Gemeinsame Geschichte hautnah: Die Niederösterreichische Landesausstellung 2009 – Teil II

Bis 1. November ist im österreichisch-tschechischen Grenzgebiet noch die diesjährige Niederösterreichische Landesausstellung zu sehen. Unter dem Titel „Österreich. Tschechien. Geteilt. Getrennt. Vereint.“ beschäftigt sich die Schau an drei Standorten mit der gemeinsamen Geschichte, die die beiden Nachbarländer über mehrere Jahrhunderte hinweg verbunden hat und immer noch verbindet. Vor kurzem hat Sie Daniel Kortschak in unserer Sendereihe „Kapitel aus der Tschechischen Geschichte“ in den Ausstellungsteil nach Horn eingeladen und Ihnen gleichzeitig eine Fortsetzung versprochen. Et voilà, hier ist sie, und diesmal führt die Reise ins tschechische Telč.

Bauarbeiten im Schloss Telč
Bis zum letzten Augenblick wurde gearbeitet im Telčer Schloss, das eines der Wahrzeichen der Weltkulturerbe-Stadt ist. Noch zu Beginn dieses Jahres sah es nicht danach aus, als würde man Mitte April hier einen Teil der Niederösterreichischen Landesausstellung eröffnen können. Doch Restauratoren und Handwerker haben ganze Arbeit geleistet und so erstrahlen die Räume in dem Renaissance-Bau nun in frischem Glanz. Während in Horn die gemeinsame Geschichte im Mittelpunkt steht, widmet man sich in Telč den tschechisch-österreichischen Verflechtungen auf dem Gebiet der Kultur und der lokalen Geschichte, wie Ausstellungskurator Michal Stehlík erklärt:

„Der so genannte ‚Justiz-Saal’ ist den Persönlichkeiten aus der Kultur gewidmet, im zukünftigen Regionalmuseum wird die Geschichte der Stadt Telč als Beispiel der Bürgerkultur beleuchtet und in der Schlossgalerie zeigen wir Beispiele für die Kultur des Adels und der Kirche und wir betrachten die Architektur näher.“

Doch nicht nur im Schloss hat die Landesausstellung Quartier genommen; nur wenige Schritte entfernt, im alten Feuerwehrhaus auf dem berühmten Marktplatz von Telč, ist der vierte Teil der Schau zu sehen.

„In der Galerie auf dem Marktplatz ist die Geschichte und die Kultur des 20. Jahrhunderts das Thema. Wir haben die Zeit bis zum Jahr 1914 bewusst vom Rest des 20. Jahrhunderts mit seinen radikalen Veränderungen getrennt. Daher auch diese räumliche Distanz.“

Verlassen wir also nun den windigen Marktplatz und machen wir uns auf zur Besichtigung des Schlosses. Über eine Holztreppe gehen wir nach oben, in den ersten Stock.

„Hier im Justizsaal präsentieren wir zwei berühmte Persönlichkeiten, die beide mit der Region Vysočina, mit Österreich und der Welt verbunden sind: Den Architekten und Designer Josef Hoffmann, der in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts gewirkt hat und den Komponisten Gustav Mahler, den ich Ihnen wohl nicht näher vorzustellen brauche. Beide stammen aus der Umgebung der Stadt Jihlava und die später in Wien und auf der ganzen Welt erfolgreich waren.“

Gustav Mahler
Von Gustav Mahler werden einige Original-Libretti und Texte ausgestellt. Eines der wertvollsten Exponate der gesamten Ausstellung ist Mahlers Taktstock, mit dem er das Orchester der Wiener Hofoper, der heutigen Staatsoper, dirigiert hat. Josef Hoffmann, dessen Werk im Gegensatz etwa zu den USA in Europa lange Zeit ein Schattendasein gefristet habe, präsentiere man ebenfalls umfassend, so Kurator Stehlík:

„Bei der Auswahl der Ausstellungsstücke haben wir darauf Wert gelegt, Josef Hoffmanns Arbeit als Designer zu zeigen und weniger seine Architektur. Hier in Telč sehen Sie eine Reihe von Entwürfen für Porzellan-Services und weitere Objekte. Die hatten über ein ganzes Jahrhundert Bestand und werden bis heute hergestellt.“

Doch nicht nur Personen von Weltrang sollten ihren Platz in der Ausstellung finden, sondern man wolle auch Persönlichkeiten zeigen, die stärker mit der Region rund um Telč und Jihlava beziehungsweise in Niederösterreich verwurzelt sind, so Stehlík, der im „Zivilberuf“ Dekan der Philosophischen Fakultät der Prager Karlsuniversität ist. Für Tschechien hat man den Verleger und Übersetzer Josef Florian und den Dichter und Grafiker Bohuslav Reynek ausgewählt. Florian brachte nicht nur zahlreiche Werke der Weltliteratur in die Region, sondern förderte auch die zeitgenössische tschechische Literatur. Reynek ist mit einigen seiner Grafiken in Telč vertreten.

