Kannste vergessen? – Ein Jahr Tschechische Republik im Schengen-Raum

Alte Grenzstation (Foto: Martina Stejskalová)

Vor einem Jahr genau ist die europäische Integration einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Am 21. Dezember 2007 ist die Tschechische Republik mit weiteren neun Ländern dem Schengen-Abkommen beigetreten. An vielen Grenzübergängen zu Deutschland und Österreich sägten Politiker medienwirksam Schlagbäume durch und schüttelten auf der Grenze Hände. Seitdem gibt es keine Grenzkontrollen mehr. Was nicht heißt, dass man immer frei durchreisen kann. Christian Rühmkorf hat sich mit dem Mikrofon nach Südmähren begeben, an die Grenze zu Österreich, um zu hören, wie die Dinge nach einem Jahr Schengen laufen.

Mikulov
Bürgermeister Rostislav Koštial sitzt in seinem Amtszimmer. Hinter seinem Schreibtisch hängteine Fahne mit dem Wappen der südmährischen Grenzstadt Mikulov / Nikolsburg. Koštial erinnert sich noch gern an die gemeinsame Feier an der Grenze. Ein Jahr und ein paar Stunden ist es her, dass Mikulov zusammen mit der österreichischen Nachbargemeinde Drasenhofen den Beitritt der Tschechischen Republik zum Schengenraum gefeiert hat. – Das Ende der Grenzkontrollen. Das neue Schengenmitglied hat seit dem keine Grenze mehr mit einem Staat außerhalb des Schengenraumes.

„Wir haben natürlich alle angestoßen zu Volksmusik aus Tschechien und Österreich. Es war eine würdige Feier. Am Ende wurde die Europa-Hymne, die Ode an die Freude, gespielt und dann gab es ein großzügiges Feuerwerk.“

Die Veränderungen von der Grenzöffnung 1989 bis hin zum Wegfall der Grenzkontrollen im Jahre 2007, das sind Ereignisse, die den Bürgermeister immer noch faszinieren:

Aber auch wirtschaftlich ist vieles in der Region in Bewegung geraten, sagt Bürgermeister Koštial:

„Zum Arbeiten fahren auch einige Tschechen nach Österreich. Aber nach meinen Informationen werden das immer weniger. Die Krone ist sehr stark geworden, die tschechischen Löhne sind massiv gestiegen, es lohnt sich also nicht mehr so sehr in Österreich zu arbeiten. Aber wir haben hier in Mikulov unter anderem eine österreichische Firma, das Kabelwerk, und da arbeiten natürlich viele Tschechen aus Mikulov.“

Wir verlassen Mikulov in südlicher Richtung, um den Bürgermeister der anderen Seite zu besuchen. Es dauert nur wenige Minuten, da taucht schon die alte verwaiste tschechische Grenzstation auf, wo man bis vor einem Jahr noch den Pass vorzeigen musste. Uns fehlen nur noch 50 Meter bis zum legalen und kontrollfreien Grenzübertritt, da winkt uns eine rote Kelle an den Straßenrand.

Alte Grenzstation  (Foto: Martina Stejskalová)
Tschechische Polizisten wollen die Ausweise sehen, schieben sie in ihren mobilen Computer, teilen uns mit, wo wir wohnen und verlangen dann noch die Wagenpapiere inklusive Versicherungsnachweis. Das ganze nimmt mehr Zeit in Anspruch als eine Passkontrolle. Solche Verkehrskontrollen finden seit dem Schengenbeitritt oft statt, wie auch die Polizisten bestätigen. Gestiegen ist im letzten Jahr vor allem die Zahl der betrunkenen Autofahrer. 700 alkoholisierte Fahrer wurden gestoppt. Uns lässt man aber weiterfahren und dann geht es ziemlich schnell. Fünf Minuten später sind wir in Drasenhofen, dem österreichischen Grenzdorf mit rund 1150 Einwohnern, Tendenz abnehmend. Kaum jemand ist auf der Straße. Wer in dieses Dorf kommt, der will zumeist weiter in die 10, 15 Kilometer entfernte Bezirksstadt Mistelbach oder gleich über Land nach Wien.

