Neujahrsansprache, Politikergefeilsche, Facebook-Skandal

In dieser Woche bietet der Medienspiegel ein bisschen Neujahrsansprache des Präsidenten, viel Gefeilsche der Politiker vor allem um das riesige Haushaltsdefizit und einen kleinen Facebook-Skandal, der gleich zu Jahresbeginn aufgeflogen ist.

Präsident Václav Klaus
Moderator: Christian, fangen wir heute mal ganz vorne. Bei der Neujahrsansprache des Präsidenten.

C.R.: Ok. Die meisten Kommentatoren waren der Ansicht, nichts Neues gehört oder gelesen zu haben. Keine Überraschungen also seitens des Präsidenten.

Moderator: Aber eine Überraschung war doch, dass die Neujahrsansprache schon einen Tag zuvor, also vor ihrer Veröffentlichung, auf einer tschechischen Webseite erschien, oder?

C.R.: Ja, die Prager Burg hat das als verfrühten Aprilscherz bezeichnet. Denn die Rede des Präsidenten wird tatsächlich nicht vorab bekannt gegeben. Der Chef-Redakteur der Seite hatte dann auch zugegeben, dass er diese Rede aus Versatzstücken alter Neujahrsreden von Klaus zusammengepuzzelt hat. Er habe dabei festgestellt, dass die Phrase „Alle Jahre wieder“ sich nicht nur auf Weihnachten beziehe, sondern auch auf den Inhalt der Neujahrsreden von Präsident Klaus.

Moderator: Gut. Aber es gab doch sicherlich einige Kommentare in den Zeitungen.

C.R.: Natürlich. Jiří Franěk von der „Právo“ geht es zum Beispiel um den Widerspruch, der in der Haltung und den Meinungen des Präsidenten durchscheine. Klaus hatte ja wieder einmal Stellung bezogen gegen den Klimaschutz. Niemand könne wissen, wie die Zukunft aussehe. Gleichzeitig hatte der Präsident davor gewarnt, den künftigen Generationen Schuldenberge zu hinterlassen. Jiří Franěk schreibt:

„Der Präsident gibt uns mit auf den Weg, dass wir unsere Schulden nicht den künftigen Generationen aufbürden sollen. Aus seinen Worten geht aber gleichzeitig hervor, dass wir uns nicht um ihre Probleme mit den natürlichen Ressourcen kümmern sollen. Oder darum, woher in 50 Jahren die saubere Luft zum Atmen kommen soll. Nach uns die Sintflut – das hat uns der Burgherr mitgeteilt.“

So Jiří Franěk in der „Právo“. Ansonsten gab es eigentlich recht wenig Futter für die Kommentatoren in der Rede des Präsidenten und deshalb haben auch nicht so viele angebissen.

Moderator: Am Sonntag gab es ja das erste Fernseh-Duell zwischen den Chefs der beiden großen Volksparteien, also zwischen Topolánek von den Bürgerdemokraten und Paroubek von den Sozialdemokraten. Wurde das kommentiert?

C.R.: Ja, es schimmert jedenfalls überall durch. 2010 ist ja ein Wahljahr. Im Mai finden die Wahlen zum Abgeordnetenhaus statt. Und da geht es in den ersten Kommentaren des neuen Jahres natürlich viel um Politik und Stimmung in der Gesellschaft. Jiří Kubik von der „Mladá Fronta Dnes“ geht auf eine Umfrage ein, die seine eigene Zeitung regelmäßig zu Jahresbeginn durchführt. Festgestellt werden soll, mit welcher Stimmung die Tschechen ins neue Jahr gerutscht sind. Ein Gesichtspunkt: Nur 17 Prozent fürchten sich vor politischen Erdstößen. Dafür gebe es laut Jiří Kubik zwei Erklärungen:

„Entweder sind wir der Politik schon so überdrüssig, dass wir alles, was sich zwischen den Potentaten noch abspielen könnte, aus unseren Köpfen verdrängen. Oder wir sind einfach so unumstößlich von der Festung unseres demokratischen Systems überzeugt, dass uns das Hin- und Hergeschiebe der Macht von rechts nach links und wieder zurück kalt lässt. Welche Variante die richtige ist, das sagt die Untersuchung nicht. Aber das ist auch gleichgültig. Wir wissen, dass das ´Erlebnis Politik´ nicht das ist, womit die Tschechen ihr 2010 ausfüllen wollen.“

Jiří Leschtina geht auch auf die anstehenden Wahlen und das enorme Haushaltsdefizit ein. Für 2009 liegt es ja bei über 7,2 Milliarden Euro. Leschtina erwartet auch in diesem Jahr nicht mehr Ehrlichkeit der politischen Führer. Man werde auch weiterhin die Menschen für dumm verkaufen. Er schreibt in der „Hospodářské Noviny“:

„Eine andere Sache ist, was sich in der Seele des neuen Premiers abspielen wird, wenn wer Aug in Aug dem nicht mehr zu stopfenden Loch in der Staatskasse gegenüber stehen wird, das zurzeit noch Finanzminister Janota aus den Träumen reißt. Die Wahlprogramme fliegen in den Papierkorb und der nächste Finanzminister kramt in den Schubladen nach, ob dort nicht sein Vorgänger die versprochenen Empfehlungen hinterlassen hat. Wenn uns überhaupt etwas auf dem Weg in den Staatsbankrott aufhält, dann nicht die Beherztheit des künftigen Wahlsiegers. Eher wird es die Angst sein, dass gerade seine Regierung das Land unter die Zwangsverwaltung des Internationalen Währungsfonds gebracht hat. Sei auch diese Art von Angst gesegnet.“

Moderator: Insgesamt also eher finstere Einschätzungen für 2010 durch die Kommentatoren.

C.R.: Richtig. Eine Karikatur von Miroslav Kemel in der Zeitung „Mladá Fronta Dnes“ bringt es wohl insgesamt auf den Punkt, was sich in den Köpfen der Fernsehzuschauer abspielt, wenn die beiden Parteichefs Paroubek und Topolánek vor laufenden Kameras streiten. Diese Karikatur zeigt die Kampfhähne im Fernsehstudio, Topolánek zur Rechten, Paroubek zur Linken und zwischen beiden der Moderator Moravec, wie er gerade die Sendung anmoderiert. Er sagt: „Herzlich willkommen zum ersten Teil der neuen Reality-Show ´Tschechien sucht neues Blut´“.

Das spricht wohl vielen Wählern und Nicht-Wählern aus der Seele. Sie können, glaube ich, die beiden politischen Hauptakteure und die Art wie sie sich gegenseitig blockieren und ineinander verbeißen nicht mehr sehen.


Moderator: Christian, im November wurde im Online-Netzwerk Facebook eine Gruppe gegründet, die Folgendes versprach: „Zehn zufällig ausgeloste Mitglieder dieser Seite gewinnen jede Woche ein iPhone“. Das ganze sollte dann losgehen, wenn sich 100.000 Leute auf dieser Seite zusammengefunden haben. Es gab dann aber keine Handys, sondern eine Überraschung.

C.R.: Genau. Am 3. Januar, als schon fast 80.000 Leute angemeldet waren, wurde die Seite plötzlich umbenannt in: „Junge Leute wählen Jiří Paroubek“. – also den Sozialdemokraten-Chef. Das Versprechen, Handys zu verlosen, verschwand spurlos.

Für Martin Weiss von der „Lidové Noviny“ ist klar, wer hier der Schuldige ist:

„Die Politik gibt sich somit in ihrer Degradierung nicht damit zufrieden, welche niederen Normen in ihr selbst gelten, sondern sie beschmutzt systematisch weitere Bereiche des Lebens, die bisher von ihr verschont waren. Wenn die Politik feststellt, dass man irgendwo fälschen oder betrügen kann, dann tut sie das. Der Beschiss auf Facebook hat allerdings auch seinen Scharm. Den Leuten etwas umsonst zu versprechen, die nicht danach fragen, wer dafür bezahlt, das ist das Rezept der Partei, die jetzt auf Facebook überraschte Fans hat.“

Soweit Martin Weiss. Petr Koubský meint in der „Mladá Fronta Dnes“, mit einer voreiligen Schlussfolgerung könne man hier durchaus falsch liegen:

„Auf den ersten Blick sieht das ganze aus wie politische Manipulation. Diese könnte – naiv interpretiert – zugunsten der Sozialdemokraten gemeint sein. In der Interpretation nach ´geschmierter tschechischer Art´ jedoch könnte es – im Gegenteil - zugunsten der Gegner der Sozialdemokraten arrangiert worden sein. Denn so ein unschöner Trick verdient Verachtung.“

So Petr Koubský. Er hält es allerdings für gut möglich, dass die ganze Aktion apolitischer Natur war.

Moderator: Vielleicht noch ein leichteres Thema am Schluss?

C.R.: Leichter vielleicht nicht, aber auch nicht die schwere Politik. Die Prager Stadtverwaltung hat entschieden, auf verschiedenen Abschnitten der Magistrale, also der Stadtautobahn, die Geschwindigkeit auf 50 Kilometer pro Stunde zu begrenzen. Endlich, denkt Petr Honzejk von der „Hospodářské Noviny“. Er hält diesen Schritt für richtig.

„Die neu eingeführte Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Prager Magistrale auf 50 Kilometer pro Stunde wird viele aufregen, dennoch ist sie richtig. Sie rückt Tschechien hin zu jenen zivilisierten Ländern, die anerkennen, dass das Leben in wenigstens relativer Ruhe mindestens den gleichen Wert hat, wie das sausen über die Autobahn.“

Soweit Petr Honzejk und soweit auch der Medienspiegel.

Moderator: Der Medienspiegel – heute von und mit Christian Rühmkorf. Vielen Dank!