Bildungspolitik im tschechischen Wahlkampf

Am 14. und 15. Juni, d.h. fast auf den Tag genau in zwei Wochen, wird in Tschechien ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Aus diesem Anlass geht Radio Prag in seinen Schauplatz-Sendungen auf die wichtigsten Themen ein, die entweder in der vergangenen Legislaturperiode oder im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielten. Heute beschäftigen sich Silja Schultheis und Robert Schuster mit der Bildungspolitik.

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Stand unmittelbar nach der politischen Wende des Jahres 1989 vor allem die Umwandlung des gesellschaftlichen sowie des wirtschaftlichen Systems des Landes im Vordergrund, kam damals einem nicht weniger wichtigen und vor allem zukunftsweisenden Bereich eher eine Nebenrolle zu: Die Rede ist von der Bildungspolitik. Lange Zeit war sie für Politiker und Parteien nur dann interessant, wenn es darum ging, Lehrerstreiks wegen niedriger Löhne abzuwenden oder in Vorwahlzeiten. Dann wurde nämlich wieder versucht, mit oft unrealistischen Versprechen über Gehaltserhöhungen die recht große und relativ disziplinierte Schar von Lehrern zur Stimmabgabe für die eine oder andere Partei zu verleiten. Einen wichtigen Stellenwert im politischen Diskurs bekam jedoch die Bildungspolitik erst in den vergangenen vier Jahren, nicht zuletzt auch deshalb, weil endlich die lang ersehnten Konzepte vorgelegt wurden, in welche Richtung sich das Bildungssystem in Tschechien entwickeln soll. Als besonders wichtig wird von Experten in diesem Zusammenhang die Ausarbeitung des s.g. Weißbuchs zur Bildungspolitik gewürdigt.

Was hat sich also in den vergangenen vier Jahren auf dem Feld der Bildungspolitik getan und wie fällt die Bilanz der ersten linken Regierung in Tschechien nach 1989 aus? Das fragte Radio Prag die Redakteurin Radka Kvacková von der Tageszeitung Lidove noviny. Frau Kvacková leitet dort seit vielen Jahren eine der erfolgreichsten tschechischen Zeitungsbeilagen zum Thema Schule und Bildung:

"Was die Bilanz der sozialdemokratischen Regierung im Bereich Bildungspolitik angeht, so muss man sagen, dass da häufig Aussage gegen Aussage steht. Der Minister betont immer wieder, dass er alles Versprochene eingelöst hat, die Opposition behauptet natürlich das genaue Gegenteil. Die Wahrheit ist, dass man der Regierung den Versuch etwas zu ändern, durchaus nicht absprechen kann. Die Zielvorgabe war klar, nämlich, dass in den Bereich Bildung jährlich 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fließen soll - das entspricht etwa dem Niveau innerhalb der OECD-Staaten. Das ist nicht gelungen, obwohl tatsächlich mehr Geld in den Bereich geflossen ist. Heute sind es etwa 4 Prozent, die ins Schulressort gehen. Das ist aber immer noch zu wenig im Verhältnis zum gegenwärtigen Wirtschaftswachstum."

Eine der Schlüsselfragen war dabei stets diejenige nach den Gehältern der Lehrer. Da hat gerade der gegenwärtige Bildungsminister Eduard Zeman, der vor seiner Wahl zum Abgeordneten selber als Lehrer wirkte, vor den letzten Wahlen große Erwartungen geweckt. Konnte er sie erfüllen? Frau Kvacková meint dazu im folgenden:

"Wenn wir das in der Gesamtheit beurteilen sollen, dann müssen wir feststellen, dass die Lehrer heute tatsächlich mehr Geld in der Tasche haben als etwa vor vier Jahren. Gut, in manchen Schulen mussten die Lehrkräfte dafür auch zusätzliche Stunden übernehmen, aber ich denke, dass die Regierung hier sowieso nur ein Zeichen setzen wollte - denn soviel Geld konnte sie ja wiederum nicht aufbringen, um den oft beklagten Abgang vor allem bei den männlichen Lehrern einzudämmen, wenn nicht gar zu stoppen."

Eduard Zeman
Zu den kontroversesten Vorhaben von Eduard Zeman gehörten zweifelsohne die Vorhaben die s.g. mehrjährigen Gymnasien aufzulösen und eine einheitliche Abiturprüfung einzuführen, um vergleichbare Ergebnisse über das Niveau der Mittelschüler zu bekommen. Bei beiden dieser Vorhaben scheiterte Zeman nicht nur am starken Widerstand der Opposition, denn da das sozialdemokratische Kabinett in den vergangenen vier Jahren den Charakter einer Minderheitsregierung hatte, konnte sie bei diesen Fragen nicht auf die Unterstützung eines Koalitionspartners hoffen. Widerstand gegen diese Pläne kam auch von zahlreichen Elternvereinigungen. Frau Kvacková gibt im Gespräch mit Radio Prag zu, dass der Vorstoß Zemans, die mehrjährigen Gymnasien aufzulösen, schon etwas in sich hatte. Sie verweist darauf, dass tatsächlich viele Experten davor warnen, Kinder schon früh - etwa wie jetzt im Alter von 11 Jahren - in mehr - oder etwas weniger begabte einzuteilen, denn das könnte Folgen auf die Psyche der Kinder haben. Frau Kvacková glaubt aber nicht, dass es je eine Regierung in Zukunft noch wagen würde, das jetzige System der mehrjährigen Gymnasien zu ändern.

