„Ich kam mit einem Rucksack voller Träume nach Prag“ – Regisseur Mano Khalil
Er hat in der früheren Tschechoslowakei studiert und ist heute ein anerkannter Filmregisseur: Mano Khalil. Bis heute spricht er Slowakisch, oder wie er sagt: Tschechoslowakisch. Khalil ist Kurde und floh Mitte der 1990er Jahre aus Syrien – und zwar in die Schweiz. Vergangene Woche hat er beim deutschsprachigen Filmfest in Prag seinen ersten Spielfilm vorgestellt. Mano Khalil hat aber bereits einen Namen als Regisseur, unter anderem wegen seiner Dokumentarfilme. Sein Streifen „Der Imker“ von 2013 wurde mehrfach ausgezeichnet.
„Es ist genau 30 Jahre her, dass ich damals nach Prag gekommen bin. Meiner Meinung nach muss dies am 19. Oktober 1986 gewesen, daran habe ich mich jetzt beim Flug aus Zürich am 19. Oktober 2016 erinnert. Damals kam ich mit einem Koffer in der Hand hierher und einem – symbolischen – Rucksack voller Träume, Wünsche und Hoffnungen. Ich habe Jura und Geschichte in Damaskus studiert, wollte aber unbedingt Filmregie lernen und Filme drehen. Ich erinnere mich, dass ich nach der damaligen Landung in Prag Probleme hatte, meine Dollars zu wechseln. Ich habe von jemandem dann eine Krone bekommen. Und ich wartete sechs, sieben Stunden vor einem Telefon, um angerufen zu werden. Denn die Leute, die mich am Flughafen abholen sollten, waren nicht gekommen. Jetzt, 30 Jahre später, bin ich erneut hier – und ein Teil der Hoffnungen und Träume von damals haben sich erfüllt. Der Film, den ich mitgebracht habe, wird in einem der schönsten und ältesten Kinos Europas gezeigt: im Kino Lucerna. Das ist ein Traum für jeden Regisseur, und besonders für mich, der ich aus einem von Gott und Menschen vergessenen kleinen Dorf in Kurdisch-Syrien komme.“
Als Sie Anfang der 1990er Jahre allerdings aus der Tschechoslowakei zurück nach Syrien gegangen sind, ist aus diesem Traum erst einmal überhaupt nichts geworden, weil Sie mit Ihrer Kunst Probleme hatten. Was ist damals vorgefallen, dass Sie aus Syrien geflohen sind?
„Das syrische Regime hat verrückt gespielt und mir das Leben zur Hölle gemacht.“
„Als ich mich entschloss, Film zu studieren, hatte ich das Ziel, etwas für das kurdische Volk zu machen. Und ich wusste, dass dieser Weg nicht einfach wird. Ich kannte das natio-sozialistische Regime von Diktator Hafiz Assad, dem Vater des heutigen Herrschers, sehr gut. Mir war also klar, dass ich mit dem Regime konfrontiert werde, wenn ich meine Gedanken freilasse. Als ich nach den schönsten Zeiten meines Lebens – in der Tschechoslowakei – zurück nach Syrien gegangen bin, habe ich gehofft, Filme drehen zu können. Ich habe aber nur einen einzigen Film gemacht: ‚Wo Gott schläft‘. Er hat damals in Augsburg den ersten Preis gewonnen. Das syrische Regime hat dann verrückt gespielt: Wie ich ohne Erlaubnis bloß einen Film in Syrien drehen konnte, hieß es. Sie haben mir das Leben zur Hölle gemacht, und ich musste einfach weg. Ich hätte vielleicht auch in die frühere Tschechoslowakei zurückkehren können. Doch Tschechien und die Slowakei hatten sich getrennt. Und die Lage für die Menschen dort war nicht einfach. Für mich als Ausländer wäre es noch schwieriger gewesen, wieder Fuß zu fassen. Dabei hatte ich in der Tschechoslowakei sogar schon Filme gedreht – für das tschechische und später für das slowakische Fernsehen. Ich hatte aber einen Bruder in der Schweiz. So habe ich mich entschieden dort hinzugehen, um auch ein Teil meiner Familie wieder zu vereinigen.“
Angesichts der sogenannten Flüchtlingskrise wird viel über Integration gesprochen. Wie haben Sie das für sich gelöst in der Schweiz?„Diese Frage bekomme ich eigentlich immer gestellt. Ich sage dann: Der Mensch braucht dafür kein Diplom oder einen Stempel. Jeder, der sich legalisiert, an die Gesetze hält, mitmacht, nimmt und gibt, muss nicht erst durch ein Diplom gesagt bekommen, dass er integriert ist. Es gibt auch viele Schweizer, die nicht integriert sind. Meine Frau ist Griechin und hilft Schweizern, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Jeder braucht Hilfe. Und wenn jemand jemandem hilft, diesen Weg zu finden, dann ist das einfach Solidarität zwischen uns Menschen.“
Wie schwierig war denn der Beginn in Ihrem Metier als Filmemacher in der Schweiz?
