Retrotopia: ein Hörspiel über Tomáš Baťa und Zlín

Foto: www.zlin.cz

Die ostmährische Schuhstadt Zlín und ihr Gründer, Tomáš Baťa waren in diesem Jahr das Thema für eine umfassende Ausstellung und ein mehrtägiges internationales Symposium in Zlín. Wir haben darüber berichtet. Maßgeblich beteiligt an diesem umfassenden Rückblick auf das wirtschaftliche, soziale und architektonische Experiment Zlín waren die von der Kulturstiftung des Bundes getragenen deutsch-tschechischen Kulturprojekte „ZIPP“. Auf deren Initiative hat Steffen Irlinger ein Hörspiel zum Thema Zlín und Tomáš Baťa geschrieben. Das vom WDR in Kooperation dem Deutschlandradio Kultur und dem Tschechischen Rundfunk produzierte, rund 50-minütige Stück trägt den Titel „Retrotopia“.

Herr Irlinger, Ihr Hörspiel „Retrotopia“ handelt von Tomáš Baťa, dem berühmten Schuhfabrikanten aus dem mährische Zlín. Das ist ein eher ungewöhnliches Sujet, vor allem für einen deutschen Autor, weil die Baťa-Story außerhalb Tschechiens und der Slowakei nur wenig bekannt ist. Wie sind Sie denn zu diesem Thema gekommen?

„Mein Hörspiel ‚Retrotopia‘ ist ja Teil einer ganzen Reihe von Projekten, die von dem Verein 'ZIPP – Deutsch-tschechische Kulturprojekte', initiiert wurden. Ich kam dazu auf Anregung einer meiner Redakteurinnen beim Westdeutschen Rundfunk, die eines Tages mit der Idee kam, ein Hörspiel über Zlín zu machen, die Stadt, in der Tomáš Baťa gelebt und gearbeitet hat. Ich muss zugeben, dass ich ihn zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte. Ich habe mich dann damit beschäftigt und versucht herauszufinden, inwiefern man daraus ein Hörspiel bauen kann und inwiefern ich damit etwas anfangen kann. Einer der Gründe warum ich mich dann dafür

entschieden habe das Hörspiel zu machen war der, dass ich in der Vorbereitungsphase die Geschichte einem Freund erzählt habe. Zu dieser Zeit wusste ich noch nicht, dass Tomáš Baťa so ausgesprochen wurde und habe immer Tomáš Bata gesagt. Wir saßen also in einem Café und ich habe über Herrn 'Bata' erzählt. Da hat sich ein Mann eingemischt und uns darauf hingewiesen, dass es eben Tomáš Baťa heisst. Es hat sich herausgestellt, dass er in Zlín geboren wurde, jetzt in Köln lebt und zwischendurch auch noch in Holland gearbeitet hat. Er wusste sehr viel über diese Geschichte und das Unternehmen. Und im Grunde hat diese Begebenheit den Anstoß gegeben, endgültig zu sagen: ‚Ja, ich mache das Hörspiel’.“

Sie haben ja zum Thema Baťa und Zlín einen sehr interessanten Zugang gewählt: Sie haben die Handlungen in die Jetzt-Zeit verschoben, wir haben es ja zu Beginn gehört. Ein Pilot landet mit seinem Fallschirm in Zlín, das ihm wie aus einer anderen Zeit erscheint. Und davon ausgehend blenden Sie zurück auf das Zlín seiner Zeit.

„Die Struktur des Stückes ist zum Teil einem Musical entlehnt. Also dieses Motiv des Wanderers – in dem Fall der Pilot – der in eine verwunschene, etwas aus der Zeit gefallene Stadt kommt. Das stammt aus dem Hörspiel 'Brigadoon', wo so etwas Ähnliches zwei Wanderern passiert. Ich sah das als eine gute Grundlage für mein Stück, weil es mir erlaubt hat, einen eher freien Zugang zu dem Thema zu finden und auch Aspekte, die mich daran fasziniert oder interessiert haben, zusammenzuführen.“

Wir haben ja vorhin auch gehört, dass Elemente aus der jüngsten Zeit in die Erzählung einfließen, zum Beispiel Nachrichten über die Finanzkrise, die immer wieder mal so flashartig auftauchen.

