Von Provinz zum Prestigefestival - Erfolg eines Musicals

Tesinske niebo oder Cieszynskie nebe (Foto: CTK)

Am 15. Mai 2004 fand die Weltpremiere statt - in einem kleinen Theater einer kleinen Stadt an der tschechisch-polnischen Grenze. Es folgten weitere Aufführungen vor ausverkauftem Haus, darunter auch Gastspiele in anderen Städten Tschechiens einschließlich Prag, wo das Publikum mit Standing Ovations reagierte. Die Rede ist vom hierzulande extrem erfolgreichen Musical "Tesinske niebo" oder "Cieszynskie nebe", das ursprünglich vor allem für die Einheimischen, also für die Bewohner des mährisch-schlesischen Cesky Tesin, geschrieben wurde. Zwei Jahre nach seiner Uraufführung wurde die Aufführung diese Woche aber sogar auf das Programm der traditionsreichen Musikfestspiele in Litomysl gesetzt, die den Namen des Klassikers der tschechischen Musik, Bedrich Smetana, tragen. Jitka Mladkova unterhielt sich in Cesky Tesin mit der Koautorin des Musicals, Renata Putzlacher. Sie hören eine neue Folge unserer Sendereihe Panorama CZ:

Foto: CTK
"Tesinske niebo" oder "Cieszynskie nebe" - zwei Titel, jeweils aus einem tschechischen und einem polnischen Wort zusammengesetzt, die eines und dasselbe besagen: Himmel über Tesin, Himmel über Cieszyn. Auf Deutsch Himmel über Teschen. Gemeint ist also der ungeteilte Himmel über zwei Städten, die direkt an der tschechisch-polnischen Grenze liegen und einst, vor ihrer Teilung 1920, Jahrhunderte lang als eine einzige schlesische Stadt der österreichisch-ungarischen Monarchie existierten. Auf der tschechischen Seite leben in Cesky Tesin und Umgebung viele Vertreter der polnischen Minderheit. Seit 60 Jahren gibt es hier auch ein Theaterhaus mit zwei Ensembles - einem tschechischen und einem polnischen - in dem jährlich über 300 Vorstellungen für insgesamt etwa 150.000 Zuschauer gegeben werden.

"Wir sind in der Tat eine Weltrarität", sagt wörtlich Theaterintendant Pavel Suszka stolz. Ihm zufolge findet das Teschener Theater, wo unter einem Dach zwei anderssprachige Ensembles unter einer gemeinsamen Leitung koexistieren und vom Staat finanziert werden, weltweit kaum seinesgleichen.

Renata Putzlacher, der früheren Dramaturgin des Teschener Theaters, kam die Aufgabe zu, die Lieder ins Polnische zu übertragen. Wie kam es dazu?

"Es ist sehr lange her, seit ich begann, Jareks Songs ins Polnische zu übersetzen. Es war im Jahr 1992. Damals hat sich das Polnische Fernsehen mit dem Anliegen an uns gewandt, einen Film über Nohavica zu drehen. Zu dem Zeitpunkt war er in Polen noch nicht bekannt. Die Polen haben ihn höchstwahrscheinlich bei irgendeinem Musikfestival hierzulande entdeckt. Es folgte der Auftrag, Nohavicas Liedertexte ins Polnische zu übertragen. Erst danach habe ich Jarek persönlich kennen gelernt. Das Kuriose daran war, dass wir beide schon jahrelang in ein und derselben Stadt lebten, nur durch ein paar Straßen voneinander getrennt."

Renata Putzlacher glaubt, dass dieses Treffen für sie beinahe eine schicksalhafte Dimension hatte. Einer Tatsache, die ihrer Meinung nach maßgeblich zur Entstehung des berühmten Musicals beigetragen hat, misst sie besondere Bedeutung bei: Sie und Jarek Nohavica sind unter demselben Tierkreiszeichen geboren worden, nämlich als Zwillinge. Genau wie der Regisseur Radovan Lipus, der die Musicalvorstellung im Teschener Theater einstudiert hat. Ein Zufall, meint sie, sei das nicht:

"Es ist nicht gerade mein Hobby, unentwegt Horoskope in irgendwelchen Boulevardzeitungen zu lesen. Doch dieselbe Sternenkonstellation bei unserer Geburt spielte ganz bestimmt eine Rolle. Daher war auch der Titel 'Teschener Himmel' kein Zufall. Wir drei sind einander sehr ähnlich in unserer Denkart, sei es in Bezug auf unsere Stadt, unsere Region, aber auch bei der Suche danach, woher wir kommen und wo wir auf unserem Lebensweg hingehen. Diese wichtigen Fragen haben wir uns auch in Tesinske niebo gestellt."