„Das Asylbewerberheim war so etwas wie eine Gefangenschaft in Freiheit.“
„Das gilt nicht nur für Filmemacher, sondern für jeden Menschen: Sobald jemand sein Heimatland unfreiwillig verlässt, beginnt für ihn ein Prozess der inneren Erniedrigung. Man weiß, man ist in Not und braucht irgendwie eine Hilfe. Man ist eine Nummer, man ist Flüchtling. Bei mir war das nicht anders. Ich musste drei Jahre in einem Asylbewerberheim warten. Ich durfte wirklich nichts machen, nicht arbeiten. Das war so etwas wie eine Gefangenschaft in Freiheit. Als ich dann meinen ersten Film dort drehte, wollte ich mit dem Schweizer Fernsehen zusammenarbeiten. Der Redakteur dort hat mir aber nicht geglaubt. Er sagte, ich sei ein Illusionist und sollte eigentlich in meinem Asylbewerberheim sitzen. Trotzdem habe ich damals einen Film gemacht, er hat mich 66 Schweizer Franken gekostet. Er war 33 Minuten lang und heißt ‚Triumph of Iron‘. Der Streifen hat bei den Solothurner Filmtagen in der Kategorie Kurzfilm gewonnen und war nominiert zum besten Schweizer Kurzfilm. Ich habe durchgehalten, weil ich gedacht habe, dass sonst der syrische Diktator gegen mich gewonnen hätte.“
Sie stellen hier in Prag jetzt Ihren neuesten Film vor. Die Schwalbe lautet der Titel, und er spielt in Kurdistan. Vielleicht können Sie unseren Hörern ein paar Worte zu dem Film sagen…„Jemand hat gesagt, man sollte aufpassen, was man sich wünscht, denn vielleicht wird das mal Realität. Und nicht jeder Wunsch, der Realität wird, bereitet Freude. Manchmal ist man sehr enttäuscht… Es handelt sich um die Geschichte einer jungen Schweizerin mit einem kurdischen Vater. Jahrelang dachte sie, ihr Vater sei im Krieg gegen Saddam Hussein gestorben. Doch plötzlich entdeckt sie Briefe, die beweisen, dass er noch lebt. Sie reist nach Irakisch-Kurdistan, um ihre Wurzeln und sich selbst zu finden. Sie wird Zeugin des Terrorismus dort, sie erlebt auch ein bisschen Liebe – es ist die Welt, mit all ihren Problemen, so wie sie dort derzeit ist. Sie entdeckt viel, und kehrt als neue Frau zurück.“
Zu der Filmvorstellung hier in Prag: Sind Sie gespannt, wie ihre Bekannten von hier auf den Film reagieren werden?
„Meine Filme sind auch ein Dankeschön an die Tschechoslowakei.“
„Definitiv, ich bin sehr gespannt. Bei der Eröffnung des Filmfests habe ich schon zwei Menschen getroffen, die ich noch kenne. Sie haben gesagt, dass sie sich freuen, meinen Film zu sehen. Für mich ist das hier übrigens immer noch die Tschechoslowakei, so wie ich das damals gelernt habe, als ich dann auch noch die Matura hier gemacht habe. Die Tschechoslowakei ist bis heute ein Teil meines Lebens. Letztens war ich in Budapest und habe einen Film gezeigt. Freunde aus Bratislava, auch mein früherer Professor, sind deswegen extra dorthin gekommen. Ich freue mich wahnsinnig, wieder hier zu sein – aber nicht mehr als Student, sondern jetzt als Regisseur. Meine Filme sind auch ein Dankeschön an dieses Land, das vielen Studenten aus Afrika, Asien oder anderswoher geholfen hat. Heute haben wir ehemaligen Studenten aus der Tschechoslowakei einen Klub auf Facebook, von Venezuela, über Afrika oder Griechenland bis Kurdistan. Und manche sind heute Botschafter, es gibt sogar einen Staatspräsidenten unter uns und einen Sekretär des Premierministers. Wir sprechen miteinander immer Slowakisch oder Tschechisch. Und wir sind sehr dankbar für die Hilfe, die uns damals angeboten wurde.“