Sondersendung zum 17. November - Gespräch mit Josef Skrabek

Josef Skrabek

Der 17. November gilt in Tschechien als Tag des Kampfes für Freiheit und Demokratie. Vor genau 17 Jahren gingen in Prag Tausende von tschechischen Studenten auf die Straße, um ihrer Unzufriedenheit mit dem sozialistischen Regime Ausdruck zu verleihen und lösten so die "Samtene Revolution" in Tschechien aus. Der Ursprung des Staatsfeiertages geht aber viel weiter zurück. 50 Jahre vor dem Fall des eisernen Vorhangs, also am 17. November 1939, hatten die Nazis aufgrund von Studentenprotesten gegen die deutsche Besatzung die Schließung der tschechischen Hochschulen eingeleitet und über 1000 Studenten in ein Prager Gefängnis und anschließend in das KZ Sachsenhausen verschleppt. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 17. November haben wir ein Gespräch mit Josef Skrabek vorbereitet. Der 1928 geborene Autor war selbst ein Opfer des kommunistischen Regimes in Tschechien. Wegen Mitgliedschaft in einer christlichdemokratischen Partei wurde er 1958 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er 18 Monate absitzen musste. In seinem vor kurzem auf deutsch erschienenen Buch "Vcerejsi Strach - Die gestrige Angst" untersucht Skrabek die deutsch-tschechischen Beziehungen vor allem während der Jahre 1938-1946.

Josef Skrabek
Herr Skrabek, ihr Buch "Die gestrige Angst" ist auf Tschechisch bereits in der dritten Auflage erschienen, seit kurzem ist es auch auf Deutsch erhältlich. Es geht darin um die tschechisch-deutschen Beziehungen während des Zweiten Weltkriegs, aber auch in der Zeit davor und danach. Kann man zu diesem Thema eigentlich noch etwas Neues sagen?

"Es handelt sich nicht unbedingt um etwas Neues. Aber es geht um die Zusammenhänge. Außerdem fehlen auf beiden Seiten gewisse Informationen. Jede Seite weiß etwas vom Standpunkt der anderen, aber man sollte die andere Seite auch genauer kennenlernen."

Was ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Erkenntnis des Buches?

"Am wichtigsten war für die tschechischen Leser, dass sie vom "deutschen Sozialismus" erfahren haben. Hitler war kein Faschist, sondern ein Sozialist. Ich lehne den Begriff "Deutscher Faschismus" grundsätzlich ab. Er wurde von den Marxisten mit der Absicht geprägt, den Begriff des Sozialismus von dem was Hitler getan hat, abzutrennen. Aber Hitler war auch ein Sozialist und er hat meiner Ansicht nach einen Großteil der Wähler vor 1933 mit sozialistischen Argumenten gewonnen. Es ist eine Ironie oder ein Paradoxon der Geschichte, dass Hitler seinen Nationalismus durch Sozialismus durchgesetzt hat und auf der tschechischen Seite haben die Kommunisten nach 1945 durch sozialistische und panslawistische Agitation viele Wählerstimmen bekommen, die Ihnen die Machtübernahme ermöglichten und damit die Durchsetzung ihrer Prinzipien des Marxismus und des Klassenkampfes. Die Ähnlichkeit zwischen dem "braunen" und dem "roten" Sozialismus ist in vielen Dingen sehr groß."

Sie haben in Ihrem Buch die so genannte Kollektivschuld in Frage gestellt. Können Sie Ihren Standpunkt noch einmal kurz erläutern?

"Ich bin der Überzeugung, dass die Leute nicht kollektiv schuldig oder verantwortlich sind. Allerdings leiden die Menschen, sehr oft ohne eigenes Verschulden durch kollektive Folgen. Ich verwende immer folgendes Beispiel, um meinen Standpunkt zu erklären: Wenn ein wahnsinniger Fahrer sich hinter das Steuer eines Busses setzt und einen Unfall verursacht, dann sind die Leute betroffen, die mitfahren. Aber nicht nur diese, auch ganz unbeteiligte und unschuldige Menschen, die zufällig auf dem Gehsteig sind, können ums Leben kommen. Auf der tschechischen Seite sagt man: Wir haben diesem wahnsinnigen Führer keinen Führerschein ausgestellt. Wir haben natürlich andere Fehler gemacht, das kann man nicht verschweigen."

Ihr Buch trägt den Untertitel: "Ein autobiographischer Essay". Inwiefern spielen persönliche Erinnerungen eine Rolle?

"Persönliche Erinnerungen sollen nur als Illustration dienen. Es ist nicht so wichtig, was ich persönlich erlebt habe. Ich habe mich nicht so sehr auf meine eigenen Erfahrungen gestützt, sondern es sind beispielsweise auch Erlebnisse von Sudetendeutschen, die im Buch präsentiert werden. Die Tschechischen Leser sind sehr gut informiert über alles Schlechte, was die Deutschen gemacht haben. Deshalb habe ich bewusst Erinnerungen von drei Deutschen eingebaut, die nach dem Krieg sehr gelitten haben."

Wie waren die Reaktionen der tschechischen Leser auf ihre Darstellung?

