Brüsseler Spitzfindigkeiten: Tschechien erhält bei EU-Gipfel eine Ausnahmeregelung

Alexandr Vondra, Mirek Topolánek und Karel Schwarzenberg (Foto: ČTK)

Nicht nur Irland stand beim EU-Gipfel in Brüssel Ende vergangener Woche unter starker Beobachtung durch die restlichen europäischen Staaten, sondern auch Tschechien. Regierungspolitiker aus Prag und vor allem Staatspräsident Václav Klaus hatten mit negativen Äußerungen erneut den Reform-Vertrag von Lissabon kritisiert, den die Iren vor zehn Tagen abgelehnt haben. Auf dem Brüsseler Gipfel erhielt Tschechien daher eine Sonderbehandlung und einen eigenen Paragrafen in der Schlusserklärung.

Alexandr Vondra,  Mirek Topolánek und Karel Schwarzenberg  (Foto: ČTK)
Der Reformvertrag von Lissabon soll die Europäische Union so modernisieren, dass sie auch mit der steigenden Zahl ihrer Mitglieder funktionsfähig bleibt. Ratifiziert haben den Vertrag bereits 18 Staaten, nur Irland hat ihn abgelehnt – durch das Referendum vor zehn Tagen. Die Frage beim Gipfel in Brüssel lautete: Sollen die restlichen acht Staaten die Ratifizierung des Reformwerks weiter treiben, auch wenn noch keine Lösung für Irland besteht?

25 Staaten haben genau diesem Szenario, die europäische Integration fortzusetzen, zugestimmt – einzige Ausnahme ist Tschechien. Die tschechische Delegation aus Premier Mirek Topolánek, Europa-Minister Alexandr Vondra und Außenminister Karel Schwarzenberg setzte durch, dass der Ratifizierungsprozess in ihrLand erst weitergeführt wird, nachdem das Brünner Verfassungsgericht den Lissabon-Vertrag geprüft hat.

„Wir haben vergangene Woche in Brüssel einen eingeständigen Standpunkt und ein autonomes Vorgehen verteidigt, was ich für entscheidend halte.“

So Alexandr Vondra. Was kommt aber danach? Das fragten Journalisten auch bei der Pressekonferenz der tschechischen Delegation in Brüssel Premier Topolánek. Einer klaren Antwort wich dieser jedoch aus:

„Ich kann nicht abschätzen, ob die Ratifizierung positiv oder negativ ausfallen wird. Das ist auch in keinem anderen Land möglich. Wir sind jetzt erst in der Phase zu entscheiden, wie und wann der Ratifizierungsprozess weitergeführt wird. Ich wage nicht abzuschätzen, wie der Prozess ausgeht. Da wollen Sie etwas von mir, was ich nicht beeinflussen kann“, entgegnete der tschechische Regierungschef den anwesenden Journalisten und ergänzte: „Ich werde aber meine Unterschrift unter dem Vertrag nicht annullieren. Das ist alles, was ich bereit bin, dazu zu sagen.“

Premier Mirek Topolánek mit seinem spanischen Amtskollegen José Luis Rodríguez Zapatero  (Foto: ČTK)
Pro-europäisch orientierte tschechische Politiker halten Mirek Topolánek vor, eher nicht zu wollen als nicht zu können. Die deutlichsten Worte fand verständlicherweise die Opposition. Der Sozialdemokrat Jan Hamáček ist im Abgeordnetenhaus Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses. Am Sonntag merkte er in der wichtigsten Polit-Talkshow des Landes süffisant an:

„Mich hat die Äußerung von Premier Topolánek fasziniert, dass er den Ratifizierungsprozess in der Tschechischen Republik nicht beeinflussen könne. Dabei ist er doch der Vorsitzende der stärksten Partei, die zusammen mit den beiden anderen Regierungsparteien die Mehrheit in beiden Kammern des Parlamentes stellt. Wieso sollte der Vorsitzende der stärksten Partei und der Regierung nicht den Ratifizierungsprozess beeinflussen können?“

