Radio Prag in den Wirren der Geschichte

Der heutige Tschechische Rundfunk und damit auch Radio Prag standen in den vergangnen Jahrzehnten stets an der Spitze der politischen Entwicklung des Landes. Egal ob in Zeiten des harten Stalinismus, des Prager Frühlings, oder nach der Wiedereinführung der Demokratie im Jahre 1989. Im Zusammenhang mit dem bevorstehenden 70. Jubiläum von Radio Prag befasst sich die heutige Sendung ganz allgemein mit der Rolle der Medien während der Zeit des Kommunismus.

Der Jahrestag der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings von Anfang dieser Woche und auch das fast zu gleicher Zeit stattfindende 70jährige Jubiläum der Auslandssendungen des Tschechischen Rundfunks sind zwei Ereignisse, die nicht nur rein zufällig nah beieinander liegen, sondern auch symbolisch sind für die Rolle, welche die tschechischen Medien und insbesondere der Rundfunk in der jüngsten Geschichte des Landes und während wichtigster politischer Ereignisse spielten.

Während des Prager Frühlings, der am 21. August 1968 nach dem Einmarsch der sowjetischen Panzer blutig zu Ende ging war der staatliche Tschechoslowakische Rundfunk, wie auch dessen Auslandssendungen praktisch einzige die Informationsquelle. Kein Wunder also, dass die Sowjets gleich nach ihrem Einmarsch im ganzen Land fiebrig nach den geheimen Sendeanlagen ermittelten und jenen Redakteuren und Angestellten, die an den illegalen Radiosendungen beteiligt waren, harte Konsequenzen drohten.

Darüber unterhielten wir uns mit dem Historiker Daniel Ruzicka, der sich mit der Geschichte der Medien vor 1989 befasst und als Dokumentarist beim öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen auch gleichzeitig Zugang zum umfangreichen Archivmaterial der größten Medienanstalt des Landes hat. Daneben gehört Daniel Ruzicka auch noch zu den Hauptautoren des Informationsportals www.totalita.cz, das sich gezielt mit der Geschichte der Jahre 1945 bis 1989 befasst. Daniel Ruzicka über die Kontrolle der Medien durch die regierenden Kommunisten:

"Die Kontrolle über die Medien hat das kommunistische Regime von Anfang an nach der Machtübername im Jahr 1948 angestrebt und auch vollzogen. Man sah darin ein Mittel, wie die eigene Politik den Massen vermittelt werden konnte. Natürlich gab es auch bei der Kontrolle der Medien durch die herrschenden Kommunisten unterschiedliche Phasen. Ganz anders ging es dabei nach dem Volksaufstand in Ungarn im Jahr 1956 zu, ganz anders wieder während des Prager Frühlings, wo die Zensur zeitweise abgeschafft wurde. Auch die Niederschlagung der tschechoslowakischen Reformbewegung hatte wiederum weit reichende Konsequenzen. Nicht zu vergessen auch die Perestrojka-Bewegung in den achtziger Jahren, wo der Druck auf das Freigeben gewisser Informationen sogar größer war, als die damalige Führung ermöglichen wollte. Natürlich war das Fernsehen wegen seiner großen Reichweite jenes Medium, welches am meisten unter Aufsicht stand. Beim Rundfunk war wiederum ausschlaggebend, dass man ihn überall empfangen konnte und somit auch eine erhebliche Breitenwirkung gegeben war. Das Radio hat sich zum Beispiel während der August-Tage des Jahres 1968 eindeutig auf die Seite der Reformpolitiker und auch der Bürger gestellt. So stand der Rundfunk auch in den achtziger Jahren, während der Perestrojka-Reformen unter verstärkter Aufsicht der Machthaber. Am leichtesten waren die Zeitungen zu kontrollieren die ja immer irgendwie vorproduziert werden und wo man gegebenenfalls die Auflage stoppen und zensieren konnte. Beim Fernsehen und Rundfunk war das ja wegen der Liveübertragungen nicht möglich."

Alexander Dubcek

Wie stark haben sich während der vier Jahrzehnte dauernden kommunistischen Herrschaft zum Beispiel die unterschiedlichen Entwicklungen innerhalb der Kommunistischen Partei - Stichwort Ent-Stalinisierung, oder auch die diversen Machtkämpfe, auf den Rundfunk niederschlagen?

