Integration durch Kunst: Tscheche gründet Hilfsorganisation in Ruanda

Foto: Archiv Talking through Art

Der junge Tscheche Petr Kočnar lebt in Ruanda. Er ging mit dem Plan in das afrikanische Land, dort ehrenamtlich für eine Hilfsorganisation zu arbeiten. Nachdem er aber keine passende gefunden hatte, gründete er selbst eine: „Talking through Art“ hilft Menschen mit körperlicher Behinderung, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden.

Petr Kočnar  (Mitte). Foto: Archiv Talking through Art
Herr Kočnar, Sie leben seit anderthalb Jahren in der ruandischen Hauptstadt Kigali. Sie haben dort Anfang 2015 eine Organisation gegründet. Sie heißt „Talking Through Art“ und hilft Menschen mit körperlicher Behinderung. Wie sind Sie nach Ruanda gekommen? Sind sie mit dem Ziel hingefahren, dort eine Hilfsorganisation zu gründen?

„Ich kam nach Ruanda, weil ich Französisch lernen wollte. Das war meine eigentliche Motivation. Vorher lebte ich drei Jahre in Kenia. Ich habe mich entschieden, nach Ruanda zu fahren um dort als Freiwilliger bei einer Organisation zu arbeiten. Ich habe aber keine gefunden. Da in Ruanda viele Menschen mit Behinderung leben und auf der Straße betteln, wollte ich ihnen irgendwie helfen. Und da ich an der Kunstgewerbeschule studiert habe, wollte ich ihnen mit einer Kunsttherapie helfen. So hat das alles angefangen.“

„Da in Ruanda viele Menschen mit Behinderung leben und auf der Straße betteln, wollte ich ihnen irgendwie helfen.“

Wie ist der erste Eindruck eines Europäers, wenn er nach Ruanda kommt? Sie können das Land auch mit anderen afrikanischen Ländern und natürlich mit Europa vergleichen…

„Der erste Eindruck war nicht anders, als in jedem anderen afrikanischen Land. Ich habe mich ziemlich wohl gefühlt. Aber im Laufe der Zeit – ich lebe dort seit mittlerweile anderthalb Jahren –, habe ich festgestellt, dass sich Ruanda und seine Kultur von anderen afrikanischen Ländern sehr unterscheiden. Man hat sich dort noch nicht an Ausländer gewöhnt. Die Einheimischen sehen mich häufig an, ohne zu lächeln oder zu grüßen. Ich werde stets wie unter dem Mikroskop betrachtet. Es ist schwer, sich dran zu gewöhnen. Aber ich lebe mich allmählich ein.“

„Man hat sich dort noch nicht an Ausländer gewöhnt. Ich werde stets wie unter dem Mikroskop betrachtet.“

Leben auch noch weitere Tschechen dort?

„Ich habe einen Tschechen getroffen, der dort arbeitet. Er lebt dort seit etwa fünf Jahren. Und das ist alles. Wir sind zwei.“

Sie haben mir erzählt, dass Sie dort viele Menschen gesehen haben, die auf der Straße gebettelt haben. Wie haben Sie diese Menschen angesprochen, wie sind Sie in Kontakt mit ihnen gekommen?

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„Ich habe einen Mann kennengelernt, der aus Ruanda kommt. Ich habe mich mit ihm befreundet. Und ihm ist eingefallen, diese Menschen anzusprechen. Er führte mich in die Stadt. Wir unterhielten uns mit ihnen in ihrer Sprache. Man spricht dort Ruandisch. Er hat alles übersetzt. Wir haben ihnen verschiedene Fragen gestellt. So auch, ob sie Interesse hätten, an einem Programm teilzunehmen, in dem sie malen würden und andere Sachen machen könnten, als auf der Straße zu betteln.“

War es schwer, sie zu überzeugen?

„Von fünfzig Personen, die wir angesprochen haben, sind etwa 15 Menschen gekommen. Es war nicht einfach, alle zu überzeugen, weil sie keinen Ertrag gesehen haben.“

Foto: Archiv Talking through Art
Als diese Menschen wirklich zu Ihnen gekommen sind, wie lief es weiter? Haben Sie ein Haus oder ein Zentrum in Kigali, wo die Therapie stattfand?