Bürgermeister Josef Studeny empfängt uns in seiner kleinen Amtsstube. Studeny ist ein tschechischer Name. Aber das ist ja in Österreich keine Seltenheit. Auch Josef Studeny erinnert sich noch gern an die Feier zur vollständigen Grenzöffnung vor einem Jahr.

Alte Grenzstation  (Foto: Martina Stejskalová)
„Wobei auf österreichischer Seite immer wieder der Gedanke war: ´Ja, wenn also die Grenze jetzt nicht mehr ist, dann Illegalität und Einbruch usw.´ Aber das hat sich bis jetzt eigentlich in Grenzen gehalten.“

In Grenzen gehalten, wo keine Grenzen mehr sind?

„Was also in den letzten Monaten aufgefallen ist, das sind diese Dämmerungseinbrüche. Die häufen sich. So zwischen drei und fünf Uhr Nachmittag, wo also Bewohner beobachtet werden – ob sie das Haus verlassen, wie oft sie das Haus verlassen. Und dann passiert es. Das ist in letzter Zeit eigentlich mehr geworden. Da sind also die Leute etwas beunruhigt.“

Wie sehen die Drasenhofener den Schengen-Beitritt Tschechiens und damit die weitere Annäherung beider Seiten ansonsten? Sind die Leute noch skeptisch? Bürgermeister Studeny:

„Natürlich sind das immer einige wenige. Man darf das natürlich nicht überhören. Aber im Großen und Ganzen klappt das, sehe ich das mit Sicherheit positiv, ich sehe auch Schengen positiv. Für uns ist also diese Erweiterung eine große Chance. Genauso wie für unsere Nachbarn und wir müssen damit gemeinsam arbeiten. Und da sind wir dran, dass wir das schaffen. Keine Frage!“

Josef Studený  (Foto: Autor)
Und wie sieht es wirtschaftlich aus? Profitiert Drasenhofen vom Wegfall der Grenzkontrollen?

„Natürlich. Natürlich. Ich bin ein positiv denkender Mensch. Es gibt natürlich immer wieder auch den einen oder anderen, der sagt: na ja. Aber sagen wir mal so – wenn wir was finden wollen, dann finden wir überall etwas.“

Diejenigen, die schon etwas gefunden haben, die finden wiederum wir recht schnell. In einem Gasthof bei Drasenhofen sieht die Sache nämlich anders aus.

Der Wirt kocht Kaffee und zapft Bier für ein spärliches Häuflein Nachmittagsgäste. Grenzöffnung und Schengen? Kannste vergessen, heißt es immer wieder. Eine Katastrophe sei das, sagt einer von Ihnen. Die Tschechen, die hätten ja nichts, außer zu hohe Preise für Gas, Wasser und Benzin. Und was machste, wenn du nichts hast – dann gehste stehlen, meint er, natürlich nicht in das Mikrofon. Gerade am Vortag seien wieder Motorräder geklaut worden. Tschechen kämen zwar über die Grenze nach Österreich, ließen aber keinen einzigen Cent dort. Und die Unternehmen in der Region – ein Kabelwerk und ein Hersteller von Skibindungen – die hätten neue Standorte in Mikulov aufgemacht und damit den Österreichern die Arbeit genommen. Kannste vergessen - der häufigste Satz in dieser Kneipe.

Drasenhofen  (Foto: Autor)
Wir brechen wieder auf in Richtung Mikulov und machen abermals Station bei der Polizei. Diesmal aber gewollt und verabredet.

In der ehemaligen österreichischen Grenzstation ist heute das so genannte österreichisch-tschechische Polizeikooperationszentrum Drasenhofen-Mikulov untergebracht. In einem einfachen Büroraum an einem großen Schreibtisch sitzen sich drei tschechische und drei österreichische Polizisten gegenüber. Zwischen beiden Seiten ein DIN-A-4-Blatt hoher Sichtschutz. Es erinnert ein wenig an einen Besuchsraum im Gefängnis. Hier werden alle regelmäßigen gemeinsamen Polizeistreifen und Sondereinsätze koordiniert. Hier laufen die Informationsfäden zusammen.

