Kostenlose Sprachkurse für Jugendliche aus Kinderheimen

Sprachschule IGL in Josefuv Dul

Das deutsche Wort "Sprachferien" drückt es eigentlich bereits aus: Im Sommer gleich mehrere Wochen von zu Hause weg zu sein, Gleichaltrige kennen zu lernen, neue Freunde zu finden, und sich dabei - außerhalb des üblichen Schulbetriebs - in einer Fremdsprache zu üben, das ist wohl für die meisten Kinder und Jugendlichen, die diese Möglichkeit haben, mehr als bloße Vorbereitung auf das nächste Schuljahr. Für die 60 Jugendlichen aus Kinderheimen aber, die im August drei Wochen im böhmischen Josefuv Dul / Josefsthal verbrachten, wo sie auf Initiative einer Stiftung in den Genuss kostenloser Fremdsprachenkurse kamen, für sie war jener Aufenthalt noch weit mehr als eben eine gelungene Kombination aus Spracherwerb und Ferien. Warum, das verrät Ihnen Gerald Schubert, der in Josefuv Dul zu Gast war und folgenden Bericht für Sie vorbereitet hat.

Logo der Sprachschule IGL
Eine Ahnung von sozialer Integration. Ein Gefühl dafür, dass die gute Ausbildung von Jugendlichen, und zwar auch von solchen aus schwierigen sozialen Verhältnissen, letztlich im gesellschaftlichen Interesse liegt. Dass also die Maxime "allein gegen den Rest der Welt", mag sie auch manchmal als einzig mögliche erscheinen, beim Aufspüren von Lebensperspektiven vielleicht doch nicht die ultima ratio darstellt. So etwa kann man, freilich abseits vom unmittelbaren Lernerfolg, die wesentlichen Erfahrungen umreißen, die diesen August sechzig Jugendliche in Josefuv Dul / Josefsthal machen durften.

Vierzehn bis achtzehn Jahre sind sie alt, Burschen wie Mädchen, und alle teilen sie ein ähnliches Schicksal. Zerrüttete Familienverhältnisse haben sie allesamt zu Bewohnern von Kinderheimen gemacht. Früh waren sie mit Gewalt, Kriminalität oder einfach Ablehnung durch die eigenen Eltern konfrontiert, unstete Lebensverhältnisse und Mangel an Geborgenheit bestimmten meist schon in der Kindheit ihren Alltag. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass jene Jugendlichen einen Sommersprachkurs ganz besonders im Hinblick auf das soziale Umfeld bewerten, in dem der Unterricht stattfindet, und im Hinblick auf den kommunikativen Umgang miteinander, den viele von ihnen sonst oft vermissen müssen.

Doch wie war es zu dieser Initiative eigentlich gekommen? Das Bankhaus CSOB, also die Ceskoslovenska Obchodni Banka, hat als Hauptfinancier gemeinsam mit der Stiftung "Vybor dobre vule" von Olga Havlova, der verstorbenen Gattin des tschechischen Präsidenten, das Projekt namens "Zlaty dukat" in die Wege geleitet, und eine Trägerorganisation für dessen eigentlichen Ablauf gesucht. Im Zuge dessen wandte man sich an IGL, eine in Prag ansässige, ursprünglich in Regensburg beheimatete deutsche Sprachschule.

IGL hat sofort zugesagt. Die Schule ist hierzulande bereits seit 1991 aktiv. Seit damals hat sie einen Sitz in Prag. Und seit nun mehr als drei Jahren gibt es auch die Filiale in Josefuv Dul, wenige Autominuten von Mlada Boleslav / Jungbunzlau entfernt. Das geräumige alte Schulhaus, inmitten eines schönen Gartens gelegen, scheint bereits auf den ersten Blick gut für eine Veranstaltung dieser Art geeignet zu sein. Was der Schule vorerst jedoch mehr Anlass zum Nachdenken bereitete, war die inhaltliche Komponente des Projekts. Magdalena Nenou, sie ist die Leiterin der tschechischen Dependance von IGL, erzählt:

"Wir haben quasi das Projekt selbst erlernen müssen, weil wir nie zuvor so etwas gemacht haben. Wir haben während der Zeit, in der wir das ganze Programm vorbereiteten, wahnsinnig viel gelernt, weil wir sonst "nur" deutsch und englisch, beziehungsweise tschechisch unterrichten, und zwar bei Firmen sowie im Rahmen unserer Kurse für die Öffentlichkeit oder unseres Postmatura-Studiums. Jedenfalls war das für uns etwas völlig neues. Und ich muss sagen, die Gefühle dabei waren natürlich emotional sehr stark, denn wir wussten nicht, was uns erwartet."

