Schriftsteller Stefan Beuse: Diese Frage beantworte ich nicht mal meiner eigenen Frau

Stefan Beuse

Am Montag hat Radio Prag bereits ein kurzes Gespräch mit dem Romanautor, Journalisten und Fotografen Stefan Beuse gesendet. Der 1967 in Münster geborene und in Hamburg lebende Schriftsteller ist im Monat Oktober der Stipendiat des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren. Christian Rühmkorf sprach mit Stefan Beuse über seine Literatur und die Stadt Prag.

Stefan Beuse  (Foto: Diana Fabbricatore,  www.stefanbeuse.de)
Stefan Beuse, Sie sind der neue Stipendiat des Prager Literaturhauses. Einen Oktober lang haben Sie mehr oder weniger Zeit in Prag einzutauchen, Prag zu erleben. Am Montagabend haben Sie sich mit einer Lesung unter anderem aus ihrem neuesten Roman „Alles was Du siehst“ dem Prager Publikum vorgestellt. Eine Geschichte über das Wesen der Identität und die geheimnisvollen Kräfte, die Menschen zueinander finden lassen. Für viele Kritiker ein Roman, der sich dem Leser nicht unbedingt leicht erschließt. Eine große Inszenierung rund um das Thema Identität. Was macht den Roman lesenswert?

„Wie all meine Romane ist auch ´Alles was du siehst´ fast wie eine Zwiebel angelegt. Also es gibt eine sehr benutzerfreundliche Oberfläche, eine erste Ebene, auf der ich vor allem unterhalten und eine spannende Geschichte erzählen will. Das ist immer meine oberste Pflicht und fast ein Zwang, den ich habe. Und ich möchte denjenigen, der Rezeptoren dafür hat, so tief eintauchen lassen, wie es ihm selbst entspricht. Ich habe, glaube ich, viele Tiefenschichten angelegt, in die die Leute eintauchen können.“

Stefan Beuse: „Alles was Du siehst“
Es sind drei Geschichten, die zunächst einmal gar nichts miteinander zu tun haben. Werden die nachher zusammengeführt oder bleibt es dabei, dass nur eine angenommene „spukhafte Fernwirkung“ – wie Einstein das einmal formuliert hat – zum Tragen kommt?

„Unter spukhafter Fernwirkung verstand Einstein die Tatsache, dass Zwillingsteile, die mal eng miteinander verbunden waren – egal wie weit in Raum und Zeit sie voneinander entfernt sind – immer noch aufeinander reagieren. Bis vor kurzem konnte sich das niemand erklären. Und ich glaube, das ist auch das Konstruktionsprinzip – wenn man das so nennen darf – wie dieser Roman funktioniert. Also diese scheinbar voneinander getrennten Geschichten sind im Grunde natürlich eine Geschichte, es ist im Grunde eine Identität, um die es geht und zwar auf verschiedenen Raum und Zeitebenen. Es ist ziemlich gewagt vom Konstrukt her, und es verlangt einiges vom Leser. Aber es geht mir im Grunde auch immer um Erschütterung der normalen Wahrnehmung beziehungsweise dessen, was wir für real halten. Also ich erwarte nicht, dass das jemand richtig versteht, so wie ich es gemeint habe, das würde ich selbst wahrscheinlich auch nicht tun.“

Stefan Beuse mit seinem Roman „Alles was Du siehst“  (Foto: www.flickr.com)
Sie haben selber auch mal gesagt, dass Sie sich selbst in diesem Dschungel von Identität verloren haben – in Ihrem eigenen Buch.

„Hab´ ich das gesagt?“

Ja.

„Hm. Was stimmt ist, dass der Roman mir bei jedem neuen Lesen neu sagt, was ich eigentlich damit geschaffen oder gewollt habe. Und das ist für mich sogar das Merkmal von gelungener Literatur, dass sie weit über das hinaus deutet, was ein einzelner Autor in seinem kleinen Kopf haben kann.“

Stefan Beuse  (Foto: www.flickr.com)
Da passt vielleicht das Stichwort Ewigkeit. Sie haben mal gesagt: Ziel des Schreibens sei, ein Stück Ewigkeit im Augenblick festzuhalten. Spätestens seit Faust und Gretchen ist das ein Menschheitstraum. Gibt es da heutzutage noch genug Themen für einen jungen Schriftsteller, der Sie ja sind?