Der Partei von Premier Mirek Topolánek, den Bürgerdemokraten, stehen zudem in der Regierung zwei Parteien zur Seite, die eindeutig pro-europäisch ausgerichtet sind. Auf der anderen Seite ist Topolánek selbst ja nicht einmal der größte Europaskeptiker in seiner Partei. Dies bleibt mit Abstand Präsident Václav Klaus, der als Ehrenvorsitzender immer noch großen Einfluss auf die Bürgerdemokraten hat. Klaus hatte nach dem Nein der Iren sogar gefordert, den Lissabon-Vertrag einzustampfen. Die unübersichtliche Situation innerhalb der tschechischen Politszene habe sich auch auf den Auftritt der tschechischen Delegation beim EU-Gipfel in Brüssel übertragen, urteilt der Politologe Jiri Pehe. Ihn hatte ich für Radio Prag um eine Einschätzung der derzeitigen tschechischen EU-Politik gebeten:

„Die Position der Tschechischen Republik ist etwas verwirrend. Die Delegation fuhr nach Brüssel mit der Vorstellung, dass sie das Nein aus Irland zum Lissabon-Vertrag am liebsten dazu nutzt, den Ratifizierungsprozess zu unterbrechen oder sogar komplett zu stoppen. In Brüssel ist Tschechien aber unter starken Druck geraten, wie zu erwarten war. Heraus kam eine eigenartige Sache, die als tschechische Ausnahme bezeichnet wird. Das heißt, der Ratifizierungsprozess hierzulande wird ausgesetzt, bis das Verfassungsgericht entschieden hat. Von dem Verfassungsentscheid wussten aber alle schon vorher, das hätte nicht als besondere tschechische Forderung präsentiert werden müssen. Dasselbe gilt ja auch in Deutschland. Dort wurde der Lissabon-Vertrag vom Bundestag zwar gebilligt, aber es wird sich auch noch das Verfassungsgericht dazu äußern.“

Die gegenwärtige Mitte-Rechts-Regierung betont gerne, dass sie tschechische Interessen vertritt. Das wurde auch erneut nach dem Brüsseler Gipfel von Alexandr Vondra so gesagt. Zudem behaupten die Regierungsvertreter, dass die sozialdemokratischen Vorgänger-Kabinette alles, was aus Brüssel kam, einfach abgenickt hätten. Jiri Pehe hält es für falsch, tschechische und europäische Interessen immer wieder gegeneinander zu stellen:

Foto: Europäische Kommission
„Europäische Interessen sind auch tschechische. Ich glaube, dass ist auch jedem vernünftig denkenden Bürger in der Tschechischen Republik klar. Denn der große Wirtschaftsboom hierzulande ist zu großen Teilen durch unsere Mitgliedschaft in der EU entstanden. Ohne die Mitgliedschaft und die europäischen Standards, die wir übernommen haben, wäre eine ganze Reihe von Investoren, die zum Wirtschaftswachstum beigetragen haben, gar nicht erst hierher gekommen.“

In Brüssel haben sich die 27 europäischen Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt, dass erst beim EU-Gipfel im Oktober begonnen wird, über das weitere Vorgehen nach dem irischen Nein zu beraten. Premier Topolánek und weitere konservative tschechische Politiker haben betont, dass innerhalb der Union die Entscheidung der Iren respektiert werden müsse. Das sei demokratisch. Der Politologe Jiri Pehe hält dem jedoch entgegen:

„Wenn wir in Betracht ziehen, dass die Europäische Union mittlerweile eine halbe Milliarde Bürger umfasst und Irland weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung repräsentiert, dann erscheint mir die Blockade von Seiten der Iren nicht sonderlich demokratisch, und das dürfte auch den meisten anderen Europäern so gehen.“