„Die Ausgangsposition ist extrem gut“: Deutschlands neuer Botschafter Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven

Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven (Foto: Gerald Schubert)

Seit diesem Sommer ist Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven neuer deutscher Botschafter in Prag. Sein Amt trat er zu einer Zeit an, die ganz im Zeichen der Erinnerung an den Fall des Eisernen Vorhangs stand: Vor 25 Jahren bahnten sich tausende DDR-Flüchtlinge über die Prager Botschaft der Bundesrepublik einen Weg in die Freiheit, wenige Wochen später fiel die Berliner Mauer, und kurz danach auch das kommunistische Regime in der damaligen Tschechoslowakei. Radio Prag hat mit dem neuen Botschafter über die Vergangenheit gesprochen, über die Gegenwart der deutsch-tschechischen Beziehungen und über seine Zukunftspläne für seine Prager Zeit.

Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven  (Foto: Gerald Schubert)
Herr Botschafter, Sie waren schon hier, als vor einigen Wochen an den 25. Jahrestag der Ausreise der ersten Welle der sogenannten Botschaftsflüchtlinge erinnert wurde. Es war am 30. September 1989, als Hans-Dietrich Genscher auf dem Balkon des Hauses hier stand und verkündet hat, dass diese Ausreise möglich geworden ist. Daran sieht man, dass die Jubiläen in beiden Ländern stark miteinander verbunden sind. Können Sie nach Ihrer kurzen Zeit in Prag schon einschätzen, ob es Unterschiede gibt in der Erinnerungskultur beider Länder, oder ob man Vergleiche ziehen kann, wie beide Länder mit ihren damals gewonnenen Freiheiten 25 Jahre später umgehen?

Die Präsidenten von Deutschland,  Tschechien,  der Slowakei,  Ungarn und Polen haben sich in diesem Herbst mehrmals getroffen  (Foto: ČT24)
„In dieser Zeit damals waren unsere beiden Geschichten ganz besonders eng miteinander verwoben, und das wollen wir hier in Prag auch deutlich machen. Die Präsidenten von Deutschland, Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Polen haben sich ja in diesem Herbst mehrmals getroffen. Dabei ging es immer gerade darum deutlich zu machen, dass die damaligen Bürgerrechtsbewegungen in Mittel- und Osteuropa nicht getrennt voneinander agiert, sondern sich gegenseitig beeinflusst und angesteckt haben, dass diese Funken und Lichter, die damals aufgegangen sind, sehr stark aufeinander eingewirkt haben. Das ist, glaube ich, das Hauptmotto, das wir in dieser Zeit verfolgen. Natürlich haben wir hier als Deutsche Botschaft den 30. September noch einmal ganz besonders gefeiert. Wir waren auch froh, dass Hans-Dietrich noch einmal dazukommen konnte sowie Rudolf Seiters, der damals als Kanzleramtsminister ebenfalls in den Verhandlungen eine wichtige Rolle gespielt hat. Auch der jetzige Außenminister Frank-Walter Steinmeier war hier, und vor allem, was wirklich großartig war, haben 150 der damaligen Flüchtlinge den Weg hierher gefunden. Das war für uns alle eine großartige Gelegenheit, um direkt aus dem Mund dieser Flüchtlinge zu hören, was ihre Eindrücke von damals sind, und wie die Entwicklung danach weitergegangen ist. Ich bin wahrscheinlich noch zu kurz hier, um wirklich fundiert bewerten zu können, wie sich die Erinnerungskulturen unserer beiden Länder unterscheiden. Auf jeden Fall setzen wir uns beide sehr intensiv damit auseinander. Die Parallelen sind jedenfalls sehr stark – für die Tschechoslowakei und für Ostdeutschland war das damals jeweils der Ausgangspunkt für Frieden und Demokratie. Aber das galt auch für Europa – es war ja nicht nur die Wiedervereinigung Deutschlands sondern auch Europas, die damals in Gang gesetzt wurde. Ich denke, wir haben da ein gutes Stück Weg gemeinsam vorangebracht. Im Moment überwiegt in beiden Ländern die ungeheuer positive Bilanz, die man doch ziehen muss. Das ist mir aufgefallen als Fazit in den Veranstaltungen, denen ich bisher beigewohnt habe.“

Theresienstadt  (Foto: Gerald Schubert)
Tschechien und Deutschland sind natürlich auch durch andere Epochen miteinander verwoben. Nächstes Jahr werden wir den 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs begehen. Was ist Ihr Eindruck von der Haltung der Tschechen gegenüber Deutschland heute?

„Ich glaube, dass sich die Haltung der Menschen und der Politik in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark verändert hat. Selbstverständlich ist die Erinnerung an die Naziverbrechen, an die Nazigräuel, an den Zweiten Weltkrieg, an Theresienstadt und die Konzentrationslager lebendig. Das kann auch gar nicht anders sein, und es muss auch so sein. Als Diplomat und als Deutscher in Tschechien darf man das nie vergessen, und es wird auch im Erinnerungsjahr 2015 eine große Rolle spielen. Gleichzeitig gibt es aber schon seit Jahrzehnten sehr viel Versöhnungsarbeit – vonseiten der Politik, der Kirchen und der Zivilgesellschaft. Heute sieht man, wie sehr sich das auszahlt. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Tschechien wohl noch nie so gut waren wie heute. Das wurde mir in fast jedem Antrittsgespräch gesagt, und auch ich bin fest davon überzeugt. Ich glaube, ein wirklicher Durchbruch war die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997. In ihr hat man sich sehr intensiv mit der Vergangenheit, mit beiden Positionen und Befindlichkeiten, auseinandergesetzt, aber auch beschlossen, dass diese Vergangenheit kein Hindernis sein soll, um ein besseres und konstruktiveres Verhältnis zu entwickeln. Das ist jetzt 17 Jahre her. Heute ist das Interesse der tschechischen Regierung an Deutschland – nach allem, was ich in den ersten Monaten hier wahrnehme – ungeheuer groß und positiv.“

