Vom Unternehmer zum Priester: Tomas van Zavrel im Gespräch

Tomas van Zavrel (Foto: Martina Schneibergová)

Geboren ist er in Prag, doch als er ein Jahr alt war, emigrierten seine Eltern mit ihm in die Niederlande. Dort wuchs Tomas van Zavrel auf, studierte Jura und wurde zum erfolgreichen Unternehmer. Doch das ist nicht das Ende seiner Geschichte. Tomas van Zavrel nahm ein Theologiestudium auf und wurde mit 44 Jahren zum katholischen Priester geweiht. Seit drei Jahren ist er Pfarrvikar in Sušice / Schüttenhofen und liest zudem Messen in den Böhmerwaldorten Kašperské Hory / Bergreichenstein, Hartmanice, Srní / Rehberg, Prášily / Stubenbach oder Mouřenec / St. Maurenzen.

Tomas van Zavrel  (Foto: Martina Schneibergová)
Pater van Zavrel, Sie sind in der Tschechoslowakei geboren, aber als Sie noch ganz klein waren, sind ihre Eltern mit Ihnen in die Niederlande emigriert. Wie war die Situation für Ihre Eltern im Jahr 1968?

„Ja, das war 1968, also in der zweiten Welle der Emigration. Innerhalb der ersten Welle von 1948 haben es meine Eltern nicht geschafft, denn da waren sie noch ganz jung. Meine Eltern wollten nicht in der Diktatur leben. 1968 haben sie die Koffer gepackt und sind mit mir nach Holland geflüchtet. Sie haben die Einladung von Niederländern angenommen, die von Anfang an gesagt haben: ´Kommt, wenn ihr flüchten möchtet, ihr seid bei uns willkommen, wir werden Sozialwohnungen und Arbeit für euch suchen, ihr könnt hier in Freiheit weiter leben.´“

Niederlande  (Quelle: Alphathon,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Sie sind in den Niederlanden aufgewachsen, haben dort Jura studiert. Warum hat es Sie später doch wieder nach Böhmen gezogen?

„Mit patriotischen Gefühlen bin ich nicht aufgewachsen. Wir sind nie zurückgefahren, denn meine Eltern waren für Ihre Flucht und ihre Aktivitäten in der ehemaligen Tschechoslowakei zu einem beziehungsweise zwei Jahren Haft verurteilt worden. Meine Großeltern durften einmal im Jahr zu uns kommen, an ihnen hatte der Staat kein Interesse mehr. Die anderen Verwandten haben wir fast nicht gesehen. Meine Eltern haben mir Tschechisch beigebracht – alltägliches Tschechisch, das man zu Hause spricht, sie wollten mein Holländisch nicht beeinflussen. Ich bin dort aufgewachsen ohne das Gefühl, dass meine Heimat an einem anderen Ort ist. Meine Eltern sind geflüchtet und haben sich gesagt: ´Das ist unsere neue Heimat´. Sie lieben Holland noch immer und leben nach wie vor dort. Sie kommen gerne nach Tschechien, aber in Holland ist ihr wirkliches Zuhause, das sie sich aufgebaut haben. Das ist auch logisch, weil sie dort schon fast 47 Jahre lang leben. Dort ist der Felsen, auf dem sie ihr Haus gebaut haben. Als ich mit dem Jura-Studium fertig war, hatte ich mehrere Angebote. Ich konnte als Trainee bei großen holländischen Firmen anfangen oder mit einer kleineren Beratungsfirma nach Tschechien gehen, um dort zusammen mit zwei tschechischen Partnern ein Büro aufzubauen. Das war für mich, der ich damals sehr karriereorientiert war, viel interessanter als in Holland Trainee zu werden.“

Foto: notoryczna,  Free Images
Diese Karriere haben Sie aber dann nach etwa zehn Jahren aufgegeben. Was spielte dabei die wichtigste Rolle?

„Ich stamme aus einer katholischen Familie. Das heißt nicht, dass meine Eltern über meine Entscheidung sehr erfreut gewesen wären. Denn sie hatten nur ein Kind, haben viele Opfer gebracht und es war nicht ihr Traum, ihren Sohn Priester werden zu lassen. Das war schon früher schon Mal ein Thema, als ich 16 oder 17 war und ins Gymnasium ging, da wollte ich auch Priester werden. Aber meine Eltern haben mir gesagt, dass ich zuerst studieren soll und dann würde ich sehen. Ich studierte also Jura und fing an zu arbeiten. Ich war etwa 30 Jahre, als ich eine Änderung fühlte. Meinen 30. Geburtstag habe ich groß gefeiert, und in den folgenden fünf Jahren stellte ich mir immer wieder die Frage, ob es der Sinn des Lebens ist, Geld zu verdienen, Karriere zu machen und das Leben zu feiern. Da habe ich nach einem Weg suchen müssen, und das hat viele Jahre gedauert.“

Servitenkloster Nové Hrady  (Foto: Karelj,  Wikimedia Public Domain)
Haben Sie sich zwischen einem Ordensleben und einer Seelsorgearbeit entscheiden müssen?

