Fünf Jahre tschechischer Schengenbeitritt: Deutsche kontrollieren immer noch

Foto: Europäische Kommission

Es war der 21. Dezember 2007, da fielen zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik endgültig die Grenzen. Grenzüberschreitende Straßenfeste wurden damals gefeiert, beispielsweise in Zittau. Doch schon kurz nachher machte sich Ernüchterung breit: Deutschland hatte intensive Kontrollen hinter den Grenzen aufgenommen. Fünf Jahre nach dem Schengen-Beitritt der Tschechischen Republik und weiterer jüngerer EU-Mitgliedsstaaten bestehen weiter Klagen aus Prag. Es geht um die Bewertung der tschechischen Drogenpolitik, um Verbrechensstatistiken und die deutsche Schleierfahndung.

Crystal  (Foto: Creative Commons / Public Domain)
Regelmäßig berichten tschechische Medien, dass die Polizei wieder eine Pervitin-Küche ausgehoben hat. Pervitin ist in Deutschland unter einem anderen Namen bekannt: Crystal. Die Droge ist ein Metamphetamin und kann bei regelmäßigem Genuss den Körper und die Persönlichkeit des Konsumenten schnell zerstören. Gerade in Bayern hat sie Crack vom Markt verdrängt und kommt meist aus Tschechien. Und das macht Crystal zugleich zu einem Grenzproblem. Die bayerischen Politiker sind aufgeschreckt. Innenminister Joachim Herrmann sagte Ende November im Fernsehen:

„Das Thema Crystal hat in Tschechien schon eine jahrzehntelange Tradition. Seit der Grenzöffnung gibt es nun ganz offensichtlich das Bestreben, sich auch zusätzliche Märkte hier in Deutschland zu erschließen. Das geht natürlich ganz einfach von der tschechisch-bayerischen Grenze aus und dringt von dort aus immer weiter nach ganz Bayern.“

Die Konsequenz: Bayerische Polizisten werden nun wieder intensiver so genannte verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen, auch bekannt als Schleierfahndung. Dabei darf die Polizei einfach Menschen anhalten, den Ausweis oder Pass verlangen und beispielsweise nach Drogen oder Waffen durchsuchen. Die Erfindung stammt eben gerade aus dem CSU-Land Bayern und wurde als erstes in Sachsen übernommen – beides also die Länder an der Grenze zu Tschechien. In Deutschland ist sie durchaus umstritten, weil sie zum Teil als verfassungswidrig gilt.

Viele tschechische Bürger haben sich seit 2007 beschwert über die verdachtsunabhängigen Kontrollen auf deutscher Seite. Hunderte Briefe und E-Mails gingen beim Innenministerium in Prag ein. Jetzt also wieder intensivere Kontrollen bei der Drogenfahndung? Jiří Čelikovský von der Abteilung für Schengen-Zusammenarbeit und Grenzschutz im tschechischen Innenministerium beruhigt:

Foto: Jiří Hošek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
„Für tschechische Reisende mag es eine interessante Information sein, dass eher deutsche Bürger kontrolliert werden. Sie sind die Hauptabnehmer der Drogen aus Tschechien. Die Kontrollen sind sehr streng, und ich will glauben, dass sie sich auf Straftäter konzentrieren und nicht jene Reisenden betreffen, die zum Beispiel zu Weihnachtseinkäufen fahren.“

Doch die deutsche Seite macht für das intensive Problem mit Crystal auch die angeblich äußerst liberale tschechische Drogenpolitik verantwortlich. Das sieht beispielsweise der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg durchaus anders, wie er letztens am Rande eines Treffens mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich in der deutschen Botschaft in Prag sagte:

„Ich glaube, es ist in den deutschen Zeitungen – und ich lese ja auch die deutsche Presse - etwas übertrieben, dass man das als Problem aus Tschechien sieht. In Wirklichkeit sind es Gangs, die beiderseits der Grenze gut zusammenarbeiten.“

Deswegen findet Schwarzenberg eine Abkehr von der liberalen Drogenpolitik auch nicht sinnvoll:

„Ich halte es im Prinzip für richtig, dass man bei Haschisch etwas toleranter ist als in Deutschland. Ich kann mich auch noch an die Zeiten in Deutschland erinnern, als es den schönen Spruch gab: ‚Hast du Haschisch in der Tasche, hast du immer was zum Naschen.’ Das gilt heute als verpönt, doch an die Zeiten in meiner Jugend kann ich mich immer noch gut erinnern. Aber wir sind sehr gegen harte Drogen, auch gegen das, was drüben Crystal genannt wird. Denn wir wissen um den ruinösen Gesundheitseffekt.“

Tatsache ist aber, dass außer dem Drogenschmuggel auch die Autodiebstähle in gewissen Teilen des Grenzgebiets wieder zugenommen haben. Jiří Čelikovský vom Innenministerium in Prag möchte das aber im Zusammenhang mit der positiven Gesamttendenz betrachten:

Foto: Europäische Kommission
„Wir haben die Entwicklung der Kriminalität auf beiden Seiten der Grenze vom ersten Augenblick an verfolgt, nachdem die Grenzkontrollen abgeschafft wurden. Als Teilnehmer der damaligen Verhandlungen kann ich bestätigen, dass unmittelbar nach der Grenzöffnung auf beiden Seiten die Kriminalität zurückgegangen ist. Was sich aber nicht kontinuierlich verbessert hat, ist die Drogenproblematik. Sie beeinflusst die Statistiken sehr stark, vor allem weil auf der deutschen Seite der Drogenbesitz immer als Straftatbestand erfasst wird. Auch beim Diebstahl von Fahrzeugen wurde in den vergangenen Monaten in bestimmten Gegenden ein starker Anstieg verzeichnet. Aber insgesamt würde ich behaupten, dass die Zahlen zurückgehen, mit Ausnahme der beiden genannten Straftatbestände, die nach einer gewissen Zeit wieder eine ansteigende Tendenz haben.“

Tschechien fordert von der deutschen Seite aber vor allem eines: dass die Probleme mit der Kriminalität nicht den normalen Reisenden belasten. Jiří Čelikovský ist durchaus bewusst, dass natürlich ein Spannungsverhältnis besteht zwischen dem Ziel der europäischen Integration durch beispielsweise offene Grenzen und dem Sicherheitsbedürfnis jedes EU-Mitgliedsstaates. Deswegen sagt er:

„Wir wollen nicht, dass die Kontrollen ganz verschwinden, sondern dass sie dem Geist der Gesetze entsprechen, die die Souveränität des Staates in Sicherheitsfragen gewährleistet. Hier geht es um eine sehr enge Zusammenarbeit der Polizei und Justiz beider Länder. Die Kontrollen sollten sehr stark auf konkrete mögliche Straftäter ausgerichtet sein, das ist meiner Meinung nach das Interesse unserer beider Staaten. Sie sollten aber nicht die Reisenden erfassen, die die Grenze nur überschreiten, um in den Urlaub oder zur Arbeit zu fahren.“

Die intensivere Zusammenarbeit von Polizei und Justiz aus Tschechien und Deutschland, sie gibt es bereits. Laut dem sächsischen Ministerpräsidenten Tillich haben sich auch schon erste Erfolge eingestellt, beispielsweise bei der Aufklärung von Autodiebstählen:

Stanislaw Tillich und Petr Nečas  (Foto: Archiv des Regierungsamtes der Tschechischen Republik)
„Trotzdem ist das Problem noch nicht gelöst, aber der Weg ist der richtige. Und: Grenzen sind für Kriminelle immer ein Rückzugsgebiet, in dem sie auf die eine oder andere Seite ausweichen und sich dementsprechend der polizeilichen Ermittlung entziehen können. Wenn man aber zusammenarbeitet, wird das für die Kriminellen langsam zu einer Belastung und sie können sich nicht mehr so entfalten. Und deswegen ist das ein Erfolg für uns, aber der Erfolg hat einen Anfang, und er ist noch nicht zu Ende. Das heißt: Wir müssen weitermachen, die Zusammenarbeit muss weiter bestehen bleiben.“

Einen wichtigen Fortschritt in der Zusammenarbeit hat vor allem der so genannte Hofer Dialog vom Februar dieses Jahres gebracht. In der oberfränkischen Stadt trafen sich erstmals die Innenminister aus Tschechien, Deutschland, Bayern und Sachsen. Der tschechische Ressortchef Kubice hatte sich vor allem dafür eingesetzt, dass die verdachtsunabhängigen Kontrollen deutscher Organe für die Bürger seines Landes erträglicher gestaltet werden. Gibt es also Verbesserungen in diesem Bereich?

„Wir spüren, dass es sicher Verbesserungen gegeben hat. Die ersten Wochen und Monate nach der Grenzöffnung standen im Zeichen sehr unangenehmer Kontrollen, die unserer Meinung nach teils gegen die menschliche Würde verstoßen haben. Sie haben sich sehr unterschieden von den Grenzkontrollen, die unsere Bürger aus der Zeit vor dem Schengen-Beitritt kannten. Die Beschwerden, die wir heute erhalten, sprechen nicht davon, dass diese unangenehmen und intensiven Kontrollen weiter so durchgeführt würden. Sie haben nun eine Form, bei der sich die deutschen Organe bemühen, die Menschenwürde zu respektieren“, so Jiří Čelikovský.

Und so glaubt er anlässlich von fünf Jahren tschechischer Schengen-Mitgliedschaft auch an eine positive weitere Entwicklung:

„Die Gespräche zwischen den Ministern, die im Februar dieses Jahres in Hof gestartet wurden, decken alle Probleme ab, die beide Seiten der Grenze belasten. Ich bin optimistisch, dass sich im Ergebnis Reisende, die die Grenze überschreiten, sicher sein können, nicht in Konflikt zu geraten mit sehr unangenehmen Kontrollen und Durchsuchungen, weil geklaute Autoteile in ihren Wagen eingebaut wurden oder sie nicht wissen, welche Gegenstände sie mit sich führen dürfen. Das heißt, dass uns die deutsche Seite alle Informationen übergibt über die häufigsten und schwersten Verstöße und sich unsere Bürger dann auf die Reise entsprechend vorbereiten können.“

Auf der anderen Seite sei aber auch klar: Werden weiter Reisende in Bayern oder Sachsen beim Verstoß gegen deutsche Vorschriften erwischt, dann werden die Kontrollen nicht weniger.