„Im Grunde hatte dieser Entschluss auch etwas mit dem Zeitrahmen zu tun. Denn als ich das Projekt im Herbst 2008 begonnen habe, war die Entscheidung noch nicht gefallen, das mit der aktuellen Finanzkrise in Zusammenhang zu bringen. Und es erschien mir anfangs auch fast zu naheliegend. Aber in mehreren Gesprächen mit befreundeten Autoren und meiner Redakteurin haben wir uns entschlossen, das zu tun. Denn letztendlich wirft die Geschichte von Tomáš Baťa und seiner Fabrik auch Fragen auf, die nach wie vor aktuell sind und sich im Zusammenhang mit der Finanzkrise in besonderem Maße gestellt haben.“

Ihr Stück ist eine sehr komplexe Mischung aus Fiktion und Realität, aus Vergangenheit und Gegenwart und Sie haben auch Zeitzeugenberichte eingebaut.

„Ich habe ja sehr lange daran recherchiert und war auch mehrmals in Zlín. Und ich habe im Zuge dieser Recherche mit sehr vielen Menschen gesprochen. Unter anderen auch mit Arbeitern, die noch in der Fabrik gearbeitet hatten und diese Zeit noch kannten. Die Originaltöne, die wir in dem Stück hören, stammen von dem Stadtarchivar von Zlín, Herrn Zdeněk Pokluda. Er hat sehr lange das Stadtarchiv in Zlín geleitet und ist ein profunder Kenner der Firmengeschichte, der Historie von Zlín und insbesondere auch der Familie Baťa. Das was wir dort hören stammt also zum größten Teil von ihm.“

Wenn man sich das Hörspiel nun anhört wird auch ganz klar, dass Sie nicht nur die Geschichte von Tomáš Baťa und den Menschen, die dort gearbeitet haben, sondern auch die Atmosphäre in Zlín als Stadt an sich darstellen wollen. Nämlich als Stadt, die durch einen einzigen Betrieb, eine einzige Unternehmerfamilie so unglaublich geprägt worden ist.

„Ich habe mir die Frage gestellt, was das Besondere war oder was das Besondere hätte gewesen sein können an Zlín zu dieser Zeit. In einem Hörspiel lässt sich so etwas wie Architektur – die ja sehr prägend ist für die Stadt – schlecht darstellen. Daher habe ich die Hilfskonstruktion gewählt, dass eben immer so etwas wie eine Atmosphäre oder ein Gefühl – was sich letztendlich auch bei mir eingestellt hat, als ich in Zlín war – zu transportieren. Das ist natürlich nicht besonders greifbar, aber ich hoffe, es ist mir trotzdem gelungen.“

Auch die Musik scheint zu dieser Atmosphäre zu passen. Steht sie irgendwie im Zusammenhang mit Zlín oder haben Sie die einfach so ausgewählt?

folgt, die ich durch das Studium mehrerer Filme als für Zlín prägend oder kennzeichnend wahrgenommen habe. Wir haben daraufhin also mehrere Filme geschaut, unter anderem von Karel Zeman, der für mich, was diese Filme angeht, ein sehr zentraler Filmemacher war. Wir haben uns diese Filme in besonderer Hinsicht auf die Musik angeschaut und uns dann auf eine bestimmte Ästhetik verständigt, die wir für dieses Stück herstellen wollten.“

Das Hörspiel „Retrotopia“ hören Sie in voller Länge am 30. September um 21:33 auf Deutschlandradio Kultur. In ganz Deutschland auf UKW, außerdem über Kabel und Satellit und per Live-Stream im Internet: www.dradio.de/dkultur/