Wie also hat sich also die Arbeit mit den Jugendlichen nun gestaltet? Wurde unter den gegebenen Umständen bald eine gemeinsame Vertrauensbasis gefunden, die für einen gelungenen Sprachunterricht, und nicht nur für diesen, unerlässlich ist? Lassen wir Frau Nenou weitererzählen:

"Das Vertrauen, ich denke, die spüren das, war sofort da. Denn wenn jemand überhaupt merkt, ob die Gefühle echt sind, dann sind das gerade solche Kinder. Und das war für mich auch eine total neue Erfahrung. Ich hatte ja nie mit Kindern aus solchen teilweise katastrophalen Familienverhältnissen zu tun. Allerdings muss ich sagen, ich muss das selber auch jetzt im Nachhinein verarbeiten. Denn einerseits gab es riesige Freude, aber wenn du dann im persönlichen Gespräch mit den jeweiligen bist, dann erfährst du Background, persönliche Lebensläufe, die bereits in diesem Alter so schrecklich sind!"

Den Aufenthalt der Jugendlichen in Josef Dul, den Kurs, und alles was um diesen herum noch organisiert wurde, darf man bestimmt als gelungen bezeichnen. Noch Ende der vergangenen Woche fand die Abschiedsfeier statt. Und wenn es sogar für die Schulleitung etwas zu verarbeiten gibt, dann gilt das wohl erst recht für die jungen Kursteilnehmer, die nun wieder in alle Teile des Landes zurückkehrten. Gibt es also irgendwelche Pläne, den einmal so gut angebahnten Kontakt nicht wieder abreißen zu lassen? Magdalena Nenou:

"Wir haben ganz einfach Adressen gesammelt. Und wir werden versuchen, jetzt mal konkret vor Weihnachten eine Weihnachtsparty für alle zu organisieren, für uns alle sage ich jetzt mal, denn wir freuen uns auch riesig drauf. Und auf diese Weise versuchen wir dann, deren Leben zu verfolgen."

Wie haben nun die abgelaufenen drei Wochen des Sommersprachkurses aus der Sicht der Jugendlichen ausgesehen? Ich habe die 17-jährige Tina zunächst einmal gefragt, wie eigentlich das Freizeitprogramm ausgesehen hatte:

"Wir spielen Volleyball, Tischtennis, und wir malen."

Als Tina dann einen weiteren inhaltlichen Bogen spannen und zur Qualität des Aufenthalts in Josefuv Dul detaillierter Stellung nehmen wollte, da war es mit ihrer Bereitschaft, deutsch ins Mikrophon zu sprechen, zwar vorbei, doch gerne wollen wir sie in ihrer Muttersprache von ihren Eindrücken erzählen lassen:

"Am meisten hat mir hier der Zugang der Leute zu dieser Sache gefallen, denn ich habe mir wirklich etwas ganz anders erwartet. Ich habe mir erwartet, dass das einfach so sein wird, dass wir da sitzen werden, vor uns ein Lehrer steht, zu dem wir gar keinen Bezug haben, und dass sie uns einfach Deutsch eintrichtern, dass wir gezwungen sein werden, dort zu sitzen, und niemand von uns Spaß daran hat. Ich habe mich dabei jedoch sehr geirrt, und ich bin froh. Ich bin froh, dass ich mich da geirrt habe."