„Wir haben in einem kleinen Haus mit einem Zimmer angefangen. Die Mutter des Freundes hat es uns zur Verfügung gestellt, aber nur befristet. Nach drei Monaten haben wir unser eigenes Haus gemietet. Es funktioniert heute auch schon wie eine Schule. Wir haben uns von der Kunsttherapie einen Schritt weiterbewegt und veranstalten jetzt auch Umschulungskurse.“

Wie alt sind die Menschen, mit denen Sie arbeiten? Sind sie von Kindheit oder von Geburt an behindert, oder haben sie eine Verletzung erlitten?

„Wir haben keine Altersgrenze. Jung und Alt können unsere Kurse besuchen. Die meisten, die jetzt bei uns sind, sind junge Menschen. Wir betreuen aber auch ein paar ältere Menschen. Manche von ihnen sind infolge des Bürgerkrieges in Ruanda behindert: Dem einen fehlt der Arm, weil er als kleiner Jung mit einer Granate gespielt hatte, ohne zu wissen, dass es eine Granate ist. Eine Frau hat das Bein verloren, weil im Krieg eine Granate neben ihr explodiert war. Manche der Menschen haben Probleme mit den Beinen, weil sie als Kinder nicht gegen Kinderlähmung geimpft wurden. Und zwei wurden bei einem Verkehrsunfall verletzt.“

„Die Ruander betrachten Menschen, die ein bisschen anders aussehen und die eine Behinderung haben, als minderwertig. Uns gelang es, diesen Menschen ihr Selbstbewusstsein zurückzugeben.“

Ich möchte Sie noch nach der Kunsttherapie fragen: Sie haben gesagt, dass diesen behinderten Menschen das Selbstbewusstsein gefehlt hat, dass es am Anfang am wichtigsten war, ihr Denken über sich selbst zu ändern…

„Genau. Bei den Menschen hat es an Selbstbewusstsein gemangelt. Es gilt allgemein: Die Ruander betrachten Menschen, die ein bisschen anders aussehen und die eine Behinderung haben, als minderwertig. Und auch diese Menschen selbst fühlen sich minderwertig und haben Angst. Uns gelang es, dies zu ändern und ihnen ihr Selbstbewusstsein zurückzugeben.“

Und das haben Sie mit Malen und mit der Kunsttherapie erzielt.

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„Ja. Und auch dadurch, dass sie jetzt einer Gruppe angehören. Wir, die sie leiten, das heißt ich und einige meiner einheimischen Freunde, haben ihnen gezeigt, dass sie gleich sind wie wir, dass zwischen uns kein Unterschied besteht.“

Wie läuft die Arbeit jetzt weiter? Sie sind schon in einer weiteren Phase.

„Wir kommen nach anderthalb Jahren zu Kursen, die ihnen Nutzen bringen können. Vorher haben wir den Weg gesucht: Sie haben Perlenschmuck gemacht, sie lernten sticken, häkeln und stricken. Dann haben wir aber festgestellt, dass man damit keinen Lebensunterhalt verdienen kann. Ich habe traditionelle ruandische Schalen gefunden und eine Lehrerin angestellt, die ihnen beibringt, wie sie herzustellen sind. Sie produzieren jetzt diese schönen Schalen, die man im Haushalt oder als Dekoration nutzen kann. In Ruanda existieren Firmen, die diese Schalen nach Amerika ausführen. Wenn meine Schützlinge lernen, perfekte Produkte zu machen, können sie eine Beschäftigung bei diesen Firmen finden.“

„Sie produzieren schöne, traditionelle Schalen. In Ruanda existieren Firmen, die diese Schalen nach Amerika ausführen.“

Die Menschen werden nach dem Kurs imstande sein, selbständig ihren Lebensunterhalt zu erwerben und auf eigenen Beinen zu stehen.

„Ja. Sie werden zu Hause arbeiten. Vertreter der Firma kommen dann zu ihnen, geben ihnen das Material, bestellen das konkrete Design sowie die Zahl der Schalen und der Körbe und legen eine Frist fest. Die Produkte werden dann abgeholt, und die Menschen bezahlt.“

Sind es ausländische Firmen oder einheimische, ruandische?

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„Die Firma, die mir angeboten hat, meine Leute anzustellen, ist einheimisch. Sie wurde von zwei Ruanderinnen gegründet. Sie bieten heute Beschäftigung für 4.000 Menschen.“

Ist es Ihr Ziel, diese Menschen zu dem Punkt zu führen, ab dem sie selbständig leben können? Oder haben Sie vor, mit ihnen auch weiter in Kontakt zu sein, sich ihnen weiter zu widmen?

