gefahr künftig die Stimmungen bei der Bevölkerung in der Europafrage falsch zu interpretieren. Die eigentliche Nagelprobe wird erst in einem Jahr stattfinden, wenn dann die ersten tschechischen Abgeordneten zum Europaparlament gewählt werden. Diesmal war aber die Korrelation zwischen der Unterstützung durch die Parteien und den Ergebnissen des Referendums nicht groß."

Kaum ging das Referendum über den Beitritt zur Europäischen Union über die Bühne, haben einige tschechische Politiker bereits vorgeschlagen in naher Zukunft eine weitere Volksabstimmung über Europa-Fragen durchzuführen. Anlass dafür sollte der künftige Europäische Verfassungsvertrag sein, der in den nächsten Wochen von den Regierungen der gegenwärtigen und künftigen Mitgliedsländer behandelt werden wird. Die Politiker begründen ihren Vorstoß damit, dass die zukünftige europäische Verfassung zu einem weiteren Souverenitätsvelust führen könnte und es somit legitim wäre, den Souverän, also die Wählerinnen und Wähler darüber abstimmen zu lassen.

Würden aber die Tschechen im Endeffekt diese Gelegenheit ihre Meinung zu äußern wahrnehmen, oder müsste man angesichts der komplexen juristischen Materie des Verfassungstextes nicht eher damit rechen, dass dann noch weniger Bürger, wie am vorvergangenen Wochenende von ihrem Recht Gebrauch machen würden? Abschließend kommt noch einmal der Europaforscher Jakub Dürr von der Universität in Olomouc/Olmütz zu Wort:

"In diesem Bereich bin ich sehr skeptisch, denn mir ist klar, dass keine Regierung, die dann im Amt sein wird, eine vergleichbar hohe Summe für eine entsprechende Informationskampagne bereit stellen wird, so wie das jetzt der Fall war. Man sollte sich überhaupt Gedanken darüber machen, ob ein Referendum über derart komplexe Zusammenhänge überhaupt Sinn hat. Aber die Teilnahme der tschechischen Wähler wird auch stark davon abhängen, wie zufrieden sie dann mit der EU-Mitgliedschaft ihres Landes sein werden. Würde es dann zwischen den ursprünglichen Erwartungen und der Wirklichkeit eine allzu starke Kluft geben, könnte sich dann der angestaute Frust an den Urnen entladen. Der zweite Grund für meine Skepsis ist die Gefahr, dass die Wähler aus innenpolitischen Motiven abstimmen könnten mit dem Ziel die amtierende Regierung abzustrafen. Somit würden die Wähler ihrer Unzufriedenheit mit der einheimischen Politik freien Lauf lassen, sich aber nicht auf Grund der aktuellen Situation innerhalb der Europäischen Union entscheiden."