Das wilde Herz Europas: Streit um Böhmerwald hört nicht auf

Böhmerwald

Es gibt vier Nationalparks in der Tschechischen Republik: im Erzgebirge, in der Böhmisch-sächsischen Schweiz, im Thayatal und im Böhmerwald. Der größte, meist besuchte und auch meist diskutierte ist der letzte in dieser Reihe. Die Streitigkeiten betreffen den Umgang mit dem Borkenkäfer, die Besuchsordnung, die Kompetenzen von Gemeinden und zudem die Bauvorhaben. Die Streitigkeiten bestehen schon seit vielen Jahren und ein Ende scheint nicht in Sicht.

Böhmerwald
Nachdem Sturmtief Kyrill im Januar vergangenen Jahres auch über Tschechien hinweg zog, blieben im Böhmerwald rund 800.000 Kubikmeter zerstörter Wald zurück. Es folgten heftige Diskussionen darüber, was mit dem so genannten Sturmholz geschehen solle. Umweltminister Martin Bursík von den Grünen beschloss letztlich, dass ungefähr ein Achtel davon nicht verarbeitet werden soll. Dies betrifft das am höchsten gelegene und am strengsten geschützte Gebiet des Böhmerwaldes, das urwaldartig ist und seiner natürlichen Entwicklung überlassen sein soll.

Bursíks Entscheidung knüpft an das an, was im Nationalpark Bayerischer Wald praktiziert wird. Auf deutscher Seite wird schon seit vielen Jahren in den Kerngebieten auch nach Naturkatastrophen nicht mehr eingegriffen. Im Böhmerwald sind hingegen die Anlieger erbost. 13 Gemeinden aus dem Gebiet des Nationalparks haben eine Klage gegen den Umweltminister eingereicht. Bursíks Entscheidung halten sie für rechtswidrig und schädlich. František Nykles ist der Vorsitzende des Gemeindenbundes:

Borkenkäfer  (Foto: Rafal Konieczny,  Creative Commons 3.0)
„Es gibt schon lange Anordnungen, wie man bei Schäden am Wald vorgehen soll. Ihnen zufolge müssen durch Sturm oder einen Holzschädling beschädigte Bäume beseitigt werden. Der Umweltminister hat diese Grundsätze willkürlich und planlos geändert. Unserer Meinung nach sollte dazu ein langfristiges Konzept existieren, das sich nicht nach dem jeweiligen Inhaber des Ministerpostens richtet. Zum anderem bedroht die Entscheidung, die umgestürzten Bäume liegen zu lassen, den Besucherverkehr."

Wie und wann die Justiz in Prag über die Klage entscheidet, das ist bisher nicht bekannt. Wie man mit den Folgen von Naturkatastrophen im Böhmerwald umgehen soll, darüber streiten sich nicht nur Politiker, sondern auch Fachleute. Schon in den 90er Jahren hatten Wissenschaftler in einer Erklärung gegen das unangepasste Fällen von Bäumen im Nationalpark Böhmerwald protestiert. Doch die Wälder in dem südböhmischen Mittelgebirge werden sich so oder so wandeln – und das nicht nur wegen des drohenden Borkenkäferbefalls, sondern auch wegen des Klimawandels. Laut einer Studie des Nationalparks Bayerischer Wald ist die Untergrenze des Fichtenwaldes in den letzten 20 Jahren um etwa 50 bis 70 Meter gestiegen. Unterhalb der Meereshöhe von 1000 Meter leiden die Fichten zunehmend an Hitze und Wassermangel.

Umweltminister Martin Bursík
Aber zurück zum Streit zwischen dem Tourismus und dem Umweltschutz. Die neue Besucherordnung des Nationalparks Böhmerwald wird Wassersportler wahrscheinlich die längste Zeit des Jahres aufs Trockene setzen. In allen anderen tschechischen Nationalparks ist das Befahren von Flüssen grundsätzlich verboten, nur im Böhmerwald gab es bisher eine Ausnahme und die Besucher haben sich daran natürlich gewöhnt. Warum es nun strenger zugehen soll, dazu der Direktor des Nationalparks, František Krátký.

