Grünen-Vorsitzender Liška: „Wir brauchen einen tschechischen Weg zur Energiewende“

Ondřej Liška

Der Jahrestag des Reaktorunglücks von Fukushima ist gerade erst vorüber. In Tschechien gab es kaum Gedenkveranstaltungen, und die Regierung in Prag treibt den Ausbau der Kernenergie weiter voran. Geplant sind zwei neue Meiler im südböhmischen Atomkraftwerk Temelín. Der Atomkurs stößt in Tschechien auf einen breiten Konsens – sowohl unter Politikern unterschiedlicher Couleur, als auch in der Gesellschaft. Die Grünen sind die einzige politische Partei, die den Kurs kritisiert. Allerdings geschieht dies mittlerweile außerparlamentarisch, denn im Juni 2010 wurden sie aus dem Abgeordnetenhaus gewählt. Ondřej Liška ist der Vorsitzende der Grünen. Till Janzer sprach mit dem 34-jährigen Politiker am Rande einer Podiumsdiskussion im Goethe-Institut in Prag.

Ondřej Liška
Herr Liška, Deutschland hat den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Gehe ich richtig in der Annahme, dass auch die tschechischen Grünen diese Entscheidung unterstützen?

„Natürlich machen wir das, das ist auf lange Sicht auch unser Ziel. Doch sowohl die Auseinandersetzung mit den technischen Vorraussetzungen, als auch die politische Debatte ist hier noch nicht so weit wie in Deutschland. In Deutschland war der Atomausstieg die Konsequenz jahrzehntelanger Debatten, quer durch die Gesellschaft. In Tschechien wird auch 22 Jahre nach dem Ende des Kommunismus die Nuklearenergie als Symbol der Staatssouveränität und Macht betrachtet. Die Aussagen vieler Politiker, besonders der jetzigen Regierung, zeugen eher von einem quasi-religiösen Glauben, als einer pragmatischen, technischen und verantwortungsvollen Antwort auf die aktuellen Energie-Fragen. Ich glaube, dass noch viel Arbeit vor uns liegt. Doch unter dem Eindruck von Fukushima wurde auch in Tschechien im vergangenen Jahr eine neue Atomdebatte ausgelöst. Kernenergie verliert langsam an Rückhalt. Allerdings zeigen die Umfrage-Werte, dass es in den nächsten Jahren noch zu keinem Wandel kommen wird. Aber durch den deutschen Atomausstieg werden die Diplomatie und die Politik hierzulande auf jeden Fall unter Druck gesetzt. Sie müssen anfangen, nach grenzüberschreitenden technischen Lösungen zu suchen und nachhaltigere Antworten auf die Fragen finden zu. Ich bin da optimistisch.“

Foto: Europäische Kommission
Nun wird der deutsche Atomausstieg von der tschechischen Regierung, besonders von Premier Nečas an der Spitze, grundsätzlich abgelehnt. Es wird befürchtet, dass die Energiepreise dadurch auch in Tschechien steigen werden. Haben Sie Verständnis für eine solche Argumentation? Befürchten Sie Ähnliches?

„Ich bin mit dieser Aussage von Herrn Nečas gar nicht einverstanden. Er und die Regierung haben längst bewiesen, dass sie als Sprachrohr des Energiekonzerns ČEZ agieren. Im Grunde ist es das Management von ČEZ, das über Energiefragen entscheidet, nicht die Regierung. Premier Nečas hat die Öffentlichkeit schon mehrfach gewarnt, dass die Energiepreise wegen des Atomausstiegs in Deutschland um 20 bis 30 Prozent steigen würden. Das ist jedoch falsch und wir haben gleich darauf reagiert. Es war reine Panikmache, die den Energiekonzernen zugute kam. Ich hoffe, dass die neue Generation tschechischer Studenten und Wissenschaftler solche Aussagen kritischer prüfen wird. Wenn wir weiter den Pro-Atom-Kurs verfolgen, dann wird Tschechien ein energetisches Freilichtmuseum mitten in Europa.“

Kohleförderung
Gibt es denn bereits Szenarien für einen Atomausstieg in Tschechien, ohne den Kohleverbrauch übermäßig zu steigern oder sich in eine Abhängigkeit, sagen wir von russischem Gas zu begeben?

„Es gibt sehr gut kalkulierte Szenarien, die zeigen, dass ein Atomausstieg in Tschechien in den nächsten 25 bis 30 Jahren gut machbar ist. Es gibt eine sehr interessante Studie, die von einer Vereinigung aus Bürgerinitiativen zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Wuppertal-Institut herausgegeben wurde. Sie heißt ´Smart Energy´, also ´kluge Energie´. Darin werden drei Szenarien für die Zukunft entwickelt: einmal mit Kernkraft und Kohle, einmal nur mit Kohle und zuletzt nur mit erneuerbaren Energien. Meiner Meinung nach verdient diese Untersuchung sehr viel Aufmerksamkeit, ich hoffe, sie wird noch von vielen Menschen gelesen. Sie beweist mit harten Zahlen, dass ein Atomausstieg nicht nur möglich ist, sondern auch ökonomisch sinnvoller ist als der jetzige Kurs. Wenn sich die nächste Generation tschechischer Politiker dazu entschließen sollte einen nachhaltigeren Weg zu gehen, dann kann sie auf diese Studie aufbauen.“

Die Grünen in Tschechien sind inzwischen nicht mehr im Parlament und auch nicht mehr in der Regierung vertreten. Glauben Sie, sie können mit Themen wie Atomausstieg und ökologischer Umgestaltung der Wirtschaft genügend Leute ansprechen, oder müssen Sie zusätzlich andere Themen anbieten, die die Menschen überzeugen?

Foto: Europäische Kommission
„Seitdem die Grünen nicht mehr im Parlament vertreten sind, sind wir in den Medien viel weniger präsent. Aber das ist nicht unbedingt ein Nachteil, hierdurch können wir anders arbeiten. Auf diese Weise wird die Politik nicht nur über die Medien gemacht Wir sind gezwungen - und das ist eigentlich auch gut – direkt mit den Leuten zu sprechen, Seminare zu organisieren, Studien zu verbreiten und einfach einen Dialog mit der Gesellschaft zu führen. Genau wie in Deutschland vor 30 Jahren fängt auch in Tschechien jetzt eine neue Ära an. Von unten, von der Basis kommen neue Leute mit neuen Ideen, die die Hegemonie der Energiemonopole und die darin verwickelte Politik angreifen. Wir haben genug Geduld und genug Ausdauer das durchzuführen, ich bin da ganz zuversichtlich. Die jetzige Regierung zeigt tagtäglich, dass sie nicht genug über die Nachhaltigkeit ihrer Politik nachdenkt. Man muss viel bewusster und viel intelligenter über die Zukunft Tschechiens nachdenken. Deutschland als Vorbild ist für uns, die tschechischen Grünen, natürlich eine große Hilfe. Trotzdem muss man beachten, dass man nicht einfach ein Rezept aus einem fremden Land kopieren und bei sich durchsetzen kann. Wir müssen mit der Politik unseren eigenen tschechischen Weg mit zu einer Energiewende finden.“


Dieser Beitrag wurde am 31. Oktober 2011 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.