Wie einer aus der Schweiz nach Tschechien zog ...

Dieser Tage haben wir Sie in unserem Programm über die so genannte Woche der Auslandstschechen informiert, zu der sich bereits zum 4. Mal seit 1998 Teilnehmer aus aller Herren Länder in Prag eingefunden haben. Die Tschechen also, die in den zurückliegenden Jahrzehnten ihre Ex-Heimat in mehreren Wellen verlassen haben, sei es wegen Unzufriedenheit mit den herrschenden politischen Verhältnissen oder aber mit der persönlichen wirtschaftlichen Situation. Wir wollen Ihnen jetzt jemanden vorstellen, der kein Tscheche ist, und doch Tschechien zu seiner Wahlheimat gemacht hat. Einfach so, freiwillig. Etwa nach dem Motto, Von einem der auszog, in diesem Fall nach Tschechien, um das Glück zu suchen. Im letzten Sommer hat er in Tschechien ein Buch herausgegeben: Mehr in der neuen Folge der Sendereihe "Heute am Mikrophon" mit Jitka Mladkova und ihrem Gast.

Unser Gast im Studio ist diesmal Alexander Schneller, ehemaliger freier Mitarbeiter von Radio Prag. Vor einigen Jahren hat er gemeinsam mit seiner Ehefrau die Entscheidung getroffen, aus der Schweiz nach Tschechien überzusiedeln. Herr Schneller, wann genau war das und was hat Sie dazu bewogen?

"Jetzt im September sind es gerade acht Jahre her, seitdem wir aus der Schweiz übergesiedelt sind. Bis dahin haben wir in Olten gelebt. Das ist eine Kleinstadt zwischen Basel und Zürich. Dort war ich rund 30 Jahre lang Gymnasiallehrer."

Sie sind zusammen mit Ihrer Frau hierhin gekommen, die eine Tschechin ist.

"Meine Frau betont immer, dass sie Tschechoslowakin ist, und zwar aus Kladno. Später hat sie in Prag studiert. Im Sommer 1968 war sie im Urlaub bei Bekannten in der Schweiz. Dann kam aber der 21. August und sie ist nicht mehr in die Tschechoslowakei zurückgekehrt. Wir beide haben uns an der Universität kennen gelernt. Und warum sind wir nach so vielen Jahren nach Tschechien gekommen? Prag hat mich schon immer fasziniert! Ich war zum ersten Mal in Prag mit einer Abiturreise. Mich hat schon immer die Prager Literatur interessiert, noch bevor ich die Stadt zum ersten Mal gesehen habe, in erster Linie natürlich Franz Kafka.

Als ich dann zum ersten Mal mit meiner Frau nach der Wende nach Prag kam - das war zu Weihnachten 1990 - war für mich klar: Diese Stadt möchte ich gerne besser kennen lernen! Von einer Übersiedlung war aber noch nicht die Rede. Dieser Gedanke hat sich im Laufe der Jahre erst entwickelt. Wir wollten noch mal etwas Neues beginnen. Ich war damals 52 Jahre alt und irgendwann muss man sich sagen: entweder jetzt oder nie."

Soviel ich weiß, sind ihre Kinder in der Schweiz geblieben. Ist es Ihnen nicht schwer gefallen, ohne die Kinder zu kommen?

"Das ist sicher schon ein Punkt, über den man nachdenkt. Es waren aber keine kleinen Kinder mehr. Beide waren schon erwachsen, meine Tochter war schon verheiratet. Wir sehen uns allerdings jedes Jahr zwei- bis dreimal."

Wenn Sie jetzt auf die Zeit zurückschauen, die Sie hier verbracht haben. Wie waren diese acht Jahre?

"Sehr abwechslungsreich und auch sehr interessant. Wenn man in ein neues Land kommt, muss man sich ja auch etwas Neues aufbauen. Einen Freundeskreis, einen Bekanntenkreis. Natürlich hatte hier meine Frau viele Verwandte, die wir besuchen konnten, aber es war doch auch interessant, neue Leute kennen zu lernen. Selbstverständlich war nicht alles wunderbar."

War es vielleicht für Sie persönlich etwas schwerer als für Ihre Frau, als gebürtige Tschechin?

"Das ist vielleicht lustig, aber die treibende Kraft für die Übersiedlung war ich. Meiner Frau ist es ganz und gar nicht leicht gefallen. Vielleicht weil sie doch etwas weniger als ich alles durch die rosa Brille betrachtet hat und gelegentlich auf Dinge gestoßen ist, die sie auch an frühere unangenehme Zustände erinnert haben. Andererseits muss man aber sagen, dass sich mittlerweile doch manches geändert hat."

Gab es vielleicht Momente, in denen Sie die Entscheidung überzusiedeln bereut haben?

"Nein, bisher nicht."

Sie haben früher als freier Mitarbeiter von Radio Prag verschiedene Beiträge verfasst. Ein Großteil galt dem tschechischen Jazz. Ich weiß inzwischen, dass Sie ein Jazzfan sind. Wo liegen die Wurzeln Ihrer Vorliebe für die Jazzmusik?