„Jedenfalls möchte ich mich ihnen weiter widmen. Sie sind inzwischen meine Freunde geworden, und ich kann sie nicht einfach loslassen. Im Rahmen meines Programms vermittle ich ihnen Arbeit, aber ich will auch ihren Kindern helfen, weil die meisten von ihnen nicht zur Schule gehen. Ich suche Sponsoren, die die Schulkosten für diese Kinder übernehmen. Wenn alles gut läuft, werden ich und die Organisation sich ihnen möglichst lange widmen.“

„In Ruanda denken alle, weil ich weiß bin, habe ich immer Geld und kann es jedem geben.“

Wie sieht es eigentlich mit dem Schulunterricht in Ruanda aus?

„Die Schule ist zwar kostenlos, man muss aber für Schuluniform und für Schulbücher, Hefte und weiteres bezahlen. Das ist keine billige Sache. Viele können sich das nicht leisten, und ihre Kinder gehen nicht zur Schule. Ich bemühe mich, es ihnen zu ermöglichen.“

Foto: Archiv Talking through Art
Was ist das größte Problem, auf das Sie bei Ihrer Tätigkeit in Ruanda stoßen? Gibt es da etwas, wogegen Sie kämpfen müssen?

„In Ruanda denken alle, weil ich weiß bin, habe ich immer Geld und kann es jedem geben. Wenn ich ihnen kein Geld gebe, glauben sie, dass ich lüge. Diesem Problem begegnet man jeden Tag. Man muss lernen, Nein zu sagen, weil es keine andere Möglichkeit gibt.“

Sie arbeiten ehrenamtlich, aber der Betrieb Ihrer Organisation, die Kurse und das alles kostet viel Geld. Aus welchen Quellen finanzieren Sie das?

„Im Moment vermiete ich meine eigene Wohnung. Mit dem Geld aus der Miete finanziere ich den gesamten Betrieb der Hilfsorganisation.“

„Im Moment vermiete ich meine eigene Wohnung. Mit dem Geld aus der Miete finanziere ich den gesamten Betrieb der Hilfsorganisation. Ich werde so das Projekt bis zu dem Zeitpunkt unterstützen, bis es mir gelingt, Sponsoren zu finden. Ich hab so etwas nie gelernt, und weiß nicht, wie man Sponsoren sucht. Ich bemühe mich aber sehr und hoffe, sie zu finden. Ich glaube aber schon, dass mir jemand hilft, weil das Projekt sinnvoll ist.“

Welche Möglichkeiten bieten sich um der Organisation helfen möchte? Kann man irgendwo die Produkte kaufen oder direkt finanziell dazu beitragen?

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„Man kann die Produkte kaufen. Entweder in Ruanda oder in Tschechien. Immer wenn ich nach Tschechien fahre, bringe ich die Produkte mit. Ich suche jetzt nach einem Weg, den Transport unter annehmbaren Kosten zu organisieren. Die zweite Möglichkeit ist, direkt auf ein Konto zu spenden. Wir haben momentan ein Konto in Ruanda, wollen aber auch in Tschechien eines eröffnen, damit es zugänglicher ist.“

Mit der Organisation „Talking through Arts“ in Ruanda knüpfen Sie an Ihre früheren Aktivitäten an. Was haben Sie bereits in Afrika gemacht?

„Ich habe als Freiwilliger in Kamerun gearbeitet. Sechs Wochen habe ich dort fotografiert – das ist übrigens ein Hobby von mir. Ich habe eine Mission dokumentiert, die sich um Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen kümmert. Danach habe ich drei Jahre in Kenia gelebt. Dort habe ich eine Farm gegründet. Das war eher eine unternehmerische Tätigkeit als ehrenamtliche Arbeit.“

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Ich habe Sie bereits nach den Problemen gefragt, mit denen Sie sich auseinandersetzen müssen. Ich möchte aber auch fragen, was Ihnen in Ruanda gefällt, was Sie dort begeistert? Gibt es da etwas, was sie verzaubert hat?

„Es ist zweifelsohne die Landschaft in Ruanda. Ruanda wird als Land der tausend Hügel bezeichnet. Die hügelige Landschaft ist sehr grün. Es ist sauber dort. Die Regierung bemüht sich, Ruanda als das beste Land Afrikas zu präsentieren, und dies spürt man auch. Wenn man die Stadt verlässt, ist die Luft sauber. Es gibt dort schöne Seen. Die Natur ist zauberhaft.“

Mehr über „Talking through Art“ finden Sie unter www.talkingthroughart.org, einen Film auf Englisch unter https://www.youtube.com/watch?v=RQaQSG-rvd8.