Eine Zeitung unter Wasser: Lidové noviny und die Prager Jahrhundertflut

Auch vergangene Woche gehörte die Bewältigung der Folgen der Jahrhundertflut, die Mitte August Tschechien heimsuchte, zu den Hauptthemen in der Berichterstattung der tschechischen Tageszeitungen. Diesmal wollen wir Ihnen aber, verehrte Hörerinnen und Hörer, dieses Thema aus einer vielleicht etwas ungewohnten Perspektive präsentieren, nämlich aus der Sicht eines tschechischen Mediums, das selber von den unberechenbaren Wellen der Moldau bedroht wurde. Die Rede ist von der tschechischen Tageszeitung Lidove noviny, dis bis vor wenigen Tagen ihren Redaktionssitz im Prager Stadteil Karlin hatte, jenem Viertel also, welches vom Jahrhundertwasser vielleicht am meisten betroffen war. Die Redaktion von Lidove noviny musste somit binnen kürzester Zeit ihr Redaktionsgebäude verlassen und die Zeitung, d.h. vor allem die damit zusammenhängende Technik buchstäblich anderswo aufbauen, ohne das dabei der Zeitungsbetrieb eingestellt worden wäre.

Dabei hat jedoch für die Lidove noviny ursprünglich alles ganz harmlos begonnen und ohne jegliche Vorahnung dessen, was passieren würde, wie sich der stellvertretende Chefredakteur des Blattes Petr Zavadil im Gespräch mit Radio Prag zurückerinnert:

"Wir haben schon am Montag, als es noch hieß, dass Prag ein zwanzig- bis fünfzig jähriges Hochwasser erwartet, vorsorglich nicht nur die Evakuierung der Redaktion vorbereitet, sondern haben sie auch bereits teilweise unternommen. Wir hatten nämlich Angst, dass auch für den Fall, dass das Wasser unser Redaktionsgebäude nicht erreichen würde, wovon wir natürlich immer wieder ausgingen, die Stromversorgung unterbrochen werden könnte, und das wäre natürlich für jede Zeitung tödlich. Während des ganzen Tages haben wir dann wie gewöhnlich unsere Zeitung hergestellt, wobei wir all jene Computer, mit denen nicht mehr gearbeitet wurde, bereits während des Tages in Sicherheit brachten. Dass ganz Karlin evakuiert werden soll, haben wir dann in der Nacht vom Montag auf Dienstag erfahren, sodass wir dann die letzten Computer in die Autos verladen und in Sicherheit bringen konnten."

Bei der Frage, wie man am besten eine Zeitung evakuiert und was auf jeden Fall vor der Zerstörung gerettet werden muss, verhielt sich die Chefredaktion des Blattes, wie Petr Zavadil im Gespräch mit Radio Prag belegt, recht ähnlich, wie viele Hunderte Menschen auch, die innerhalb von wenigen Stunden in den am meisten betroffenen Vierteln Prags ihre Wohnungen räumen mussten und nur wenig Zeit hatten etwas von ihrem Eigentum mitzunehmen. Oft wurden nämlich neben etwas Geld und Personalausweisen auch Fotos oder andere persönlich wertvolle Erinnerungsstücke mitgenommen. Nicht anders ging es auch bei Lidove noviny zu:

"Wir haben die wertvollsten Gegenstände aus dem Erdgeschoss retten wollen, d.h. das Archiv der Zeitung aus der Zwischenkriegszeit, ebenso auch unser großes Fotoarchiv. Das was nicht unbedingt bei der täglichen Redaktionsarbeit gebraucht wurde, haben wir in die höheren Stockwerke getragen. Als es dann besonderes kritisch wurde und schnell gehandelt werden musste, habe ich dann z.B. den Redaktions-Server in meinen Wagen geladen und ihn in Sicherheit gebracht."