Ein wichtiger Einschnitt war in den vergangenen vier Jahren für das Schulwesen zweifelsohne die große Verwaltungsreform, welche die ausschließliche Verantwortung für das Grund- und Mittelschulwesen an die neu geschaffenen 14 Regionen überführte. Gerade in diesem Zusammenhang hat das starke Engagement der Regierung im Grundschulen- und Gymnasialbereich vor allem an den Hochschulen für Unmut gesorgt. Die Rektoren forderten von Minister Zeman, er soll sich nach diesem Kompetenzverlust vermehrt um die Belange der Universitäten kümmern. Auch unter den Studenten rumorte es und im Herbst vergangenen Jahres kam es an den tschechischen Hochschulen zu vereinzelten Streikaktionen. Ist also der Vorwurf berechtigt, dass der Minister ausschließlich die Grund- und Mittelschulen gefördert hat, fragten wir Radka Kvacková von Lidove noviny:

"Na, da bin ich nicht ganz so sicher. Es ist in der Tat so, dass in letzter Zeit - und das gilt auch für die Vorgänger des jetzigen Ministers, man viel in den Mittelschulbereich investiert hat. In einer gewissen Weise bekommen auch die Hochschulen mehr Geld, aber selbst das hat bisher nicht geholfen, dass die Quote unter die jetzigen 50 Prozent sinkt., d.h. dass nur jeder zweite Bewerber auch tatsächlich einen Studienplatz bekommt. Heute bewerben sich jedes Jahr etwa 100 000 Personen um ein Studium, Tendenz steigend. Ich denke, dass es sogar außerhalb des Machbaren liegt, diese steigende Nachfrage zu befriedigen. Positiv ist aber, dass die staatlichen Universitäten heute nicht die einzige Institution sind, an der ein Hochschulabschluss erreicht werden kann. Mittlerweile gibt es in Tschechien etwa zwanzig private Hochschulen."

Zu den Hauptkritikern der Bildungspolitik der jetzigen Regierung gehören Politiker der beiden liberalen Parlamentsparteien - der Demokratischen Bürgerpartei und der Freiheitsunion. Deren Vertreter hatten jedoch in der Vergangenheit bereits Verantwortung für das Bildungsressort. Ist es also gerade vor diesem Hintergrund nicht eher so, dass die Lösungsansätze dieser Politiker und ihrer Parteien eigentlich recht ähnlich sein müssten? Frau Kvacková meint dazu im folgenden:

"Es ist ja immer so, dass jede Partei, die heute in Opposition ist, sich anders verhält, wenn sie morgen an die Macht kommt. Den einzigen großen Streitpunkt in der Schulpolitik zwischen links und rechts, wenn sie so wollen, sehe ich in der Frage der Einführung von Studiengebühren.. Schon die früheren Mitte-Rechts-Regierungen hatten mehrfach die Einführung von Studiengebühren gefordert, aber sie sind damit nie durchgekommen. Es ist also äußerst fraglich, ob diese Parteien für den Fall einer Regierungsübernahme mit ihrem Vorhaben nun erfolgreicher sein würden. Auch ausländische Beispiele zeigen ja, dass sich das nicht so einfach durchsetzen lässt."

Das Stichwort Studiengebühren ist bereits gefallen. Erstmals wurde die Öffentlichkeit mit diesem Vorstoß etwa vor sechs Jahren konfrontiert. Damals hatte die rechtsliberale demokratische Bürgerpartei das Schulressort inne und es ist interessant zu verfolgen, wie stark sich seither die öffentliche Wahrnehmung dieses Vorschlags änderte. Hielt man noch zu Beginn der Debatten die Idee als für das tschechische Hochschulsystem völlig ungeeignet und die Gegner von Studiengebühren sprachen von einem Rückschritt in die Zwischenkriegszeit oder gar von einer "unsozialen Maßnahme", bekam das Schulgeld an Universitäten dank einiger Rektoren prominente Unterstützung und Fürsprecher. Seit etwa einem Jahr ist die Forderung nach Einführung von Studiengebühren sogar offizielle Forderung der tschechischen Rektorenkonferenz. Können also Studiengebühren wirklich als eine Art Allheilmittel zur Beseitigung der finanziellen Nöte von Tschechiens Universitäten gesehen werden? Frau Kvacková meint dazu abschließend:

"Auf einer Seite ja, auf der andern aber nicht. Es ist ja wirklich so, dass Studiengebühren vor allem die weniger wohlhabenden Studienbewerber treffen würde. Natürlich würden dann die Schulen mehr Geld bekommen, aber diese müssten dann effizienter eingesetzt werden. Ich meine, dass es am besten wäre, wenn aus den gesamten Steuereinnahmen gar nichts in den Bereich Bildung fließen würde und Bildung ein ähnliches Gut sein würde, wie z.B Äpfel. Wenn nämlich Steuereinnahmen umverteilt werden, ist es immer schlecht - weil dann immer jemand zu kurz kommt und weil auch weit aus mehr Freiräume für uneffizientes Wirtschaften entstehen. Ich tipp, dass sich mit der Zeit Studiengebühren auf indirektem Weg - durch die Hintertür quasi - durchsetzen wird - etwa in Form einer erhöhten Immatrikulationsgebühr und der gleiche."