Filmemacher Ladislav Helge - ein Wegbereiter der Neuen Welle in den 50ern

Ladislav Helge (Foto: Michal Maňas, Creative Commons 2.5)

In rund einer Woche jährt sich zum 43. Mal die Besatzung der früheren Tschechoslowakei durch die Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten. Der Einmarsch beendet jäh die kurze Phase der Liberalisierung während des so genannten Prager Frühlings. Zu Ende ging auch eine einzigartige Entwicklung in der Kinematographie, die in den 1960er Jahren weltweit als „Neue tschechoslowakische Welle“ zum Begriff wurde. Zu den Wegbereitern der Neuen Welle gehörte der tschechische Regisseur Ladislav Helge. In Helges Werdegang voller Hindernisse spiegelt sich in vieler Hinsicht die Entwicklung des tschechischen Films zwischen den Jahren 1956 und 1968 wider. Am 21. August dieses Jahres begeht der Filmemacher seinen 84. Geburtstag.

„Unsere Heimat wird schön und reich“
Die 1950er Jahre galten offiziell als Aufbaujahre des Sozialismus hierzulande. Auf der einen Seite stand ein breit manifestierter Optimismus, auf der anderen Seite der Hass gegen Andersdenkende, die man erfinderisch bei politischen Schauprozessen zu liquidieren wusste, und jede Menge Einschränkungen für alle Bereiche der Gesellschaft. Sechs Jahre nach der kommunistischen Machtübernahme von 1948 gab sich Kulturminister Zdeněk Nejedlý bei einer Ansprache im Tschechoslowakischen Rundfunk stolz und selbstsicher:

„Schon jetzt kann man sagen, dass wir einheitlich und innig verbunden dastehen wie kaum je zuvor. Denjenigen, die dies zerstören wollen, rufen wir mit einem alten Lied zu: Donner und Hölle, wirkungslos bleibt euer Zorn.“

Nikita Chruschtschow
Alle Bereiche der Kultur wurden in die ideologische Zwangsjacke gepackt, auch die Filmkunst. Doch so sehr es verwundern mag: Auch unter diesen Umständen entstanden politische Filme, die noch heute von der Filmkritik geschätzt werden. Möglich gemacht hat dies eine erste kurze Phase der politischen Entspannung, die 1956 durch Chruschtschows Kritik an Stalin auf dem 20. Parteitag der KP der Sowjetunion ausgelöst wurde. Bald danach meldeten sich auch hierzulande die ersten kritischen Stimmen unter den Filmemachern der Nachkriegszeit, so zum Beispiel von Karel Kachyňa, Vojtěch Jasný, Ján Kadár, Elmar Klos und Jiří Krejčík. Zu dieser „ersten Welle“ wird auch Ladislav Helge gerechnet, der zwischen den Jahren 1957 und 1967 insgesamt sieben Spielfilme gedreht hat. In seiner beruflichen Laufbahn spiegelt sich die Entwicklung der tschechoslowakischen Kinematographie jener Zeit wider.

Nach dem erwähnten Parteitag der KPdSU von 1956 wurden Schriftsteller von offiziellen Stellen aufgemuntert, Drehbuchthemen aus dem aktuellen Zeitgeschehen zu bearbeiten. Zwar galten weiterhin vor allem ideologische Kriterien für die Produktion von Filmen, laut den neuen Anweisungen sollte nun aber auch der kommerzielle Erfolg eine gewisse Rolle spielen. Das leitende Organ auf dem Gebiet des Films - „Der Tschechoslowakische Staatsfilm“ (Československý státní film) - war daher gezwungen, in gewissem Maße dem Interesse des Publikums entgegenzukommen. Von den Drehbuchautoren wurde immer noch die Bearbeitung von Stoffen erwartet, die im Zweiten Weltkrieg fußten oder sich auf das Geschehen in Fabriken und Landwirtschaftsbetrieben bezogen, es machte sich aber zunehmend ein neuer Trend bemerkbar. Im Unterschied zu den bisher üblichen Agit-Prop-Filmen wurde jetzt zunehmend die Psychologie der Handlungsträger akzentuiert. Die von der politischen Macht „vorgeschriebenen“ Ideale wurden mit dem realen Leben konfrontiert.