„Gemessen an der Tatsache, dass jeder, der unter 65 ist, noch als Jungschriftsteller gilt, bin ich sicherlich ein junger Schriftsteller. Aber, was das Zitat angeht: Da weiß ich noch ganz genau, wann ich das gesagt habe, und zwar weil die Konstruktion meiner Romane oft verglichen wird mit filmischen Schnitten. Und ich war mal Fotograf, ich habe eigentlich Fotograf gelernt. Da sage ich immer gern, dass es beim Fotografieren wie beim Schreiben darauf ankommt, den Moment und das Bild zu erwischen, das über den Moment hinausdeutet und ein Stück Ewigkeit im Augenblick einfängt.“

Stefan Beuse  (Foto: www.stefanbeuse.de)
Welche Augenblicke haben für Sie literarisches Ewigkeitspotenzial?

„Das sind die Augenblicke, die man eben nicht festnageln kann auf einen Aphorismus, eine Sentenz oder einen Satz, sondern die Augenblicke, die etwas haben, was ich selbst nicht begreife. Das ist so eine Art Grundmotor für mein Schreiben. Ich kann nur über Dinge schreiben, die ich selbst noch nicht vollständig begriffen oder mir selbst noch nicht erschlossen habe.“

Was sich Ihnen auch noch nicht ganz erschlossen hat, ist wahrscheinlich Prag. Prag ist eine Stadt, in die Sie zweimal schon unbedingt eintauchen wollten und die Sie zweimal sofort wieder ausgespuckt hat. Das haben Sie in Ihrem Literaturblog geschrieben. Wann war das und wieso hat Prag Sie nicht in sich aufnehmen wollen?

„Einmal wollte ich mit einer damaligen Freundin hier zwei, drei Tage verbringen. Ich kam in die Stadt und fühlte mich, als ob ich gegen so eine Betonwand laufe, und musste sofort wieder weg. Und das zweite Mal war eine ähnliche Situation - ich weiß nicht genau warum. Mir kam es alles komischerweise zu schnell und zu aggressiv vor. Ich hatte wirklich diesen unerklärlichen Impuls: Ich muss sofort wieder weg. Obwohl gleichzeitig die Faszination und die Anziehungskraft immer blieb.“

Schwejk
Prag trägt mindestens zwei dicke Literatur-Stempel - Kafka und Schwejk. An jeder Ecke, in jedem Restaurant tauchen diese Konterfeis auf. Kann das noch inspirieren?

„Ich habe das Glück, dass Kafka immer mein Lieblingsschriftsteller war, und ich habe bis jetzt noch nie etwas gelesen, das darüber hinausgeht, weil er auch vom Prinzip her genau das macht, was ich auch versuche zu tun. Und insofern ist es natürlich immer eine große Inspiration.“

Sie haben neben Ihren Romanen das Buch „Gebrauchsanweisung für Hamburg“ geschrieben, eine Reihe aus dem Piper-Verlag. Das Buch ist kein Reiseführer, sondern eine Reise in das Hamburger Herz, schreiben Sie. Wie „bereisen“ Sie Prag? Haben Sie ein System oder sind Sie dem Zufall auf der Spur bzw. sein freiwilliges Opfer?

Buch „Gebrauchs-anweisung für Hamburg“
„Das ist in der Tat ein Problem. Ich kriege so viele gute Hinweise und Tipps, was ich alles tun sollte. Aber ich kriege am meisten mit, wenn ich mich auf die Straße stelle oder Zeit habe, mich beeindrucken zu lassen oder etwas zu empfinden oder zu spüren. Die Zeit hatte ich bisher noch nicht so richtig.

Sie waren 2005 Poet in residence an der Cornell University in Ithaca, New York. Das war auch der Ausgangsort für ihren aktuellsten Roman.

„Stimmt, ja.“

Könnte Prag ihr nächster Ausgangsort für ein neues Buch sein?

Cornell University in Ithaca  (Foto: Alex Sergeev,  www.wikimedia.org)
„Erst mal klar, auf jeden Fall. Und es wird auch – selbst wenn das Wort Prag nicht drin vorkommt – immer etwas davon eingehen. Ich glaube, dass man immer viel autobiografischer schreibt als man selbst das ahnt.“

Sie haben mir im Vorgespräch gesagt, dass Sie gern in den nächsten zwei Wochen an Ihrem neuesten Roman weiterarbeiten würden. Was ist das für ein Roman, was können Sie davon verraten?

„Diese Frage beantworte ich nicht einmal meiner eigenen Frau. Auch wenn das jetzt esoterisch klingen mag: Sobald ich darüber rede, vertreibe ich die Geister. Also in dem Moment, wo ich es ausspreche, habe ich Angst, dass es uninteressant für mich wird und mich nicht mehr die vielen Jahre bei der Stange hält, die es braucht, um dieses Buch gerade zu beenden.“

Dann werde ich Sie auch nicht weiter quälen, nicht weiter fragen. Stefan Beuse, Stipendiat des Prager Literaturhauses im Monat Oktober – herzlichen Dank für das Gespräch.

„Ich danke Ihnen.“