„Als 1992 der Nationalpark gegründet wurde, gab es keine Bootsvermietung an der Moldau. Die Wassersportler der Gegend fuhren bei einem Mindestwasserstand von 50 Zentimetern, was für die Natur keine Bedrohung darstellt. Die Zahl der Touristen begann dann aber immer weiter zu steigen und die Befahrung der Moldau wurde geradezu zu einem Industriezweig. Mehr als 10.000 Boote fahren seitdem jedes Jahr durch das Naturschutzgebiet, was nicht ohne Folgen bleiben kann. Zahlreiche in Europa bedrohte Tier- und Pflanzenarten haben ihre Heimat in dieser Gegend und sie leiden stark unter dem großen Trubel. Das haben mehrere Fachstudien belegt.“

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In diesem Fall stellen sich die Gemeindevertreter nicht prinzipiell gegen eine Regulierung. Sie monieren aber, dass die Nationalparkverwaltung früher hätte eingreifen sollen. Wenn Einschränkungen bereits früher schrittweise eingeführt worden wären, wäre vielleicht die letzte Umweltstudie nicht so kritisch ausgefallen und man wäre nun nicht zu einer radikalen Lösung gezwungen, meint der Vorsitzende des Gemeindenbundes, František Nykles:

„Es gab mehrere Empfehlungen in den früheren Umweltstudien: unter anderem eine Gebührenpflicht für die Befahrung, die Festlegung eines Mindestwasserstandes für den Wassersport oder ein Verbot der problematischsten Wasserfahrzeuge. Die Nationalparkverwaltung hat dies aber nicht beachtet. Erst dieses Jahr, nachdem der neue Leiter des Nationalparks seine Arbeit aufnahm, hat sie bemerkt, dass die Wassersportler Probleme machen. Laut dem Entwurf der Besuchordnung hätte die obere Moldau während der Sommersaison nur an drei bis vier Tagen im Monat befahren werden können. Das ist gänzlich unvorstellbar für uns. Man muss doch bedächtig vorgehen und die Regelungen erst nach und nach verschärfen.“

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Die letzte Version der Besucherordnung verbietet die Befahrung der Moldau nur auf dem am strengsten geschützten Abschnitt mit einer Länge von 17 Kilometern. Den Wassersportlern, die ober- und unterhalb dieses Abschnitts die Moldau befahren, steht ein kostenloser Bustransfer zur Verfügung. Über diesen Vorschlag wird jedoch noch verhandelt werden.

Eine weitere Regelung, über welche sich die Anliegergemeinden beklagen, sind die zahlreichen Zutrittsverbote in geschützte Gebiete. An mehreren Orten kann man von der bayerischen Seite bis zur Staatsgrenze gehen, das angrenzende tschechische Gebiet ist jedoch für Besucher gesperrt. Es handelt sich zum Beispiel um den Wanderweg zwischen Modrava / Mader und dem Berg Lusen. Dort soll der Auerhahn-Bestand geschützt werden. Aufgrund der Proteste hat die tschechische Nationalparkverwaltung mittlerweile zugestanden, dass die strengen Schutzbestimmungen gelockert werden können. Der Leiter des Nationalparks, František Krátký:

Bach Modrava  (Foto: Dingoa,  Creative Commons 3.0)
„Nach dem EU-Beitritt im Jahr 2004 haben wir an einer Stelle im Böhmerwald ein Vogelschutzgebiet ausgewiesen und der Auerhahn gehört zu den sehr streng geschützten Vögeln in Europa. Viele Fachstudien bestätigen sein Vorkommen in der betroffenen Gegend. Der Auerhahn reagiert in einem bestimmten Zeitraum im Jahr ausgesprochen empfindlich auf jegliche menschliche Störung. In diesem Zeitraum hat sich selbstverständlich nichts geändert. Neu sind jedoch zwei Sachen: Zum einen hat sich das Gebiet, in dem sich der Auerhahn aufhält, in den letzten Jahren ein bisschen verschoben und zum anderen arbeiten wir in diesem Bereich endlich mit der bayerischen Seite zusammen. Das Gebiet des Auerhahns wird mittlerweile grenzübergreifend festgelegt. Uns ermöglicht dies, die Bedingungen für den Besucherverkehr zu koordinieren und auch gemeinsam einen Wanderweg über die Staatsgrenze zu planen.“ Ende der Kulisse

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Der Wanderweg Modrava - Lusen sowie weitere neue grenzüberschreitende Wanderwege sollen noch im Laufe dieser Tourismus-Saison geöffnet werden, so Krátký. Das kommt sicher nicht nur den Wanderern, sondern auch den Anliegergemeinden entgegen. Für die Leitung des Nationalparks Böhmerwald, die erst ein Jahr im Amt ist, steht die Zusammenarbeit mit dem Nationalpark Bayerischer Wald im Vordergrund. Zum Ziel wurde erklärt, den Naturschutz in den Kerngebieten beider Nationalparks gemeinsam und unabhängig von den Grenzen zu vollziehen. Das zuständige Projekt heißt „Das wilde Herz Europas“ und ist von beiden Nationalparks bereits öffentlich vorgestellt worden. Allerdings müssen beide Seiten es noch offiziell unterzeichnen. Widerstand gegen das Vorhaben lässt sich vor allem von den tschechischen Anliegergemeinden erwarten. Die Streitigkeiten um den Böhmerwald werden also sicher noch ein paar Jahre dauern.

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Autor: Jakub Šiška
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