„Quasi als Gegenpol dazu haben wir den niederösterreichischen Autor Robert Hamerling ausgewählt. Er zählte im 19. Jahrhundert zu einem der meistgelesensten Autoren in Österreich.“

In den weiteren Räumen erfahren die Besucher mehr über die Geschichte der Stadt Telč und das Leben des seinerzeit sehr wohlhabenden und einflussreichen Bürgertums in der Region. Dieser Teil der Schau wird über die Dauer der Landesausstellung hinaus als Teil des Regionalmuseums erhalten bleiben.

Zahlreiche Schaustücke illustrieren das Leben im Telč der Seinerzeit: Vom aufwendig dekorierten Bauernschrank bis zur reich verzierten Pistole. Wir gehen aber weiter, überqueren den Innenhof und begeben uns in den ehemaligen Wirtschaftstrakt des Schlosses. Im Gewölbe der ehemaligen Pferdeställe findet die Ausstellung ihre Fortsetzung. Hier dreht sich alles um das Thema Adel, Kirche und Architektur, wie der Prager Historiker und Ausstellungs-Co-Kurator Albert Kubišta erläutert:

Schloss Telč
„Im Gegensatz zum Justizsaal, der bekannten Persönlichkeiten gewidmet ist und im Gegensatz zum Museum, das die Region zeigt, ist die Ausstellung hier in der Schlossgalerie die Zusammenfassung von drei Phänomenen: Kirche, Adel und Architektur. Das sind Dinge, die die ganze Gesellschaft beeinflusst haben und sich quer durch alle Schichten ziehen.“

Wie in den restlichen Ausstellungsteilen setzt man auch hier bewusst auf den Vergleich zwischen Tschechien und Österreich. Der Besucher taucht ein in einen Überblick über mehrere Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte und Kultur. Besonders deutlich werden diese Parallelen in jenen Räumen, die sich dem Thema Architektur widmen.

Bauarbeiten im Schloss Telč
„Das erste Kapitel bildet die Zeit von Přemysl Ottokar II. Damals, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde der Grundstein gelegt für die gemeinsame Entwicklung der Architektur diesseits und jenseits der damals noch eher virtuellen Grenze. Man befasste sich mit denselben Themen: Kirchen, Stadtentwicklung und Burgen. Immerhin 800 Jahre lang verlief die Entwicklung dabei dann weitgehend parallel“, erklärt der Kunst- und Architekturhistoriker Richard Biegel.

Präsentiert wird außerdem die Entstehung der spätgotischen Sakralbauten, die ihren Ausgang in den damaligen Zentren Prag und Wien genommen hat sowie die Schlösser und Klöster, die in der Renaissance und im Barock entstanden sind.

„Das Finale bildet dann die Entstehung modernen Metropolen mit den Parallelen in der Stadtentwicklung von Wien und der mährischen Metropole Brünn.“

Soweit unsere Tour durch die sehr vielfältige und bunte Schau im Schloss Telč, das wir nun verlassen und auf den von stattlichen Bürgerhäusern gesäumten Marktplatz treten. Ungefähr in der Mitte des weitläufigen Platzes finden wir die städtische Galerie, die im ehemaligen Feuerwehrhaus ihre Heimat gefunden hat. Dort stehen die Kultur und die Geschichte des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Zur Vermittlung der umfassenden Inhalte hat man sich auf wenige Exponate beschränkt, die in einem sehr futuristisch anmutenden Ambiente präsentiert werden. Ihm sei es wichtig gewesen, die Besucher möglichst aktiv in das Geschehen einzubeziehen, sagt der Historiker und wissenschaftliche Leiter der Ausstellung, Michal Stehlík:

„Am Eingang liegen verschiedene Blätter aus. Jeder Besucher kann sich eines nehmen und so seine Rolle wählen: Ist er Österreicher, Tscheche, Jude, Mann oder Frau. Anhand seiner Ende des 19. Jahrhunderts ausgestellten Geburtsurkunde kann er dann bei den einzelnen Stationen die weitere Entwicklung seines Lebens im Verlauf des 20. Jahrhunderts nachvollziehen. Das lässt sich schwer erklären. Am besten, Sie versuchen es selbst.“

Na dann los, auf zur ersten Station: Wir entscheiden uns zunächst für eine österreichische Frau, auf dem Blatt gekennzeichnet durch ein Frauen-Piktogramm und die rot-weiß-rote Flagge.

„Sie wurden im Jahre 1898 in einer deutschen katholischen Familie auf tschechischem Territorium geboren. Dieses ist zu jener Zeit natürlich Bestandteil der österreichischen Habsburgermonarchie. Deutsch ist hauptsächliche Amtssprache, parallel dazu findet freilich ein starker tschechischer Emanzipationsprozess statt. Das relativ beschauliche 19. Jahrhundert geht zu Ende und noch kann sich niemand vorstellen, dass in einigen Jahren ein Weltkrieg ausbricht. Es erwartet Sie das dramatische 20. Jahrhundert, das in Folge großer politischer Ereignisse auch Ihr Leben ganz konkret beeinflussen wird.“

Als Beispiel für die vierte Station haben wir einen jüdischen Mann gewählt:

„Im Jahr 1931 kandidieren Sie in den Gemeindewahlen für die deutsche Sozialdemokratie, wo übrigens die Mehrheit der Männer der hiesigen jüdischen Gemeinde versammelt ist. Sie sind ein erfolgreicher Händler und genießen allgemeines Ansehen. Sie werden gewählt, und in den folgenden Verhandlungen werden Sie sogar Mitglied des Stadtrates. Auf diesem wichtigen Posten bemühen Sie sich um bessere Bedingungen für die örtlichen Gewerbetreibenden, gleichzeitig unterstützen Sie den Bau eines Krankenhauses im nahen Datschitz / Dačice.“

Bei der sechsten Station sehen wir uns an, wie es einem österreichischen Mann ergeht

„Der Zweite Weltkrieg hat auch Ihre Familie betroffen. Ihre beiden Söhne werden zur Front einberufen und tragen die Wehrmachtsuniform. Sie selbst sind angesichts Ihres Alters und Gesundheitszustandes nicht mehr wehrpflichtig. Im Jahr 1944 kommt der jüngere Sohn auf Fronturlaub. Es ist der letzte Besuch Ihres Sohnes Josef, denn im Herbst 1944 kommt er an der Ostfront ums Leben. Drei Monate später verlieren Sie auch Ihren älteren Sohn Theodor und bleiben mit ihrer Frau allein.“

Und wie das Leben einer tschechischen Frau zu Ende geht, das verrät uns Station acht:

„Sie nehmen im Jahr 1958 an der Bezirkskonferenz der Vereinten Landwirtschaftsgenossenschaften (JZD) in Datschitz teil. Der Boden, der Ihnen im Jahr 1946 zugeteilt worden war, ist in der ersten Hälfte der 50er-Jahre der Kollektivierung zum Opfer gefallen. Sie arbeiten jetzt in der Landwirtschaftsgenossenschaft. Ihr Mann war als unzuverlässig eingestuft worden, was zur Folge hatte, dass Sie 1952 für einige Jahre aus dem Grenzgebiet umgesiedelt werden. Erst in diesem Jahr, 1958, konnten Sie zurückkehren. Ihr Weg durch das 20. Jahrhundert endet – Sie sterben während der Liberalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Jahr 1967.“

Nur ein Hinweis: Wir haben zur besseren Veranschaulichung verschiedene Personen ausgewählt. Eigentlich sieht das Konzept vor, dass man „seinem“ Charakter vom Anfang bis zum Ende treu bleibt. So bewegt man sich von Station zu Station, jedes Mal erhält man einen neuen Zettel, bis man am Ende „seine“ komplette Biographie in den Händen hält.

Die Niederösterreichische Landesausstellung 2009 läuft noch bis zum 1.November 2009 in Horn, Raabs an der Thaya und Telč. Alle Informationen finden Sie unter: http://www.noe-landesausstellung.at