„Der erste Schritt ist, dass man alles, was man aufgebaut hat, verlassen muss. In den letzten zehn Jahren habe ich gemacht, was mir interessant schien. Es ging nicht darum, sehr viel Geld zu verdienen oder sehr karrieregerichtet zu sein. Ich machte Sachen, die mir gefielen, mit Leuten, mit denen die Zusammenarbeit gut war. Ein wichtiger Moment war mein Aufenthalt im Kloster Nové Hrady. Ich ging dorthin zu Exerzitien, obwohl ich nicht wusste, was es eigentlich bedeutet. Knapp eine Woche war ich dort. Als ich die Entscheidung getroffen habe, alle Brücken niederzubrennen und ein neues Leben anzufangen, sagte ich Pater Bonfilius Wagner im Servitenkloster Nové Hrady, dass ich ins Kloster eintreten werde. Er hat bestimmt mehrere solche Leute wie mich kennengelernt. Meine Eltern sowie meine Freunde konnten es jedoch nicht begreifen. Für sie war es eine spektakuläre Entscheidung. Ich habe mich dann entschlossen, nicht ins Kloster zu gehen. Denn in der Zwischenzeit hatte ich mit mehreren Menschen gesprochen, die mir sagten, das Kloster sei nicht wie eine neue Familie, wo alles fein ist und man nur Freunde hat. Dort ist man 24 Stunden lang zusammen. Und ich war mein ganzes Leben lang alleine – als Kind und später auch. Darum war für mich eine solche Entscheidung plötzlich sehr fragwürdig. Ich ging dann nach Holland, weil ich ein Buch über die Kommunität Arche gelesen hatte. Das ist eine ökumenische Gemeinschaft, in der Menschen mit Behinderung zusammen mit ihren Assistenten in einem Haus leben. Drei Jahre lang habe ich dort gelebt, dann bin ich wieder nach Tschechien gegangen. Im Wallfahrtsort Lomec arbeitete ich einige Monate lang als Freiwilliger. Dort habe ich endlich akzeptiert, dass mich Gott als Priester berufen hat. Für mich war es schwierig. Denn ich hatte ein sehr wildes Leben. Dass Gott an einer solchen Person interessiert sein könnte, dass da etwas Gutes herauskommen könnte, dass konnte ich mir nicht so gut vorstellen. Deshalb hat es auch so lange gedauert, bis ich das akzeptiert habe. Und dann bin ich Priester geworden.“

Kirche Sankt Maurenzen im Böhmerwald  (Foto: Viktor Fiala,  Wikimedia CC BY 3.0)
Seit mehr als drei Jahren sind Sie in Sušice als Pfarrvikar tätig. Wie war das für Sie, sich nach all diesen Schritten im Böhmerwald niederzulassen? Wie wurden Sie aufgenommen?

„Die Leute sind hier sehr nett und freundlich. Die Gastfreundschaft ist hier sehr groß. Für mich ist es so: Ich bin froh, dass ich hier bin, aber wenn man mich woandershin schickt, was auch einmal passieren wird, dann rechne ich damit und bin bereit zu gehen, wo ich hingehen soll. Solange ich hier bin, liebe ich den Böhmerwald und versuche hier möglichst viel zu machen. Aktiv war ich ja immer. Manchmal vergleichen mich die Leute mit anderen Priestern, und das ist nicht schön, denn jeder ist anders. Wenn alle so wären wie ich, dann würden die Leute verrückt werden. Jeder hat seine Rolle. Für mich ist es wichtig, dass Laien die Freiheit bekommen, um sich in der Kirche zu engagieren, sogar Leute, die vielleicht nicht praktizierende Gläubige sind, die aber im Böhmerwald ganz viel bewirken. Damit meine ich zum Beispiel diejenigen, die Kapellen oder Kreuze wieder herrichten, wie etwa in Prášily oder Mouřenec. Es gibt so viele Menschen, die sich engagieren. Die Kirche ist nicht nur eine geistliche Institution, die die Kultur mitgeformt hat. Sie ist ein wichtiges Mittel, um die Menschen anzusprechen: durch Musik, das gesprochene Wort und auch durch die Liturgie. Da es so viele Menschen gibt, die das Mysterium – das nicht Fassbare – wegen dem Materialismus so schlecht fassen können, sind andere Mittel wichtig, um sie anzusprechen.“

Foto: Kristýna Maková
Kann man sagen, dass Sie im Böhmerwald vielen so zu sagen suchenden Menschen begegnen?

„Ich denke, jeder sucht Gott auf die eine oder andere Weise. Manchmal fragt man mich, ob die Leute dem Glauben treu bleiben. Das ist nicht die Frage, die ich mir stelle. Denn es gibt nicht Tausende oder Hunderte von Bekehrungen. Und wenn jemand sich bekehrt, heißt es nicht, dass er gleich praktizierender Christ wird und sich engagiert und weiter in die Kirche geht. Ich habe auch lange verarbeiten müssen, dass manche sagen: ´Der ist so populär, der zieht die Leute an. ´ Das ist nicht mein Ziel. Ich bin nur ein Mittel, bin derjenige, der den Menschen den Weg beleuchtet. Ich bin nur wie der Sämann aus dem Gleichnis in der Bibel, der auch dort sät, wo es keinen Sinn hat und sich nicht dafür interessiert, wo er sät. Hauptsache, er tut es, denn das ist seine Rolle. Das andere ist Gottes Sache. Wo man sät, wird man nie ernten und wo man erntet, hat man nicht gesät. So sehe ich das. Das gibt mir Kraft. Ich tue meine Arbeit, ich bin nur ein Diener.“