"Die liegen schon weit zurück. Ich bin in einer relativ unmusikalischen Familie aufgewachsen. Die Musik stand bei uns nicht oft auf der Tagesordnung, und wenn, dann war es klassische Musik, die ich übrigens auch sehr mag. Mit fünfzehn Jahren bin ich irgendwann mal in einen Plattenladen gekommen und habe in den Regalen gesucht, auch in einem mit Jazzmusik. Ich habe dann eine Platte rausgezogen und angehört. Das war Charlie Parker und Bebop. Beim Zuhören hat es bei mir plötzlich "Zack" gemacht - ein Funke! Ich weiß das heute noch genau, und ich weiß auch, wie es damals in dem Geschäft gerochen hat. Das war meine erste Jazzplatte, die bis heute einen Ehrenplatz bei mir zu Hause hat. Dann ist es losgegangen. Ich fing an, mich intensiv für diese Musik zu interessieren. Natürlich waren es in erster Linie amerikanische Jazzmusiker, die ich hörte, und auch Radiosendungen über Jazz, zum Beispiel bei Voice of Amerika."

Als Sie nach Tschechien gekommen sind, war da die hiesige Jazzszene für Sie eine Terra incognita oder haben Sie sich schon vorher in der Schweiz für den tschechischen Jazz interessiert, so dass Sie sich in der Jazzlandschaft direkt gut orientieren konnten?

"Ich habe natürlich zuallererst den Multiinstrumentalisten Jiri Stivin gehört, und zwar durch einen Bekannten, der uns vor ca. 30 Jahren eine Schallplatte mitgebracht hat. Ich habe aber auch andere Namen gekannt und ihre Musik gehört. Terra incognita war es insofern, dass natürlich auch hierzulande eine ganz neue Jazzszene entstanden ist. Es gibt nicht nur das Reduta in Prag. Es gibt fünf bis sechs Jazzklubs, die täglich Live-Konzerte bieten. So etwas gibt es praktisch nirgendwo anders.

Ich möchte aber noch etwas hinzufügen: Schon in der Schweiz war ich Jahre lang im Jazzbereich als Veranstalter aktiv. Zur eigenen Musikproduktion hat es bei mir leider nicht gereicht, aber ich habe in Olten zum Beispiel einen Jazzklub gegründet. Dort haben wir Jazztage organisiert. Im Jahr 2000 sind auch Tschechen gekommen - Milan Svoboda mit seinem Orchester "Kontraband", Jiri Stivin, Emil Viklicky und andere. Das ist etwas, was ich öfter machen möchte, und zwar tschechische Gruppen nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz bringen. Aber auch umgekehrt. Das haben wir hier auch schon mal gemacht, dass Schweizer Gruppen nach Prag kamen."

Wie ging es dann weiter, nachdem Sie in Tschechien bereits Wurzeln geschlagen hatten? Haben Sie Streifzüge durch die Jazzklubs unternommen, um weitere Kontakte zu knüpfen?

"Genau. Es war so, wie es immer in dieser Beziehung läuft. Wir sind in viele Konzerte gegangen, haben viele Musiker kennen gelernt und Austausche organisiert, so dass wir eigentlich mit vielen Jazzmusikern immer mehr in ein kollegiales bzw. freundschaftliches Verhältnis gekommen sind."

Wie ist also der tschechische Jazz, wenn ich die Frage so simpel stellen darf?

"Der tschechische Jazz ist hervorragend. Ich spreche jetzt vom modernen, also zeitgenössischen Jazz. Nicht etwa vom traditionellen Dixieland oder New Orleans-Jazz, der hier in einem Klub von guten Bands gespielt wird. Im Prinzip gilt, dass tschechische Musiker alle hervorragend ausgebildet sind und auch gute Ideen haben. Bei manchen der Musiker hört man das slawische Element durch. Das kommt von der Volksmusik, von Gutenachtliedern und ähnlichen Volksmelodien, die von einigen verwendet werden, um daraus eine schöne spannende interessante Musik zu machen. Es gibt aber auch andere, die sagen: Ich bin kein Kind vom Land, ich bin ein "Plattenbaukind", in der Großstadt aufgewachsen. In den Großstädten gibt es natürlich auch viele Anregungen, die aber wiederum anders sind."

Man kann sagen, Sie haben sich buchstäblich dem tschechischen Jazz verschrieben. Im diesjährigen Sommer ist ein repräsentatives Buch über den tschechischen Jazz erschienen, das aus Ihrer Feder stammt. Ich möchte Sie jetzt bitten, das Buch ein bisschen vorzustellen.

"Durch die Bekanntschaft mit den Musikern und auch dadurch, dass einige meiner Freunde hier begeistert in Jazzkonzerte gegangen sind, haben wir uns einmal gesagt: Diese Prager Jazzszene ist so toll, aber wer kennt sie?! Unsere Idee war also, ein paar von den bekannten Jazzmusikerinnen und Musikern in einem Buch vorzustellen. Es sollten einerseits Gespräche mit den Musikern sein, und andererseits Fotoportraits. Und so ist auch das Buch mit dem Titel "That Jazz of Praha" entstanden, verlegt im Prager Vitalis Verlag. Der Untertitel ist "Vierzehn Jazzportraits in Wort und Bild". Wir hätten natürlich auch ein Buch mit fünfzig Portraits machen können!"

Ja, doch wer die Wahl hat, hat die Qual! Nach welchen Kriterien haben Sie die vierzehn MusikerInnen ausgewählt?

"Wir haben es uns insofern einfach gemacht, indem wir eine rein subjektive Auswahl getroffen haben. Das umfasst Portraits von vierzehn Musikern und Musikerinnen, die wir - ich und auch der Fotograf, Herr Christian Gerber - sehr gut kennen, die wir mögen und lieben. Es tut uns selbstverständlich leid, dass diese und jene nicht hinzugekommen sind, aber es war leider nicht anders möglich."