Der Patient von heute - eine Nummer und ein Geldbetrag

Wenn in Tschechien von einer Heilanstalt die Rede ist, meint man damit in aller Regel ein Pflegeheim für Senioren. Das Silbe „Heil-“ als Teil dieser Bezeichnung ist in gewissem Sinne fehl am Platze, weil die so genannten Langzeitpatienten in dieser medizinischen Einrichtung kaum noch gesund gepflegt werden können. Trotzdem ist man dort im Rahmen der Möglichkeiten um ihre Gesundheitsversorgung bemüht, auch wenn sie keine großartigen Erfolge mehr verspricht.

Illustrationsfoto: ČTK
Aus verschiedenen Gründen sind sie in einer „Eldeenka“ gelandet. So die umgangssprachliche Bezeichnung für diese Art medizinischer Einrichtungen für bejahrte Patienten, abgeleitet von der Abkürzung LDN – Heilanstalt für Langzeitpatienten. Viele haben keine Verwandten, oder ihre Verwandten können sich nicht um sie kümmern, oder sie wollen nicht. Dass es für die Patienten kein Glück ist, in einer „Eldeenka“ die letzen Tage ihres Lebens zu verbringen, ist allgemein bekannt. Über die anstrengende Pflegearbeit unterhielt ich mich mit Frau Eva Turínská, Stationsleiterin im Diagnostischen und therapeutischen Zentrum im 4. Prager Stadtbezirk. Im Gesundheitswesen arbeite sie sehr lange, seit 1970 nämlich, sagte sie mir. Welche Beziehung habe sie also nach so vielen Jahren zu dieser Arbeit, war wiederum meine Frage:

„Ich glaube, meine Generation wurde in gewisser Weise für die Arbeit im Gesundheitswesen geprägt. Und nicht nur deswegen, dass man uns schon in der Schule sagte, dies sei keine normale Arbeit, sondern ein Dienst an die Gesellschaft. Ich kann das nur schwer mit anderen Jobs vergleichen, aber gerade diese Arbeit nimmt, glaube ich, den ganzen oder fast den ganzen Menschen in Anspruch. Ich gehöre der Generation an, die diese Arbeit sozusagen im Blut hat.“

Haben Sie in mehreren Bereichen der Gesundheitsversorgung gearbeitet?

„Ich habe ursprünglich in einer Kinderabteilung gearbeitet, später in einer Kinderkrippe, und danach kam ich in die Abteilung für innere Medizin, die früher zu dieser medizinischen Einrichtung gehörte. Im Rahmen der späteren Transformation der so genannten Akutbetten, die der kurzzeitigen stationären Behandlung dienen, hat man bei uns auf Beschluss des Gesundheitsministeriums, weil wir keinem Krankenhaus angeschlossen waren, im Jahr 2000 eine Pflegeanstalt für Langzeitpatienten eingerichtet.“

Im Lauf der Zeit hat sich in ihrem Job bestimmt vieles verändert. Wenn Sie zurückblicken, was sehen Sie?

„Im Gesundheitswesen hat sich in der Zeit, auf die ich zurückblicken kann, sehr viel verändert. Zu den größten Veränderungen kam es aber bestimmt in jüngster Zeit. Leider kann man nicht alle als positiv bezeichnen. Ich habe das Gefühl, dass der Patient oft nicht nicht an erster Stelle steht. Er wird heutzutage als eine Art Nummer betrachtet, hinter der sich eine Geldsumme verbirgt. Das ist meiner Meinung nach falsch.“

Wie ist es in dem sich kontinuierlich verändernden Gesundheitssystem um den Patienten bestellt, der eigentlich an erster Stelle stehen sollte?

„Auch wenn wir ständig bemüht sind, dass der Patient an erster Stelle steht, dass man ihm die Pflege zukommen lässt, die er braucht, werden wir immer mehr auch mit Papierarbeit belastet, und zwar in einem weit höheren Maß als früher. Wenn dann davon die Rede ist, dass Mediziner müde oder verärgert seien, sollte man die Ursachen in Tätigkeiten suchen, die mit der spezialisierten Facharbeit nichts zu tun haben. Natürlich ist auch der ökonomische Faktor wichtig und wird dermaßen berücksichtigt wie nie davor, aber die damit verbundene Verwaltungsarbeit kostet uns Mediziner viel Energie.“

Das ist bekanntlich eine spezifische medizinische Einrichtung. In Ihrer beruflichen Laufbahn mussten Sie also von kleinen Kindern auf Senioren „umschalten“, nicht wahr? Wie erleben Sie den Kontakt mit Menschen, die zum größten Teil nicht mehr lange leben werden?