"Mich hat besonders überrascht, dass die meisten Reaktionen von Seiten der tschechischen Leser sehr positiv waren. Natürlich gab es auch kritische Stimmen, die meinten, ich hätte das Buch zu sehr im Sinne der Sudetendeutschen geschrieben. Ich teile diese Meinung nicht. Ich habe versucht, die Fehler, die Hoffnungen und die Illusionen beider Seiten festzuhalten. Dadurch, dass ich es aber nicht kontrovers formuliert habe, haben mir viele tschechische Leser mitgeteilt, dass sie bestimmte Dinge jetzt erst richtig verstehen können. Das bedeutet nicht, dass sie deshalb meine Meinung oder die Meinungen Anderer einfach so hinnehmen, aber sie haben zumindest Verständnis dafür, das andere Leute andere Meinungen vertreten."

Sie haben ja am 28. September ihr Buch, das an diesem Tag in deutscher Sprache erschienen ist, auch zum ersten Mal im Goethe-Institut Dresden vor einer deutschsprachigen Hörerschaft präsentiert. Wie waren die Reaktionen?

"Die Leute, die sich aktiv an der Diskussion beteiligt haben, haben sich sehr positiv geäußert. Ich weiß nicht, ob vielleicht jemand dabei war, der negative Gefühle hatte, aber einfach nicht darüber sprechen wollte. Eines gefällt mir nicht: Manche Leute schweigen, wenn sie mit etwas unzufrieden sind. Andere wiederum äußern sich sehr agressiv und reden alles schlecht, auch wenn sie nur an einer Kleinigkeit Anstoß finden. Die Welt ist eben wie sie ist, manches ist gut, manches ist schlecht und Nachbarbeziehungen können nie ganz ideal sein."

Glauben Sie, dass Ihr Buch auch für Leute interessant sein kann, die nicht so sehr mit den tschechisch-deutschen Beziehungen vertraut sind?

"Ich denke schon, denn es handelt sich ja auch um menschliche Beziehungen. Außerdem schreibe ich auch über die Unterschiede bei der Versöhnung zwischen Deutschen und Slowaken, Ungarn, Rumänen und anderen. Ich erwähne ebenso das deutsch-französische Beispiel, das sich nicht so einfach wiederholen kann, obwohl es auf unserer Seite wichtiger wäre, als auf der deutsch-französischen Seite. Es handelt sich um ganz allgemeine Angelegenheiten, die für jeden interessant sein können."

Lassen Sie uns kurz über die derzeitigen deutsch-tschechischen Beziehungen sprechen. Wie schätzen Sie diese ein?

"An den aktuellen deutsch-tschechischen Beziehungen sind einige Sachen interessant. Am Besten sind die Beziehungen zwischen den Bürgermeistern der kleineren Orte auf beiden Seiten beispielsweise Furth im Wald und Taus (Domazlice) oder am Grenzgebiet im Erzgebirge. Das ist ein Beweis, dass die Beziehungen gut sind. Die Leute an der Grenze haben keine Angst voreinander. Es sind oft bestimmte Medien oder gewisse politische Kreise, die eine negative Stimmung schüren und schlecht über das urteilen, was auf der jeweils anderen Seite passiert. In Wirklichkeit sind die Beziehungen ziemlich gut. Selbst Politiker in der höchsten Etage behaupten, dass die Beziehungen gut sind. Aber wichtig ist vor allem, dass die Grenzbewohner gut miteinander umgehen und keine Angst voreinander haben."

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Wie steht es heutzutage allgemein um das Interesse an den deutsch-tschechischen Beziehungen? Glauben Sie, dass es überhaupt noch einen Bedarf an Informationen über die Thematik gibt?

"Es sollte Bedarf geben, aber die Menschen fühlen ihn nicht mehr so sehr. Dass auf beiden Seiten das Interesse an den deutsch-tschechischen Beziehungen zurückgeht, ist für mich als Autor zwar eine traurige Sache, aber als Mensch bin ich froh, denn das bedeutet, dass sich diese Beziehungen schon normalisiert haben und das Normale interessiert niemanden besonders. Im Jahre 1938 gab es ein großes beidseitiges "Interesse" an den deutsch-tschechischen Beziehungen, aber natürlich im schlechtesten Sinne, denn wir standen kurz vor dem Ausbruch des Krieges. Seien wir also froh, dass das gegenseitige "Interesse" heutzutage nicht mehr besonders groß ist."

Abschließend noch eine letzte Frage: Was erhoffen Sie sich von ihrem Buch?

"Was ich mir von meinem Buch verspreche? Die Leute sollen mehr voneinander erfahren und durch ihr Wissen zu mehr Toleranz und Verständnis kommen oder sich mit der Vergangenheit versöhnen. Sie sollen endlich keine Angst mehr voreinander haben oder irgendwelche schlechten Gefühle, wenn sie die andere Sprache hören. Ich denke, wir stehen in Zukunft leider vor ganzen anderen Problemen und die Unterschiede zwischen Tschechen und Deutschen sind sehr gering im Vergleich mit der anderen Welt, die uns bedroht."