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Als Botschafter werden Sie sich in den nächsten Jahren natürlich nicht nur mit der Vergangenheit beschäftigen. Wo sehen Sie die Schwerpunkte für Ihre Arbeit in den nächsten Jahren? Was sind Ihre Pläne?

„In der Tat, meine ersten Monate standen sehr stark im Zeichen der 25-Jahr-Feiern. Zugleich haben wir uns aber auch schon viele Gedanken über die Zukunft gemacht. Ich glaube, die Ausgangsposition ist extrem gut. Die jetzige tschechische Regierung hat ein ganz erhebliches Interesse an Deutschland und auch an Europa. Hier hat es in der tschechischen Politik ja einen Schwenk gegeben. Die tschechische Führung möchte einen Platz in der Mitte Europas, im europäischen Mainstream einnehmen. Dazu gehört ja auch die Absicht, in den Euro zu gehen. Diese Ausgangslage markiert bereits die Eckpunkte einer möglichen Agenda der Zusammenarbeit. Zum einen hat das viel mit Europa zu tun. Wir können in der europäischen Wirtschaftspolitik oder in der Außen- und Sicherheitspolitik jetzt viel enger mit Tschechien zusammenarbeiten. Hier gibt es ja jede Menge große Herausforderungen, genau wie im zwischenstaatlichen Bereich. Das liegt natürlich auch an der direkten Nachbarschaft. Besondres die Bundesländer Bayern und Sachsen sind hier sehr stark engagiert. Ich denke, die wirtschaftliche Zusammenarbeit steht hier ganz oben an, mit Themen wie etwa dem Fachkräftemangel in Tschechien. Aus Sicht der deutschen Wirtschaftsvertreter ist das ein absolutes Schlüsselproblem. Es wäre für sie sehr nützlich, wenn man es durch die Einführung des dualen Ausbildungssystems in Tschechien überwinden könnte. Weiter gibt es Energiethemen oder etwa Verkehrsthemen wie das Schienen- und das Straßennetz. Das sind Dinge, die noch nicht auf dem Standard sind, der der Wirtschaft eine optimale Ausgangsposition bieten würde. Ganz wichtig ist auch jeweils die Förderung der Sprache, aus unserer Sicht der deutschen Sprache hier in Tschechien. Da gibt es die Kampagne Šprechtíme, die bereits von meinen Vorgängern begonnen wurde, und die wir gemeinsam mit der österreichischen Botschaft sowie mit deutschen und österreichischen Partnern durchführen. Und wir wollen natürlich auch, dass in den deutschen Grenzregionen verstärkt Tschechisch gelehrt wird.“

Prag  (Foto: Barbora Kmentová)
Kommen wir abschließend noch zu Ihnen persönlich: Welcher Karriereweg hat Sie nach Prag geführt?

„Karrierewege im Auswärtigen Amt sind immer verschlungen und nie direkt. Mein Weg ist genauso bunt wie der der meisten meiner Kollegen. Es fängt schon mal damit an, dass ich Naturwissenschaftler bin. Es war also kein direkter Weg ins diplomatische Leben. In meiner diplomatischen Laufbahn habe ich dann eine ganze Menge verschiedene Dinge gemacht. Zwei wesentliche Themen waren Russland, wo ich zweimal auf Posten war, und Europa, mit dem ich mich in den letzten neun Jahren sehr stark beschäftigt habe – sowohl mit der europäischen Außenpolitik als auch mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Europa ist also mein Hauptfokus, und insofern lag es jetzt nahe, in ein anderes europäisches Land zu gehen. Da ich Tschechien auch schon ganz gut kannte, habe ich mich sehr dafür interessiert. Zum ersten Mal war ich 1984 hier, und ich bin extrem froh, dass ich das Land auch in einem ganz anderen Zustand, also vor der Wende, gesehen habe. Dadurch kann ich ein bisschen stärker ermessen, welch unglaublicher Wandel sich hier vollzogen hat.“

Was sind – abgesehen vom Beruflichen – Ihre ersten Eindrücke von Prag? Fühlen Sie sich wohl, fühlen Sie sich willkommen?

„Ich fühle mich ausgesprochen willkommen. Selten, oder eigentlich nie, habe ich auf einem neuen Posten so viel Entgegenkommen und Interesse gespürt. Das ist wirklich überwältigend. Prag ist auch eine unfassbar schöne Stadt – neben Venedig für mich die schönste Stadt Europas. Es ist einfach ein Genuss, diese Schönheit und auch die Vergangenheit hier zu spüren und zu erleben. Es gibt auch sehr berührende menschliche Begegnungen. Ich durfte hier einige Menschen kennen lernen, die Theresienstadt und Auschwitz überlebt haben, und konnte mich lange mit ihnen unterhalten. Es ist ein wunderbares Geschenk, solche Begegnungen haben zu dürfen.“