Jarek Nohavica bewunderte damals das Theaterlied-Festival, das jedes Jahr in der polnischen Stadt Wroclav / Breslau stattfand. Von dort holte er sich die Inspiration und kam mit der Idee, seine tschechisch gesungenen Lieder nun auch auf Polnisch von polnischsprachigen Schauspielern des Teschener Theaterhauses singen zu lassen. Also von keinen Profisängern. Von dieser Idee war es nur noch ein Schritt zum Konzept einer zweisprachigen Vorstellung. Bis zu ihrer Premiere aber mussten noch etliche Jahre vergehen:

Das entstehende Musical hätte, so sagt Renata Putzlacher, den Charakter einer Groteske oder einer Tragikomödie haben und Teschen, wie sie in einem Presseartikel gelesen habe, als tschechisches Chicago vorstellen können. Dabei denkt sie vor allem an die 90er Jahre:

"Eine seltsame Stadt, mit unzähligen Marktplätzen, grenzüberschreitenden Alkoholgeschäften, eine seltsame Grenzstadt mit all den negativen Erscheinungen wie zwielichtigen Lokalen, zwielichtigen Weibern usw. Dann aber fiel uns ein, verschiedene Gestalten aus der Geschichte oder aus unserem Leben sozusagen auf den Plan kommen und ihre persönlichen Erlebnisse erzählen zu lassen - samt verschiedenen Redewendungen und Anspielungen, die man eigentlich nur in dieser Gegend gut verstehen kann. Kurz gesagt, wir wollten ein Bild der Stadt präsentieren, das weder schwarz noch weiß ist, weil es viele Facetten hat. Eine Art Mosaik."

Entstanden ist eine Vorstellung, in der alle Beteiligten mit Nostalgie und zugleich mit Humor einen Rückblick auf eine mehr oder weniger entfernte Vergangenheit präsentieren und sowohl an reale als auch an mythische Gestalten aus der Geschichte der Region des so genannten Teschener Schlesiens erinnern. Dies mit dem Ziel, den Zeitgenossen näher zu bringen, dass hier einst Menschen ohne Grenze unter einem Himmel lebten. Auch nach dem EU-Betritt beider Länder wirkt sich die mitten durch die historische Stadt laufende Grenze immer noch als Trennlinie aus.

Foto: CTK
"Die Grenzen sind immer noch in den Köpfen der Menschen präsent", sagt Renata Putlacher. Für viele sei es immer noch zu weit nach Polen bzw. nach Tschechien. Beim Einkaufen nicht so sehr, doch wenn es um den Besuch einer Theatervorstellung jenseits der Grenze geht, so sieht es mit der Bereitwilligkeit nicht so rosig aus. Putzlacher zufolge haben viele Polen erst vor kurzem das polnische Theater auf der tschechischen Seite für sich entdeckt. Dabei existiere es schon seit 60 Jahren. Die Liedermacherin hat aber auch viel Verständnis für ihre Mitbürger:

"Die Geschichte hat diese Stadt mehr oder weniger niedergewalzt, Politiker haben sie geteilt, jeder ging seinen eigenen Zielen nach. Die Menschen mussten aber mit- und nebeneinander leben, wie zum Beispiel in der Zeit der Habsburger Monarchie, aus der wir uns viele Inspirationen geholt haben. Die Stadt war multinational. Noch vor Beginn des 19. Jahrhunderts mit all den Erscheinungen des Nationalismus war diese Region einfach Schlesien, und ihre Bewohner grenzten sich noch nicht so voneinander ab, wie es später der Fall war. Vor allem in der Zeit des so genannten proletarischen Internationalismus, als alle offiziell Brüder waren und es in Wirklichkeit recht weit zueinander hatten."

Das Autorentrio sowie die mitwirkenden Schauspieler wollten, wie Putzlacher sagt, eine Botschaft vermitteln: Wenn es negative Entwicklungen gebe wie z. B. Kriege, Epidemien oder Hungersnöte, dann ist es im Alltagsleben auf einmal nicht mehr wichtig, wer man ist, oder zu welcher Religion man sich bekennt. Wir alle sind dann vor allem Menschen, die einander helfen müssen.

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