Nachlese zum Parteitag der ODS

Verehrte Hörerinnen und Hörer, dass die größte tschechische Oppositionspartei, die rechtsliberale Demokratische Bürgerpartei (ODS) letztes Wochenende auf ihrem Parteitag wichtige Weichenstellungen vornahm, wissen Sie vielleicht bereits aus der einen oder anderen Sendung von Radio Prag. Robert Schuster greift in seinem folgenden Schauplatz einige interessante Aspekte dieses Parteitags auf.

Demokratische Bürgerpartei  (ODS)
Der 15. Dezember 2002 wird wahrscheinlich einmal in die Geschichte der tschechischen Politik eingehen. An jenem Tag bekam die stärkste tschechische Oppositionspartei, die Demokratische Bürgerpartei (ODS), im wahrsten Sinne des Wortes ein neues Gesicht. Nach mehr als 12 Jahren trat mit dem 61-jährigen Vaclav Klaus einer der profiliertesten Politiker der Nach-Wende-Zeit vom Parteivorsitz zurück und machte einem jüngeren, dem 46 Jahre alten Senator Mirek Topolanek, Platz.

Was vielleicht im Nachhinein nur als ein gewöhnlicher Generationenwechsel ausschaut, war beim genaueren Hinsehen und in Anbetracht aller Begleitumstände Ausdruck einer faktischen Machtverschiebung innerhalb der ODS. Vaclav Klaus selber versuchte in einer ersten Reaktion seine Enttäuschung gar nicht zu verbergen und sprach von einer Revolution der regionalen Parteigliederungen, die sich in einer Art Befreiungsschlag vom Zentrum und somit auch von der Person des Gründungsvorsitzenden Klaus emanzipieren wollten. Diese Interpretation griffen in den vergangenen Tagen auch viele Kommentatoren auf. Was hält der Politikwissenschaftler Ladislav Cabada von der Westböhmischen Universität in Plzen/Pilsen von dieser Sicht der Dinge?

Das Ergebnis des Parteitags sei, so Politologe Cabada im Gespräch mit Radio Prag, nicht ohne den Zusammenhang mit der neuen Gliederung der Tschechischen Republik in 14 sich selbstverwaltende Kreise zu verstehen. Mit der Verwaltungsreform, die ab 1. Januar 2000 in Kraft getreten ist, sind nicht nur neue Ämter entstanden, wie etwa jenes des Kreishauptmanns oder der Kreisregierung, zugenommen habe dadurch auch die Bedeutung von lokalen und regionalen politischen Repräsentanten innerhalb der Parteien. In keiner dieser Parteien habe das jedoch, so Cabada, bisher zu vergleichbar offenkundigen Verschiebungen geführt. Einer der Gründe, warum die Wahl gerade auf Topolánek fiel, könnte somit darin liegen, dass er von einer Mehrheit der Delegierten nicht als Bestandteil des Prager Partei-Establishments angesehen wurde. Für diese These führt Politikwissenschaftler Cabada folgenden Beweis an:

Interessant an der Person des frischgewählten ODS-Chefs ist dessen Herkunft. Er kommt aus Ostrava/Ostrau, wo er seit 1996 einen der dortigen Senatswahlkreise vertritt, und zwar obwohl die Region, mit ihrer maroden Schwerindustrie und hohen Arbeitslosigkeit eigentlich eher linke Kandidaten, d.h. Sozialdemokraten oder Kommunisten begünstigen müsste. Dieses Kunststück gelang vor ihm nur Evzen Tosenovský, dem ehemaligen Oberbürgermeister der drittgrößten tschechischen Stadt, der hier für die ODS bei Kommunalwahlen insgesamt zweimal große Siege feiern konnte. Und eben Tosenovský war es, der im Herbst als erster Bürgerdemokrat überhaupt ankündigte, sich um das oberste Parteiamt bewerben zu wollen und tat dies zu einem Zeitpunkt, wo Vaclav Klaus noch nicht entschieden war, ob er noch einmal antritt oder nicht. Später rückte zwar To"enovský von seinem Vorhaben ab und begründete dies mit der anhaltenden Kritik, der er sich von Seiten des Noch-ODS-Chefs ausgesetzt sah. Im Nachhinein lassen jedoch dessen Schritte den Schluss zu, dass To"enovský lediglich das Terrain für andere mögliche Kandidaten ausloten sollte.

Die Wahl Topoláneks zum ODS-Chef war um so bemerkenswerter, als das er zumindest in der Öffentlichkeit politisch bisher nicht stärker in Erscheinung trat. Dennoch soll es gerade in den letzten Monaten zwischen Topolánek, der gleichzeitig auch Fraktionschef seiner Partei im Senat war und Parteigründer Klaus, bzw. dessen Anhängerschaft zu tiefgreifenden Konflikten gekommen sein. Bestes Beispiel dafür war Topoláneks harscher Widerspruch, als die ODS-Führung vor einigen Monaten einen radikalen Meinungsschwenk vollzog und obwohl jahrelang abgelehnt, seither für die Einführung der Direktwahl des Präsidenten eintritt, um somit die Chancen für die Wahl ihres Kandidaten Klaus zu vergrößern. In seiner ersten Rede als gewählter Vorsitzender überraschte er hingegen wiederum mit der Aussage, dass die ODS auch unter seiner Führung, wie er wörtlich sagte, eine Politik des Klausismus vertreten wird. Der Politologe Cabada versucht im folgenden den Begriff Klausismus zu definieren:

Wie wird nun Vaclav Klaus mit den Ergebnissen des ODS-Parteitags umgehen? Offiziell hat er zwar immer betont, dass er sich auch ein Leben nach seinem Ausscheiden vom höchsten Parteiamt vorstellen könne. Zudem bewirbt er sich Mitte Januar kommenden Jahres um die Nachfolge Vaclav Havels im Amt des Staatspräsidenten. Aber viele Kenner von Klaus meinen, dass er sich, was die Partei angeht, auch in Zukunft nicht zurückhalten wird, wie auch Ladislav Cabada im folgenden bestätigt:

Eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit einem möglichen Comeback von Vaclav Klaus wird sicherlich auch der Umstand spielen, wie schnell sich Topolánek in die eingefahrenen Mechanismen der ODS eingliedern wird. Als gewisser Nachteil könnte sich dann erweisen, dass Topolanek Senator und nicht Mitglied des Abgeordnetenhauses ist, das im politischen System des Landes zweifelsohne die erste politische Bühne darstellt. Politologe Ladislav Cabada meint dazu abschließend:

Liebe Hörerinnen und Hörer, damit sind wir am Ende unserer heutigen Schauplatz-Sendung angelangt. Vom Prager Mikrophon verabschieden sich von Ihnen recht herzlich Silja Schultheis und Robert Schuster.