Noch etwas ist zum Ablauf des Programms zu sagen: Außerhalb des Unterrichts wurde nämlich nicht nur Sport betrieben. So besuchte man etwa einmal den Safaripark in Dvur Kralove. Auch gab es diverse Programmpunkte, wo auf spielerische Weise Informationen zum Thema Europäische Union erarbeitet wurden. Und auch mit der Firma Skoda, die im nahegelegenen Mlada Boleslav ansässig ist, gab es eine intensive Zusammenarbeit. Wie die konkret aussah, erzählte mir der Leiter der Bildungsabteilung von Skoda, Herr Karel Chadt:

"Die Kinder haben sich sowohl das Skoda-Automuseum als auch die Produktion selbst angeschaut, damit sie sehen, wie ein Auto entsteht. Und von meiner Seite wird es noch eine Präsentation der Firma geben, darüber was wir tun, wie wir es tun, welche Ergebnisse wir haben. Es geht dabei auch darum, eventuell neue Arbeitskräfte für Skoda zu finden, junge Leute mit einer Perspektive. Das heißt, es wird eine Diskussion mit den Kindern geben, sie werden die Gelegenheit haben, Fragen zu stellen, damit sie sich vorstellen können, worum es sich bei so einer großen und erfolgreichen Firma überhaupt handelt."

Schließlich hatte ich auch noch Gelegenheit, mit Gottfried Schinner, dem Chef der Sprachschule IGL zu sprechen, der seinen beiden tschechischen Niederlassungen viel Zeit widmet und auch diesmal aus Regensburg angereist war. Wie sieht er das Projekt der Stiftung von Olga Havlova und die Zusammenarbeit mit seiner Schule?

"Es ist ja nicht unbedingt leicht für uns, so ein Projekt zu machen, denn wir bekommen nichts dafür. Wir machen dieses Projekt unentgeltlich, haben es aber trotzdem gemacht, weil wir dachten, dass gerade die Art des Sprachunterrichts, den wir an unserer Schule haben, zu diesen jungen Leuten passt. Uns geht's nämlich darum, und natürlich ganz besonders jetzt in diesem Sommerprojekt, dass die jungen Leute Spaß haben an der Sprache, dass sie viel kommunizieren, auch in lustvollen Zusammenhängen, in Sprachspielen etc., und dass die jungen Leute auf diese Art ein Verhältnis zur Sprache bekommen, ein Gefühl für die Sprache. Das ist die Art Unterricht, die dem Anspruch unserer Schule entspricht. Und das war eigentlich der Auslöser dafür, dass wir gesagt haben: Auch wenn wir kein Geld verdienen und das unentgeltlich machen, machen wir's trotzdem, weil wir uns vorstellen konnten, gerade mit jungen Leuten so einen Unterricht zu machen. Und es hat sich auch gezeigt, dass vom Feedback der Kursteilnehmer her die Rechnung aufgegangen ist. Es gab einige, die gesagt haben, sie wussten vorher gar nicht, wie viel Spaß die deutsche Sprache machen kann, oder die englische Sprache. Und dann haben wir eigentlich unser Ziel erreicht."

Zum Schluss dieses Beitrags kommen wir noch auf das Generalthema der letzten Zeit zurück. Denn wenn auch Josefuv Dul vom Hochwasser verschont blieb, so standen für Herrn Schinner die letzten Wochen doch auch im Schatten der Katastrophe. Denn die Prager IGL-Niederlassung steht - oder besser gesagt stand - in Karlin, dem von den Überschwemmungen am ärgsten betroffenen Stadtteil. Herr Schinner erzählt:

"Also, ich bin jetzt hier mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einem Lachenden, weil dieses Projekt hier aus unserer Sicht wirklich ein Erfolg war. Und mit einem weinenden, weil in unserer Schule in Prag, in Karlin, wirklich alles kaputt gegangen ist. Das ist ein herber Rückschlag für uns, und wir sind jetzt in Prag in einer kritischen Situation."

Uns bleibt an dieser Stelle nur noch, allen Beteiligten viel Glück für die Zukunft zu wünschen. In Prag-Karlin ist dieses wohl für viele erst längerfristig denkbar. Doch wenn wir einen Blick zurück nach Josefuv Dul werfen: Vielleicht lassen sich ja künftige Treffen organisieren, wie sie von Schülern und Lehrern gewünscht wurden. Und vielleicht konnte sich im Bewusstsein mancher der jugendlichen Teilnehmer das verankern, was das Hauptanliegen des Kurses war: Die positive - und doch eigentlich logische - Verbindung zwischen Sprachunterricht und kommunikativem Miteinander.