Nach dem Beben: Eindrücke aus Port-au-Prince

Foto: ČTK

Mehr als 150.000 Tote, über 200.000 Verletzte, vermutlich eine Million Obdachlose: Das ist die vorläufige Bilanz des schweren Erdbebens, das Mitte Januar Haiti heimgesucht hat. Seither sind Hilfslieferungen aus der ganzen Welt in dem Karibikstaat eingetroffen. Auch zahlreiche Journalisten haben sich ins Katastrophengebiet durchgeschlagen, um über die aktuelle Lage in dem zerstörten Land zu berichten. Einer von ihnen ist Pavel Polák vom Tschechischen Rundfunk. Er ist vergangene Woche wieder nach Prag zurückgekehrt.

Pavel Polák  (Foto: Alžběta Švarcová)
Pavel, einige unserer Hörerinnen und Hörer werden sich vielleicht an dich erinnern. Du warst eine zeitlang Mitglied der Deutschen Redaktion und arbeitest jetzt für den tschechischen Inlandssender Radiožurnál. Für das Radiožurnál warst du gerade im Erdbebengebiet auf Haiti. Wie lange warst du dort?

„In Haiti war ich ungefähr sechs Tage. Ich bin am vierten Tag nach dem Erdbeben geflogen. Es war aber nicht möglich, direkt nach Port-au-Prince zu fliegen. Der Flughafen war noch geschlossen, sogar die Flugzeuge mit Hilfsmaterial mussten in Santa Domingo, also in der Hauptstadt der Dominikanischen Republik, landen. Auch in bin dort gelandet und habe versucht, über die Grenze nach Haiti zu kommen, was mir auch gelungen ist. Danach habe ich dann sechs Tage in Port-au-Prince verbracht.“

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Was waren deine ersten Eindrücke, nachdem du über die Grenze gekommen bist? Ab wo hast du gesehen, welche Katastrophe hier passiert ist? Ist deren Ausmaß erst in der Hauptstadt richtig klar geworden, oder konntest du es schon vorher registrieren?

„Ich würde sagen, erst in der Hauptstadt. Die Gebiete um Port-au-Prince herum waren durch das Erdbeben nicht so stark zerstört worden. Aber man sah gleich hinter der Grenze, dass man in einem sehr armen Land ist, und dass das Leben hier auch vor dem Erdbeben nicht besonders gut war.“

Wie war die Situation in Port-au-Prince aus der Perspektive der Journalisten? Die Bilder der Katastrophe sind ja um die Welt gegangen. Man kann sich auch die Arbeitsbedingungen für Journalisten nur schwer vorstellen. Wie geht man damit um?

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„Für mich kam an erster Stelle die Sicherheit, und danach die Arbeit. Am ersten Tag habe ich mich einer irischen humanitären Organisation angeschlossen, mit der ich auch in die Flüchtlingslager innerhalb der Stadt gefahren bin. Die wussten schon, wo was ist, und ich wollte sehen, wie vor Ort geholfen wird. Später habe ich mich aber auch anderen Journalisten angeschlossen. Es ist nicht sicher, allein durch die Straßen zu gehen. Man braucht mehr als nur zwei Augen, wenn man arbeitet und berichtet. Der sicherste Ort war für mich dann der Flughafen. Er wurde von den amerikanischen Soldaten bewacht. Der Flughafen war ein Stützpunkt für Fernsehteams, am Abend hatte man dort auch Internet. Aber es gab keine Pressestelle, kein Wasser, kein Essen. Ich schlief meist unter freiem Himmel, was auch sicherer war. Gerade in der Nacht, in der ich in der Flughafenhalle schlief, habe ich das zweite Beben der Stärke sechs miterlebt. Das war überhaupt kein gutes Gefühl. Also die Arbeitsbedingungen waren sicher nicht besonders gut. Aber ich hatte Glück und konnte die meisten Beiträge wegschicken Auch mit dem Empfang hatte ich Glück, sodass ich auch live senden konnte.“

Du hast die Sicherheitslage angesprochen. Was war für dich konkret gefährlich? Lagen die Gefahren auch an der Tatsache, dass du zum Beispiel Wasser hattest, was momentan ja teures Gut ist?

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„Wenn man Wasser mithatte, durfte man es nicht zeigen. Als ich aber in einem Flüchtlingslager war und Wasser hatte, habe ich es verteilt, weil ich dachte, dass ich mir das Wasser schon irgendwo organisieren kann – was sich später als Irrtum herausstellte. Man hat außerdem nur eine Flasche, aber durstige Leute gibt es viele. Die Menschen waren verzweifelt, sie hatten Hunger, sie hatten Durst. Wenn man sich in so einer Lage befindet, macht man auch Dinge, die man normalerweise nicht macht. Damit hängt zum Beispiel das Plündern zusammen. In den ersten zwei, drei Tagen hat man geplündert, weil man Hunger hatte. In den nächsten Tagen hat man geplündert, weil sich bereits Gangs organisiert hatten, die die Gelegenheit zum Klauen nutzten.“

Radio Prag berichtet ja hauptsächlich darüber, was in Tschechien passiert. Tschechien ist eines der vielen Länder, in denen große Hilfsaktionen angelaufen sind. Was waren deine Eindrücke davon, wie die Hilfe ankommt? Und konntest du beobachten, wo es für die Opfer konkret Hilfe aus Tschechien gibt?

Foto: ČTK
„Die Organisation ‚Člověk v tísni‘ (Mensch in Not) unterstützt eine irische humanitäre Organisation. Ich glaube, dass gleich nach dem Erdbeben auch ein tschechisches Mitglied von ‚Ärzte ohne Grenzen’ nach Haiti geflogen ist. Und auch hier in Tschechien hat man viel Geld gesammelt. Das sind aber Informationen, die man eher aus den Medien hat oder die man schon vorher kannte. Wie dann aber die tschechische Hilfe vor Ort konkret umgesetzt wurde, das konnte man nicht sehen. Genauso wenig konnte man sehen, wie die französische Hilfe vor Ort umgesetzt wurde. Es was chaotisch. Aber was ich sehen konnte, ist, dass das Material aus der ganzen Welt, das auf dem Flughafen war, nicht zu den Menschen kam, weil einfach die Logistik fehlte. Die Infrastruktur in der Stadt war zerstört, die Straßen waren noch voll mit Trümmern, und ich glaube auch, dass die einzelnen humanitären Organisationen nicht ausreichend koordiniert waren. Es waren hunderte Organisationen da, und die sollte man glaube ich besser koordinieren. Das ist mein Eindruck. Aber ich will damit nicht sagen, dass sie schlechte Arbeit geleistet haben. Sie waren schnell vor Ort, und sie wollen helfen. Das ist glaube ich das wichtigste.“

Spenden sind nach wie vor sinnvoll?

„Das auf jeden Fall.“