"Das Jahr 1968 ist wiederum ein gutes Beispiel dafür, wie sich das Spiel zwischen Politikern und Medien entwickelte. Bis Ende Januar 1968, als Alexander Dubcek an die Macht gelangte, wusste überhaupt niemand über die aktuelle Entwicklung Bescheid. Erst dann fingen Medien, wie eben der Rundfunk an, ihrer Aufgabe gerecht zu werden, berichteten offen und hinterfragten auch Missstände. Im August 1968 konnten sich die Reformpolitiker der Unterstützung der Medien sicher sein, nachdem aber der Prager Frühling zu Ende war, waren es wiederum dieselben Politiker, die wieder die Zensur einführten. Das führte natürlich auch zu personellen Veränderungen. An die Stelle der reformorientierten Journalisten wurden jene eingesetzt, die Befehlsempfänger von oben waren. Interessant wurde es dann in den achtziger Jahren, als im Rundfunk und in anderen Medien das so genannte Perestrojka-Spiel gespielt wurde, in dem zum Beispiel in den regionalen Medien es örtliche Parteifunktionäre häufig geschafft haben auch gegen den Willen der Prager Zentrale zu Wort zu kommen."

Der kalte Krieg brachte es mit sich, dass sowohl die westliche Welt, als auch der Ostblock versuchten, der Öffentlichkeit auf der anderen Seite die eigenen Sichtweise, bzw. politische Doktrin zu unterbreiten. In die damalige sozialistische Tschechoslowakei wurden ab den 50er Jahren die Sendungen von Radio Free Europe aus München und von der Voice of America aus Wien ausgestrahlt. In der Tschechoslowakei wirkte wiederum Radio Prag als Unterträger für ideologisch gefärbte Botschaften. Insgesamt zwölf Sprachredaktionen waren bemüht von Prag aus zwanzig Stunden am Tag kommunistische Propaganda an Hörerinnen und Hörer nicht nur im westlichen Ausland, sondern auch in den Entwicklungsländern zu verbreiten. Lassen sich da Vergleiche zwischen dem Wirken von Radio Prag und zum Beispiel von Radio Free Europe anstellen? Dazu meint der Historiker Daniel Ruzicka:

Radio Free Europe

"Ganz allgemein lässt sich sagen, dass es sich hier um einen gegenseitigen Informationskrieg handelte, wo in die eine Richtung Nachrichten strömten, wie gut es sich doch im Sozialismus lebt und wie erfolgreich dieses System ist, in die andere Richtung wurden wiederum die Vorteile der Demokratie, der freien Meinungsäußerung und dergleichen, sowie natürlich auch Meldungen über die Verletzung der Menschenrechte hinter dem Eisernen Vorhang verbreitet. Diese Grundanliegen können jetzt im Nachhinein als das bezeichnet werden, was diese unterschiedlichen Rundfunkwelten verband."

Gibt es überhaupt irgendwelche Zahlen, oder zumindest Schätzungen, wie stark Radio Free Europe, oder andere westliche Sender, die ja bis tief in die achtziger Jahre von den Kommunisten gestört wurden, in der Vor-Wende-Tschechoslowakei gehört wurden? Hören Sie dazu abschließend noch einmal den Historiker Daniel Ruzicka:

"Ich habe nur die Zahlen aus dem Jahr 1969 vor mir, die auf einer Untersuchung basieren, die der Tschechoslowakische Rundfunk damals durchführen ließ. Die meistgehörte Station war damals Radio Free Europe mit einer Reichweite von vierzig Prozent, gefolgt von der Voice of America mit 22 Prozent. und der BBC mit 18 Prozent. Aus der Studie geht auch hervor, dass die meisten Hörer fast zu 92 Prozent Hochschulbildung hatten. Interessant im Zusammenhang mit der damaligen Situation bei den Medien war sicherlich der Umstand, dass das Signal von Radio Free Europe während der Tage unmittelbar nach dem Einmarsch der Sowjets erstmals überhaupt nicht gestört wurde, so dass ein Großteil der Bevölkerung wirklich mit unzensierten Nachrichten versorgt werden konnte."