Kontrollinspektor Leopold Schreiber ist der österreichische Leiter des Polizeikooperationszentrums:

„Hier sehen Sie, wie der Kontakt funktioniert. Ohne Hemmungen und ohne irgendwelchen Verwaltungsaufwand. Wir bezeichnen unseren gemeinsamen Arbeitsraum hier als Lagezentrum. Auf der einen Seite sitzen die Österreicher, auf der anderen Seite sind die Tschechen. Beide Seiten haben auch ihren Funk zur Verfügung. Sollte es also zu einer grenzüberschreitenden Nacheile kommen, dann können die Information sofort an den Nachbarstaat weitergeleitet werden.“

Leopold Schreiber  (Foto: Alexis Rosenzweig)
Grenzüberschreitende Nacheile, das ist die Verfolgung eines flüchtigen Verdächtigen durch Polizeibeamte über die Grenzen ihres Zuständigkeitsbereichs hinaus, also auch über Landesgrenzen hinweg. So ist es im Schengen-Abkommen geregelt.

„Wenn irgendwo in Österreich etwas gestohlen wird, im Grenzbereich vor allem natürlich, und das Fahrzeug entfernt sich in Richtung zur tschechischen Grenze, so müssen wir ja heute im Zuge dessen, dass es keine Grenzkontrollen mehr gibt, die tschechischen Kollegen darüber verständigen, dass so ein Fahrzeug unterwegs ist, so dass auch auf tschechischer Seite eine Fahndung eingeleitet wird. Und das wird auch über uns veranlasst.“

Und wie sieht es aus mit der Kriminalität im Grenzgebiet? Kontrollinspektor Schreiber.

„Also genaue Daten kann ich Ihnen hier leider nicht sagen. Aber im Grunde genommen ist der Trend, dass die Eigentumsdelikte im österreichischen Grenzbereich schon gestiegen sind. Da spricht man von Diebstählen beziehungsweise von Einbruchsdiebstählen, Kfz-Diebstählen usw.“

Lada Swiersovičová mit ihrem österreichischen Polizeikollegen  (Foto: Alexis Rosenzweig)
Ein Problem sind Asylbewerber. Sie dürfen ihren Asylantrag nur in dem Schengen-Land stellen, über das sie in den Schengenraum eingereist sind. Es kommt immer wieder vor, dass Asylbewerber zum Beispiel nach Polen einreisen, aber eigentlich nach Österreich oder Deutschland wollen. Werden sie in Österreich aufgegriffen, so koordiniert das Kooperationszentrum Drasenhofen-Mikulov ihre Rückführung über Tschechien nach Polen. Woher kommen diese Asylsuchenden kommen von sehr weit her, wie Kontrollinspektor Schreiber berichtet:

„Die derzeit größte Nationalitätengruppe, die illegal nach Österreich hinein zu kommen versucht, stammt aus dem ehemaligen oder immer noch russischen Raum, wie Tschetschenien. Dann noch Afghanistan und Irak natürlich. Das richtet sich in der Regel danach, wo gerade Konflikte herrschen.“

Eine Bilanz fällt den Polizisten im österreichisch-tschechischen Kooperationszentrum am leichtesten: Die polizeiliche Zusammenarbeit hier im Grenzbereich ohne Grenzkontrolle laufe reibungslos. Die Tschechen sprechen bestens Deutsch und die Österreicher bemühen sich ums Tschechische. Die tschechische Dienstchefin Lada Swiersovičová bleibt „offen“ diplomatisch bei der Frage, in welcher Sprache hier am meisten koordiniert wird.

„Na ja, ich kann offen sagen, dass ich lieber Deutsch spreche. Aber meine Kollegen wollen immer wieder mehr Tschechisch sprechen. Und alle wollen wir natürlich die Sprache immer üben. Bis jetzt ist das immer noch Deutsch, aber ich kann offen sagen: Tschechisch ist es auch immer öfter.“

Am Abend nach unserer kleinen Reise durch die tschechisch-österreichische Schengenlandschaft kehren wir ein in eine Kneipe in Mikulov. Ein tschechischer Winzer legt keinen gesteigerten Wert auf den Wegfall der Grenzkontrollen: „Ich exportiere nichts nach Österreich. Mir ist das also egal“, sagt er.

Hat der Schengenbeitritt also gar nichts gebracht? „Doch, billigeren Wein aus Österreich!“

Den gab´s allerdings auch schon vor Schengen.