Ladislav Helge  (Foto: Michal Maňas,  Creative Commons 2.5)
Ladislav Helge hat sich vor kurzem in einem Gespräch für den Tschechischen Rundfunk an seine ersten Erfahrungen erinnert, die er 1956 als Regieassistent bei den Dreharbeiten zum Film „Frona“ von Jiří Krejčík sammelte. Am Anfang mit Augenklappen:

„Die Dreharbeiten fielen in die Zeit, als das Regime begann, hart mit den privat wirtschaftenden Bauern, den so genannten Kulaken, abzurechnen. Unser Filmstab fuhr in die Mährische Slowakei, wo beinahe jedes zweite Haus mit der Bezeichnung ´Kulak´ beschriftet war. In einer der geplanten Filmszenen sollte ein mit einer roten Fahne bedeckter Traktor heranrollen und als Symbol der Kollektivierung des Landes von den Dorfbewohnern jubelnd begrüßt werden. Das waren unsere Komparsen, zu denen wir mittlerweile sehr gute Beziehungen bei den Dreharbeiten geknüpft hatten.“

Film „Frona“
Was für ein Film mit ihrer Beteiligung gedreht wurde, wussten die Komparsen allerdings nicht genau. Der Traktor mit der roten Fahne machte sie aber stutzig. Ladislav Helge:

„Es waren ungefähr 100 Leute aus mehreren Dörfern. Plötzlich zeigten sie eine gewisse Nervosität. Nach einer Weile kam ihr Sprecher auf uns zu und sagte: ´Entschuldigen Sie, wir dachten, dass hier ein Roman aus dem Dorfleben verfilmt wird, aber es handelt sich wohl um etwas Politisches.´ Darauf folgte die Weigerung weiter mitzumachen.“

Etwas Ähnliches wiederholte sich wohl auch in einigen anderen Dörfern. Damals begann Helge, seinen eigenen Worten nach, langsam zu verstehen, dass zwischen Drehbuch und Realität ein Widerspruch bestand. Von da an hätten in ihm Zweifel gekeimt, sagt er.

Karel Höger in der Rolle des Lehrers Pelikán im Film „Die Schule der Väter“
1957 debütiert Helge als Regisseur mit dem Spielfilm „Die Schule der Väter“. Ursprünglich hatte die Filmhandlung nichts, was Aufsehen erregen konnte:

„In der ersten Drehbuchversion war noch nicht alles dabei. Erst während meiner Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Ivan Kříž kam Neues hinzu. Das Drehbuch musste wie üblich zunächst von einem künstlerischen Rat beurteilt werden, und erst danach konnte es in einen dramaturgischen Plan einbezogen werden. Der Film sollte ursprünglich ein Happyend haben. Er wurde gebilligt und seine Realisierung verlief ohne jegliche Komplikationen.“

Film „Die Schule der Väter“
Bei der Realisierung fiel aber auch das vorgesehene Happyend aus dem Drehbuch, und das hatte eine explosive Wirkung. Der Lehrer Pelikán, ein Neuankömmling in einer Kleinstadt, scheitert mit seinem Sinn für die Gerechtigkeit im Konflikt mit der kommunalen Parteiobrigkeit, die ihre Macht skrupellos für eigene Zwecke einsetzt. Und so reagierte die Öffentlichkeit auf den Film:

„Von Anfang an stieß der Film auf positive Resonanz. Der damalige Generaldirektor des ´Tschechoslowakischen Films´, Jiří Mareš, sagte zu mir, es habe genau solch einen Film gebraucht. Mein Film erhielt gemeinsam mit dem Streifen ´Die Septembernächte´ von Vojtěch Jasný zunächst den ´Preis der Kritik´ und anschließend auch den Tschechoslowakischen Staatspreis.“

František Kahuda
Vom Bildungsminister Kahuda kam sogar ein Schulterklopfen mit aufmunternden Worten: „Nur weiter so mutig ans Werk, Genosse Helge!“

1958 initiierte der Minister eine Filmleistungsschau im slowakischen Banská Bystrica. Bei einer Konferenz, die am Rande des Festivals stattfand, glaubten die ideologischen „Revisoren“, eine positive Bilanz der sozialistischen Kinematographie ziehen zu können. Helges Filmprotagonist in der „Schule der Väter“ passte aber auf einmal nicht mehr ins Bild des „real existierenden“ Sozialismus. Minister Kahuda und seine Parteikollegen erklärten gut ein Dutzend Filme als „schädlich“, darunter auch „Die Schule der Väter“, und ließen sie aus dem Vertrieb ziehen. Das 1956 von Moskau ausgegangene Tauwetter war zu Ende. Tschechoslowakische Filmemacher suchten aber trotzdem weiter nach neuen Ausdrucksmitteln.