„Ich sehe eigentlich keinen großen Unterschied oder, wie Sie sagen, ein Umschalten. Man muss keinen Hehl daraus machen, dass der Anfang und das Ende der menschlichen Entwicklungskurve in gewissem Sinne ähnlich sind. Anders gesagt, wenn wir alt sind, haben wir vieles mit kleinen Kindern gemeinsam. Ein alter Mensch hat oft dieselben Bedürfnisse wie ein kleines Kind. Er muss auch gepflegt werden und braucht auch manch warmes Wort, das Streicheln und geduldigen Umgang.“

Ein Job, der hohe Ansprüche an das medizinische Personal legt. Wie gelingt es, das Personal dauerhaft zu motivieren?

„Es ist wirklich, wie Sie sagen, eine anspruchsvolle Arbeit. Sie ist nicht nur körperlich, sondern auch psychisch anstrengend. Auf den ersten Blick mag der Eindruck entstehen, dass hier alle Tage fade sind, denn vieles wiederholt sich jeden Tag, jede Woche oder jeden Monat. Dem ist aber nicht so. Bei der Schichtarbeit ist die Arbeit unserer Krankenschwestern recht abwechslungsreich. In letzter Zeit, und dabei ist unsere Einrichtung bestimmt kein Einzelfall, haben wir einen chronischen Personalmangel zu beklagen. Immer wieder verlässt uns jemand und sucht sich einen weniger anstrengenden und besser bezahlten Job. Offen gesagt, das Gehalt einer Krankenschwester entspricht bei weitem nicht der geleisteten Arbeit und der Verantwortung, die der Beruf mit sich bringt. Unter denjenigen, die diesen Job an den Nagel hängen, sind überwiegend die jüngeren Jahrgänge, und das ist traurig.“

Sie selbst wollten nie weggehen?

„Das will ich oft! Aber alleine den Satz „Ich will weg!“ auszusprechen, dient oft schon als eine Art Ventil! Ich habe ihn mir schon oft gesagt, aber es ist nie dazu gekommen. Wie ich bereits anfangs sagte, ich gehöre zu der Generation, die diese Arbeit unter der Haut hat. Nur sehr schwer würde ich mich an eine andere Arbeit gewöhnen. Meine Arbeit ist absolut anders als die zum Beispiel im Büro, auch wenn immer mehr Verwaltungsaufgaben mit meiner jetzigen Funktion der Stationsschwester verbunden sind.“

In Ihrer Arbeit sind Sie allerdings nicht allein mit der Pflege der Patienten beschäftigt. Sie sind auch oft dabei, wenn sie sterben. Wie nehmen Sie diese Situation wahr?

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„Wenn der Mensch alt und schwer krank ist und Sie sehen, dass es für ihn keinen Rückweg gibt und wie viel Mühe ihn jeder Tag kostet, haben wir, glaube ich, als Mediziner, Krankenschwestern und Ärzte, Mitgefühl für ihn. Ich will nicht behaupten, dass das für alle gilt. Auch wir sind nur Menschen und auch in unseren Reihen wirkt sich das Burn-Out-Syndrom aus. Im Prinzip kann man aber sagen, dass wir den Tod eines Patienten, mit dem den wir Tag ein Tag aus im Kontakt waren, auch durchleben. Mit Sicherheit kann ich aber sagen, dass ich in der Zeit, in der ich als Krankenschwester arbeite, noch nicht auf Gleichgültigkeit in meiner Umgebung gestoßen bin. Im Gegenteil. Sehr oft erleben wir die Situation, dass der Tod eines Patienten das Personal tief trifft.“

Können Sie abschalten, wenn Sie aus der Arbeit nach Hause gehen? Lassen Sie Ihre Arbeit und Patientenschicksale zurück?

„Ich glaube, voll und ganz abzuschalten kann man nicht. Meine Arbeit nehme ich im Kopf auch nach Hause und denke an sie, wenn ich in der Nacht nicht schlafen kann. Irgendwie abschalten muss man aber als Krankenschwester schon. So wie man keine privaten Probleme in die Arbeit mitbringen kann, sollte es auch umgekehrt funktionieren. Aber da eine ganz klare Trennlinie zu ziehen ist nicht möglich.“

Wie würde der optimale Arbeitsablauf in Ihrer Station aussehen?

„Für mich wäre optimal, wenn ich genug Personal hätte, um problemlos den Tages- und Wochenplan zu machen, das heißt, dass ich bei keiner Kollegin anrufen müsste, um ihr zu sagen, dass sie einen zusätzlichen Dienst übernehmen soll. Wenn das klappt, kann man auch alles andere meistern. Wichtig ist, dass jeder, der sich für die Arbeit im Gesundheitswesen entscheidet, dazu auch eine positive Beziehung hat. Ohne sie kann es nicht gut gehen. Und wenn sich die Arbeit auf eine entsprechende Personalzahl verteilt, kann man meiner Meinung auch den Rest meistern.“