Nun passiert es ja nicht allzu oft, dass eine Zeitung ihren bisherigen Wirkungsort wegen der Einwirkung von höherer Gewalt räumen und den Redaktionsbetrieb anderswo wieder aufbauen muss. Wie Petr Zavadil erläutert, konnte die Lidove noviny den Umstand nutzen, dass ihre Verlagsgesellschaft, die u.a. die auflagenstärkste tschechische Tageszeitung, die Mlada fronta dnes herausgibt und über eine Reihe von Räumlicheiten verfügt, die sich zur Medienarbeit eignen, ihr quasi für die erste Zeit Unterschlupf gewährte und zwar in der Verlagseigenen Druckerei in Prag-Malesice:

"Unser erster Stützpunkt war in den ersten Tagen nach der Evakuierung aus Karlin, die Druckerei MAFRA, wo wir aber nur zwei Räume zur Verfügung hatten, in denen wir aller drinnen waren, was ziemlich klaustrophob war. Aber in der Zeit des Hochwassers waren sowieso alle Reporter, genauso wie meisten Kollegen aus anderen Redaktionen stets unterwegs und machten Zeitungsarbeit vor Ort. Jetzt im Nachhinein kann also sogar gesagft werden, dass die Berichte in der Zeitung deswegen authentischer wirkten, weil eben nicht, wie sonst üblich, vom Schreibtisch aus geschrieben wurde."

Der Stadtteil Karlin
Bei diesem einen Umzug ist es jedoch bei Lidové noviny nicht geblieben. Nach knapp einer Woche, welche die Zeitung in den von Petr Zavadil bereits erwähnten bescheidenen Räumlichkeiten in der Prager Vorstadt verbrachte, zog die Redaktion noch zweimal in verschiedene andere Büros und sitzt nun vorläufig in der Prager Innenstadt, unweit des Wenzelsplatzes. Ganz besondere Anforderungen stellten diese Umzüge vor allem an das technische Personal der Zeitung, das eigentlich innerhalb von zwei Wochen insgesamt sechsmal die ganzen Computernetze auf- und dann wieder abbauen musste, ohne jedoch damit den gesamten Zeitungsbetrieb wesentlich beeinträchtigt zu haben. Damit hängt auch unsere nächste Frage an Petr Zavadil zusammen: Gab es im Zuge der Ereignisse der letzten Wochen irgendwelche Einschnitte im Angebot der täglichen Ausgaben, mussten z.B. die Leser auf die eine oder andere ihrer beliebten Rubriken verzichten?

"Nein, es ist zu keinen Einschränkungen gekommen, sondern wir haben im Gegenteil unser Angebot erweitert. Ursprünglich hatten wir bis Anfang September eine spezielle Sommerbeilage herausgeben wollen, die wir aber im Zuge der Flutkatastrofe sofort eingestellt haben und anstatt dessen eine erweiterte Berichterstattung über das Hochwasser im ganzen Land bringen konnten. Die einzige Einschränkung, die in diesem Zusammenhang vielleicht zu erwähnen wäre, ist de Umstand, dass wir im Zuge des schnellen Tempos wahrscheinlich weitaus mehr orthograpfische Fehler in unserer Zeitung hatten, als es sonst üblich ist."

Der Stadtteil Karlin, in dem die Lidove noviny ihren bisherigen Sitz hatten, gehört im Rahmen Prags zu den am meisten beschädigten. Wegen der latenten Einsturzgefahr bei älteren Häusern, ist in vielen Teile Karlins der Zutritt nach wie vor verboten, ebenso sind auch noch nicht überall die Strom- und Wasserversorgung gewährleistet. Hat also die Redaktion von Lidové noviny überhaupt vor wieder dorthin zurückzukehren? Das war unsere abschließende Frage an deren stellvertretenden Chefredakteur Petr Zavadil:

"Bisher haben wir stets damit gerechnet, dass wir in unser ursprüngliches Redaktionsgebäude wieder zurückkehren werden. Wir gehen dabei von einem Horizont von vier Wochen aus. Vor allem muss jetzt der ganze Schlamm aus dem Erdgeschoss herausgetragen werden, denn dass Wasser stand dort relativ lange und war auch ziemlich hoch. Dann muss das alles natürlich gründlich ausgetrocknet werden, damit man dort überhaupt die ganze Technik einsetzen kann, aber wir rechnen mit einer Rückkehr nach Karlin."