Verfilmtes Buch „Velká Samota“
1959 kommt Helges zweiter Film ins Kino. „Velká Samota“, so der Titel, spielt in einem Dorf gleichen Namens. Der Ministeriumsangestellte Arnošt Pánek gibt seinen Posten auf und kehrt in seinen Geburtsort zurück, um dort dem dahinsiechenden Landwirtschaftsbetrieb, den er einst mitbegründet hatte, wieder auf die Beine zu helfen. Regisseur Helge sieht die zentrale Gestalt seines Filmes so:

„Er ist ein Funktionär, der es gut meint, aber seine Vorstellungen mit inakzeptablen Methoden durchsetzt. Als ein Mensch, der im Dienst des Bösen steht, ist er letztlich zum Scheitern verurteilt. Die Filmhandlung läuft darauf zu, dass sich Pánek seiner Fehler bewusst wird und dabei in Verzweiflung gerät. Und gerade daran ist der Film gescheitert.“

Ladislav Helge  (Foto: První veřejnoprávní)
In der abschließenden Filmszene sitzt Pánek allein auf dem Dorfplatz und fängt an zu weinen. Dieses Ende war für das zuständige Aufsichtsorgan aber nicht zu verdauen. Der Regisseur wurde aufgefordert, das Ende des Films zu überarbeiten oder auf einen Kinostart des Streifens zu verzichten. Helge entschied sich für die Änderung. Doch auch dies konnte nicht alle Kritiker besänftigen:

„Trotz des anderen Endes erhielt mein Film beim Filmfestival in Pilsen den Preis der Tschechoslowakischen Kritik. Der kritische Unterton war nämlich geblieben. Am nächsten Tag wurde aber auf Initiative des sowjetischen Kulturbeauftragten die Parteiorganisation der Filmkritiker einberufen, und man hat mir den Preis wieder aberkannt.“

Film mit dem Titel „Die Scham“
Ladislav Helge war erschüttert vom harten Umgang mit seinem Werk und fühlte sich eine zeitlang künstlerisch gelähmt. Das schlug sich letztlich auch auf seine nachfolgenden Filme nieder.

In den 1960er Jahren kommt es allerdings zu einem neuen politischen Tauwetter, diesmal aber nur in der Tschechoslowakei als einzigem Ostblockland. Immer mehr Filmemacher sind motiviert, sich neu, offen und auf hohem künstlerischen Niveau mit verschiedenen Themen der Vergangenheit und Gegenwart auseinanderzusetzen.

„Die Scham“
Helge wendet sich zum dritten Mal seinem Lieblingsgenre zu: dem politischen Film. Diesmal wählt er eine unverhohlen kritische Reflexion der Kluft zwischen dem realen Leben und der kommunistischen Obrigkeit. Der Film mit dem Titel „Stud“ (die Scham) wird ab Mai 1968 im Kino gezeigt. In den Wirren des politischen Geschehens im Lande erreicht er aber kein so großes Publikum mehr wie seine Vorgänger. Dann kommt der 21. August 1968 und bald danach ein anderes fatales Datum. Auch für den damals 41-jährigen Ladislav Helge:

„Es war das tragische Datum 19. April 1969, an dem Gustáv Husák als Dubčeks Nachfolger zum Generalsekretär der Partei gewählt wurde. Damit wurden definitiv alle Hoffnungen begraben, die noch nach dem 21. August 1968 auf dem Gebiet der Kultur überlebt hatten.“

Vladislav-Vančura-Preis  (Foto: ČT24)
Der frischgebackene Generalsekretär ließ keine Zweifel aufkommen, dass von nun an alle auf den Kurs der Partei eingeschworen sein müssen:

„Alles Schwankende, alles Opportunistische muss wegfallen, es sollen aber die in der Partei bleiben, die unbeirrt geblieben sind und für die Nation kämpfen wollen.“

Der Film „Stud“ gilt auch heute noch als eine der mutigsten künstlerischen Auseinandersetzungen mit der Arroganz und der mangelnden Gewissenhaftigkeit in der Politik der kommunistischen Tschechoslowakei. Ladislav Helge brachte er jedoch nicht Ruhm ein, sondern ein Berufsverbot und damit das Ende seiner Karriere als Filmemacher. In den 1970er Jahren arbeitete Helge auf einem Postamt und später - dank der Hilfe des weltweit bekannten Bühnenbildners Josef Svoboda - als Regisseur in der Prager Laterna magica. Erst weit nach der Wende wurde Helge für sein Werk ausgezeichnet. Im Januar 2009 verlieh der Tschechische Film- und Fernsehverband (Fites) ihm den Vladislav-Vančura-Preis für sein Lebenswerk und den moralischen Beitrag zur tschechischen Kinematographie. Am 21. August feiert er seinen 84. Geburtstag.